Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 385 / Dezember 2016

Bitte ein Berliner BID?

Standortgemeinschaften treiben die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums voran

Von Elvira Vernes                                    

 

Investitions- und Standortgemeinschaft, Partnerschaft zur Attraktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen, Innovationsbereich Immobilien- und Standortgemeinschaft oder Business Improvement District (BID), also Geschäftsverbesserungsgebiet. So vielfältig die Namen, so einfältig die Idee: Alles wird gut, wenn endlich Geschäftsleute darüber entscheiden, wie Straßen, Plätze und Gehwege rund um Kaufhäuser und Läden aussehen sollen. Wer mit Konsum Geld verdienen will, soll auch bestimmen, wie das Geschäftsumfeld aussieht. Ob Weihnachtsbeleuchtung, die Zahl zu pflanzender Blumenzwiebeln, die Größe und Form der Mülleimer oder die Beschäftigung von privaten Wachdiensten – entscheiden sollen darüber die, die dort (mehr) Profit machen wollen.                            


Unter dem Motto „Angebot zum Zwang“ begannen Ende der 1990er Jahre die Industrie- und Handelskammern und weitere Lobby-Vertretungen des Innenstadthandels die Gründung von Business Improvement Districts (BID) zu bewerben und forderten deren rechtliche Absicherung.                     

Die Möglichkeit zum „Angebot“ schuf die Novellierung des Baugesetzbuchs im Jahr 2007. Seitdem erlaubt § 171f BauGB die Festlegung von Gebieten, in denen „in privater Verantwortung standortbezogene Maßnahmen durchgeführt“ werden können. Schafft der Landesgesetzgeber mit eigenen Gesetzen dafür die Voraussetzungen, können Geschäftsleute auf Antrag in „einem räumlich klar definierten Bereich“ Teile der Stadtplanung in Eigenregie übernehmen. Für diesen Bereich „arbeitet die lokale Wirtschaft ein Entwicklungs-, Maßnahmen- und Finanzierungskonzept aus“, heißt es erläuternd in einem Gesetzeskommentar.

Der „Zwang“ besteht darin, dass auch diejenigen Händler, die sich an einem BID zwar nicht beteiligen wollen, aber in dessen Grenzen liegen, Finanzmittel bereitstellen müssen. Staat und Kommune unterstützen den BID und treiben in dessen Auftrag die Abgaben ein. Nur so ließe sich dem als „Trittbrettfahrertum“ bezeichneten Problem entgegenwirken. Schließlich würden alle Anlieger durch höhere Umsatzzahlen von einer „schönen“ Weihnachtsbeleuchtung profitieren, aber nicht alle beteiligten sich an den dafür entstehenden Kosten. Auch sogenannte Sicherheitsstreifen dienten allen, aber auf den Kosten für deren Einsatz blieben häufig nur einige wenige Geschäftsleute sitzen. Der Gesetzgeber sei daher gefordert. Gefahren für das städtische Gemeinwesen bestünden nicht, denn Boulevards und Wege blieben öffentlicher Raum. Lediglich was dort geschieht, das entscheiden (in gegenwärtig sieben Bundesländern) Geschäftsleute und Einzelhändler in den jeweiligen Städten auf eigenen Wunsch und allein. Auch in Berlin wurde 2014 ein Standortaufwertungsgesetz unter dem Titel BIG verabschiedet. Ein solches BIG – das Akronym steht für Berliner Immobilien- und Standortgemeinschafts-Gesetz – war noch im November 2004 im Abgeordnetenhaus kläglich gescheitert, als sich die CDU-Opposition mit ihrem Vorstoß gegen die damaligen Regierungsparteien SPD und Die Linke nicht durchsetzen konnte.                            

Mitsprache nicht vorgesehen        

Erst zehn Jahre später bereitete Bündnis 90/Die Grünen mit einem eigenen Gesetzesentwurf den Boden für die Geschäftsinteressen von Lobby-Organisationen wie der AG City. Denn daraufhin legte die damalige Regierungskoalition aus SPD und CDU einen eigenen Entwurf vor, der im Oktober 2014 als BIG verabschiedet wurde. Eine Mitsprache über Maßnahmen in Berliner BIDs ist dort weder für Wohnungseigentümer noch für Mieter/innen vorgesehen und auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wird zu BID-Einzelprojekten weder befragt noch hat sie Mitspracherechte im Detail.  Zu den Voraussetzungen für die Gründung eines BIDs gehört lediglich, dass mindestens 15% aller zukünftigen BID-Anlieger einen entsprechenden Antrag stellen. Beim geplanten Berliner BID an der Tauentzienstraße und Kurfürstendamm stimmten 23% aller Grundstückseigner dafür, die restlichen 77% haben sich (bisher) nicht geäußert. Mindestens ein Drittel der Grundstückseigner müsste dem BID aktiv widersprechen, um nicht zur Finanzierung herangezogen zu werden. Für das Eintreiben der Zwangsabgabe sind Bezirksamt und Senat zuständig.            

Derweil laufen die Vorbereitungen zur Teilprivatisierung öffentlichen Raums laut Medienberichten in der Spandauer Altstadt und rund um den Kurfürstendamm. Dort soll der BID vom KaDeWe über Karstadt bis zum Kranzler Eck reichen, also die Tauentzienstraße samt Nebenstraßen zwischen Breitscheid- und Wittenbergplatz sowie den unteren Kurfürstendamm umfassen. Hier wollen und sollen nun die Geschäftsleute entscheiden, wie es in der Nachbarschaft ihrer Geschäfte (bald) aussieht, wer sich dann dort (noch) aufhalten darf und wer sich den Konsum dort (zukünftig) leisten soll. Betroffen sind nicht allein Wohnungslose, Bettelnde und urbane Arme, die der Geschäftswelt ohnehin seit Langem ein Dorn im Auge sind. Zwei Meter hohe Blumenkübel, Bau- und Schaustellenpläne sowie die „verkehrsgerechte“ Anbindung der Konsumzonen betreffen auch die dort wohnenden Mieter/innen, ohne dass sie gefragt werden. In der Logik des innerstädtischen Einzelhandels spielen Mitspracherechte der Anwohner/innen kaum eine Rolle. Vielmehr müsse jetzt gehandelt werden, um etwa den Shoppingmalls auf der grünen Wiese (und den immerhin knapp 70 innerhalb des S-Bahn-Rings) Paroli bieten zu können. Dementsprechend müsse die „sichtbare Armut“ aus den innerstädtischen Quartieren verschwinden. Straßenverkehrsprobleme sind nach diesem Verständnis fehlende Parkmöglichkeiten für Pkw – Parkbuchten für Kurzzeitparkende und mehr Parkhäuser lautet die Antwort. Der Online-Handel gefährde die Profitmargen der innerstädtischen Geschäftsleute und damit auch die Aufenthaltsqualität in den Quartieren – nur eine Ausrichtung auf den (kaufkräftigen) Tourismus könne hier helfen. Weil und insoweit das BID-Gesetz zudem auf das Trittbrettfahrer-Problem reagiere, handele es sich bei diesem Ansatz um ein nachhaltiges Projekt – auch wenn das BID-Gesetz „zur Rettung des Kleinhandels nicht funktioniert“, wie es der Handelsverband Berlin-Brandenburg offen formuliert. „Viele tradierte Einkaufsstraßen werden wir damit wahrscheinlich nicht reanimieren können.“                            

 

Urbane Mikro-Staaten            

In Berlin werden nicht viele BIDs entstehen, die – wie am Kurfürstendamm für die kommenden fünf Jahre vorgesehen – rund 8,7 Millionen Euro mobilisieren können. Auch das bundesdeutsche Vorbild für Berlin – der finanzstarke BID Neuer Wall in Hamburg – überspringt, trotz zahlreicher zusätzlicher staatlicher Subventionen und über fünf Jahre gerechnet, nicht die 10-Millionen-Euro-Marke. Blickt man nach Nordamerika – das Konzept des BIDs entstand 1970 in Toronto bzw. 1975 in New Orleans mit weitaus mehr Finanzmitteln –, werden die Folgen klarer. Die dortige Forschung weiß inzwischen, dass die Geschäftswelt in reichen Stadtquartieren zwar genügend private Finanzmittel akquirieren kann, um untereinander zu konkurrieren, aber zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den betroffenen Quartieren trägt ein BID ebenso wenig bei, wie er der lokalen Geschäftswelt in ökonomisch schwächeren Stadtteilen hilft. Der britische Geograph Kevin Ward nennt BIDs daher „Mikro-Räume, die auf bereits existierenden Ungleichheiten aufbauen und damit die innerstädtische Konkurrenz nur verschärfen“. Sein Kollege Stephen Graham verweist zudem darauf, dass die Aufgabenträger von BIDs demokratisch nicht legitimiert sind, trotzdem aber Abgaben erheben, über deren Verwendung sie allein entscheiden. „Eine Stadt in der Stadt“, so sein Fazit. Der US-amerikanische Soziologe Christian Parenti geht noch weiter. Letztlich verkörperten BIDs als „private, sich selbst besteuernde, urbane Mikro-Staaten staatliche Macht und Privilegien, aber der für demokratisch verfasste Gemeinwesen üblichen Verantwortung stellen sie sich nicht“. Auch wenn deutsche BIDs – sollte die Berliner Geschäftswelt sie wie geplant ab Frühjahr 2017 über den Stadtraum ausbreiten – keine Kopien US-amerikanischer oder britischer Konglomerate sind, der innerstädtische Hauptstadthandel hat seine Vorstellungen von einem „Recht auf Stadt“ beharrlich betrieben und in ein Gesetz gießen lassen. Insoweit auch der neue Senat das Anwachsen teilprivatisierter Innenstadtflächen beschweigt oder gar weiter befördert und bewirbt, schreitet die Kommerzialisierung des Urbanen von Geschäftsmanns Gnaden voran. Für Mieter/innen ist das mehr als nur ein Nebenkriegsschauplatz.                          

 


MieterEcho 385 / Dezember 2016

Schlüsselbegriffe: Standortgemeinschaften,Kommerzialisierung, Teilprivatisierung, öffentlicher Raum, Innenstadtflächen, Business Improvement District, BID, lokale Wirtschaft, Geschäftsleute, Standortaufwertungsgesetz, Tauentzienstraße, Kurfürstendamm

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