Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 374 / Mai 2015

Soziale Stadt sieht anders aus

In Moabit entstehen neue Stadtquartiere mit rund 3.500 Wohnungen, doch preisgünstig werden davon die wenigsten sein

Von Rainer Balcerowiak                                    

Die gute Nachricht zuerst. Nach Jahren der wohnungspolitischen Agonie hat die Bautätigkeit deutlich an Fahrt gewonnen. 2014 wurde der Bau von über 18.000 Wohnungen genehmigt, im laufenden und in den kommenden Jahren wird die Zielmarke von 10.000 bis 12.000 fertiggestellten Wohnungen pro Jahr voraussichtlich erreicht. Auch in Moabit, das aus seinem jahrzehntelangen Dasein als Mauerblümchen erwacht und ins Zentrum der Stadt gerückt ist, wird geklotzt und nicht gekleckert.       

 

Nördlich des Hauptbahnhofs entsteht an der Heidestraße auf ehemaligem Bahngelände das Stadtquartier „Europa-City“ mit 2.800 Wohnungen. Nebenan an der Lehrter Straße werden 700 Wohnungen gebaut. Eigentlich gute Voraussetzungen, um die bescheidenen Instrumente der sozialen Wohnraumförderung einzusetzen, um bis zu 33% der Wohnungen belegungsgebunden für durchschnittlich 6,50 Euro/qm nettokalt bereit zu stellen. Doch in der „Europa-City“ kann davon keine Rede sein. Kümmerliche 42 der 2.800 Wohnungen sollen mietpreisgebunden angeboten werden, für 7,50 Euro/qm nettokalt. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) gibt sich unbeteiligt. Der Rahmenvertrag mit dem Investor CA Immo sei bereits 2009 vereinbart worden. Damals wäre man von genügend bezahlbarem Wohnraum in der Stadt ausgegangen, so Geisel im RBB. Anscheinend haben weder er noch andere Politiker die seinerzeitigen Marktberichte der Investitionsbank Berlin gelesen, die bereits damals dramatische Mietsteigerungen in Innenstadtlagen auswiesen.                                            

 

Faule Ausrede des Senats        

Für die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, ist der lange Planungsvorlauf nur eine faule Ausrede des Senats. Nach ihrer Überzeugung hätten die erst vor wenigen Monaten abgeschlossenen städtebaulichen Verträge mit der CA Immo und der Deutschen Bahn, der ebenfalls ein Teil des Areals gehört, so ausgestaltet werden können, dass in angemessener Größenordnung preiswerter Wohnraum entsteht. Doch daran bestand offenbar kein Interesse, obwohl die Senatsrichtlinien zur „kooperativen Baulandentwicklung“ dies bereits seit Mitte 2014 vorsehen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bezirk Mitte, Thorsten Reschke, erklärte schlicht, billige Mieten seien bei derartigen Bauvorhaben „nicht machbar“. Ähnlich äußerte sich im Rahmen des Beteiligungsverfahrens der zuständige Referent der Umweltorganisation BUND, Martin Schlegel: „Selbst, wenn am Hauptbahnhof vor allem Quartiere für Besserverdienende entstehen, nimmt das Druck vom gesamten Berliner Wohnungsmarkt.“ Eine Mär, die durch ständige Wiederholung nicht wahrer wird. Etwas besser sieht es in der Lehrter Straße aus, wo die Groth-Gruppe insgesamt 700 Wohnungen errichten will, davon die Hälfte als Wohneigentum. Immerhin sind bis zu 120 Mietwohnungen im unteren Preissegment vorgesehen. Diese will die Groth-Gruppe schlüsselfertig an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft übergeben, die dann die entsprechenden Fördermittel in Anspruch nehmen könnte. Doch entschieden ist noch nichts.             

Dieses offensichtliche Versagen bei der Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum für Geringverdienende im begehrten Bezirk Mitte ist natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen Gruppen, die sich gegen jeglichen Wohnungsneubau in „ihren Kiezen“ wenden. Die Forderungen nach dem Erhalt von „Kaltluftschneisen“, „gewachsenen Strukturen“ und „Begegnungsräumen“ wird dann mit dem Widerstand gegen Luxusbauten, die eher dem Profit der Investoren als der sozialen Wohnraumversorgung dienen, verschmolzen. Besonders virulent ist die Auseinandersetzung derzeit am Mauerpark, an dessen Rand ebenfalls 700 Wohnungen entstehen sollen. Ein angestrebtes Bürgerbegehren gegen die Bebauung hat der Senat mittlerweile ausgehebelt, indem er dem Bezirksamt – mit dessen Einverständnis – die Planungshoheit entzog.        

Einige Mietergruppen wie der Moabiter Runde Tisch gegen Gentrifizierung sehen innerstädtischen Neubau als unabdingbar für die soziale Wohnraumversorgung. Statt halbherziger Förderprogramme sind aber Bauvorhaben in unmittelbarer kommunaler Trägerschaft notwendig. In der Heide- und der Lehrter Straße geht es jetzt nur noch um Schadensbegrenzung, also um die Durchsetzung eines möglichst großen Kontingents an bezahlbaren Wohnungen.                  


MieterEcho 374 / Mai 2015

Schlüsselbegriffe: Moabit, neue Stadtquartiere, Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, Europa-City, CA Immo, Groth-Gruppe, Moabiter Runde Tisch, Gentrifizierung, innerstädtischer Neubau

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