Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 366 / März 2014

„Weil eine Zwangsräumung verhindert werden kann“

Interview mit Sara Walther vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“

Interview mit Sara Walther vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“        

Seit 2012 organisieren sich Mieter/innen im Bündnis „Zwangsräumung verhindern“. Im Februar 2013 versuchten 1.000 Menschen die Zwangsräumung der Familie Gülbol aus Kreuzberg zu verhindern. Im folgenden April starb Rosemarie Fliess aus Reinickendorf zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung. Sie war ebenfalls im Bündnis aktiv und hatte gegen ihre Zwangsräumung gekämpft. Bislang sind nach Angaben des Bündnisses etwa 15 Zwangsräumungen verhindert worden.           

 

 

MieterEcho: Wann und wo habt ihr die letzte Zwangsräumung verhindern können?  

Sara Walther: Im Januar bei einer Frau mit fünf Kindern aus Neukölln, die vom Immobilienunternehmen Helvetica geräumt werden sollte. Die Familie hat zwar jetzt eine andere Wohnung, aber die Zwangsräumung in die Obdachlosigkeit konnte verhindert werden.    

 

Wie wurde diese Zwangsräumung verhindert?         

Zusammen mit solidarischen Nachbar/innen, durch gemeinsame Behördenbesuche, Aufbau von Handlungsdruck auf den Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (Bündnis 90/Die Grünen) und offensives Auftreten gegenüber der Helvetica.           

Davon ist in der Öffentlichkeit wenig angekommen. Die Wahrnehmung der Zwangsräumungsproteste hat ohnehin seit dem Frühjahr 2013 abgenommen.

 

Woran liegt das?     

Es ist in der letzten Zeit nicht mehr zu einer großen Blockade gekommen wie bei der Familie Gülbol. Unsere Arbeit findet gerade kleinteiliger statt und ist nicht auf nur einige wenige Zwangsräumungen fokussiert. Wir schaffen es ganz gut, Zwangsräumungen im Vorfeld zu verhindern. Darüber wird dann aber weniger berichtet als über spektakuläre Aktionen.     

 

Es gibt keine offiziellen Statistiken zu Zwangsräumungen in Berlin. Wie ist die Situation eurer Erfahrung nach?    

Das Problem weitet sich mit der Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt auf jeden Fall aus. Zwangsräumungen führen häufig anschließend in Wohnungslosigkeit. Zum Bündnis kommen ganz unterschiedliche Leute aus fast allen Bezirken von Spandau bis Marzahn. Die meisten Betroffenen sind aber aus Neukölln und Kreuzberg. Da ist der Verdrängungsdruck besonders groß und wir sind dort oft aktiv.


Wer lässt alles zwangsräumen?                 

Alle Typen von Eigentümern sind dabei, vom Immobilienfonds bis zur Genossenschaft. Gemeinsam haben alle, dass mittlerweile der kleinste Anlass genommen wird, um zwangsräumen zu lassen. Früher gab es bei den Vermietern noch mehr Bereitschaft zur Einigung, heute wird einfach geräumt. Das ist auf die enorm hohen Neuvermietungspreise zurückzuführen, die der Wohnungsmarkt mittlerweile möglich macht. Die Altmieter/innen sollen raus, egal wie.

                                

Was ist meistens die Ursache von Zwangsräumungen?    

Ganz wichtig ist der Unterschied zwischen den Ursachen des Problems und den Auslösern einzelner Zwangsräumungen. In der Öffentlichkeit werden Zwangsräumungen immer noch als Randphänomen von Leuten, die ein angeblich selbstverschuldetes Schicksal erleiden, dargestellt. Das ist eine total falsche Darstellung. Hinter jeder Zwangsräumung stehen Ursachen wie Armut oder Diskriminierung und natürlich das Profitinteresse der Eigentümer sowie der Wohnungsmarkt, der die Profite möglich macht.          

 

Was sind dann die Auslöser?                 

Wir haben es meistens mit Mietschulden zu tun, die das Jobcenter verursacht. Dort werden Anträge zu langsam bearbeitet, es wird zu spät gezahlt, ein Kontowechsel des Eigentümers übersehen, solche Sachen. Auch Mietminderungen führen häufig zur Kündigung. Das ist besonders frech. Eine Wohnung ist in schlechtem Zustand, weil der Vermieter ewig nichts macht. Deswegen wird die Miete gemindert. Und dann sagt am Ende ein Gericht, die Minderung sei zu hoch gewesen, wobei dadurch dann sofort rückwirkende Mietschulden ausgemacht werden, die zur Kündigung führen. Übrigens sind das alles immer Mietschulden in geringer Höhe, die meistens zum Zeitpunkt der Zwangsräumung bereits längst beglichen sind.      

 

Wie reagiert die Parteipolitik auf das Thema?        

Mit der Mietrechtsnovelle 2013 hat die letzte Bundesregierung Zwangsräumungsverfahren weiter vereinfacht. Der Berliner Stadtentwicklungssenator Michael Müller hat sich noch nie zu Zwangsräumungen geäußert. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften lassen munter weiter zwangsräumen. Die Jobcenter sind wie gesagt aktiv an Zwangsräumungen beteiligt anstatt die Leute zu unterstützen. Die Bezirke sind total überfordert mit der Situation. Bezirkspolitiker verweisen lediglich auf die Wohnheime, welche schon jetzt völlig überbelegt sind. Außerdem kann man Familien mit Kindern nicht in Wohnheimen unterbringen. Am Ende werden dann vom Bezirk Hotelkosten für eine zwangsgeräumte Familie von über 3.000 Euro im Monat übernommen. Zusammengefasst vereinfacht der Staat also Zwangsräumungsverfahren, er tritt zudem als aktiver Verdränger und Zwangsräumer auf. Die Hilfestrukturen sind überfordert. Einzige Profiteure der Situation sind die Eigentümer.           

 

Welche Mittel wendet ihr gegen Zwangsräumungen an?    

Wir üben Druck auf die Eigentümer aus, indem wir Zwangsräumungen in der Nachbarschaft bekannt machen, durch Kundgebungen oder Flyer. Wir machen Protestbesuche bei den Eigentümern. Wir greifen Zwangsräumer mit Öffentlichkeitsarbeit an. Wir gehen zu Bezirkspolitikern und fordern sie auf, ihre Möglichkeiten für die Verhinderung einer Zwangsräumung zu nutzen. Wir begleiten Betroffene aber auch öffentlich zu Gerichtsprozessen. Natürlich gucken wir auch immer, was auf der rechtlichen Ebene noch geht.                                            

 

Und das funktioniert?                     

Ja, erstaunlich oft. Vor allem Wohnungsbaugesellschaften haben keine Lust auf schlechte Presse, Politiker ebenso, da werden dann plötzlich Lösungen angeboten statt Zwangsräumungen. Behörden wie etwa das Jobcenter behandeln Leute ganz anders, wenn sie mit Unterstützung kommen. Richter lassen sich auch durch solidarische Zuschauer/innen beeindrucken. Wir schätzen, dass wir momentan viele Zwangsräumungen verhindern können, ohne dass es zu einer Blockade kommt.                               

 

Wie geht es weiter mit euren Protesten?            

Dass die Eigentümerseite nachgibt, wenn wir aktiv werden, ist gut und auch in der Nachbarschaft kriegt man das mit. Aber insgesamt wirkt das auch befriedend, da die große Masse der Zwangsräumungen weiter still und leise abläuft und das Thema klein gehalten wird. Ich persönlich würde mir deshalb eine größere Aktion wünschen, mit der wir wieder sichtbarer werden. Und dass wir es schaffen, Kämpfe um einzelne Zwangsräumungen stärker zu verknüpfen, um die Auseinandersetzung kollektiv zu führen. Auch damit sich Betroffene untereinander besser unterstützen und vernetzen können und raus aus diesem angeblichen Einzelschicksal kommen. Was auch noch ein Projekt ist, ist die Vernetzung mit anderen Zwangsräumungsgruppen in Europa.                                    

 

Wann sollten Mieter/innen sich beim Bündnis melden?     

Wenn jemand eine Kündigung oder einen Zwangsräumungstermin bekommen hat und sich nicht nur gegen die eigene Räumung, sondern auch gegen die Verdrängung anderer einsetzen will. Wir sind ein Bündnis zum Mitmachen, so funktioniert unsere Arbeit. Einmal im Monat gibt es unser Betroffenencafé, da kann man erstmal hinkommen, sich kennen lernen und austauschen. In dringenden Fällen kann man uns eine E-Mail schreiben und wir nehmen dann Kontakt auf. Bei allen Aktionen haben die Betroffenen immer das letzte Wort. Natürlich kann man auch ohne eigene Kündigung mitmachen. Wir laden immer wieder zu offenen Mitmachtreffen ein.                                             


Warum lohnt es sich mitzumachen?             

Wir bezeichnen uns als politisches Aktionsbündnis. Das meint, dass wir jede Zwangsräumung möglichst offensiv angehen, indem wir sie politisieren und öffentlich machen. Es ist uns ganz wichtig, rauszukommen aus dieser individuellen Schuldlogik. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Miete steigt und es ist nicht unsere Schuld, dass wir zwangsgeräumt werden. Das sagen wir dann öffentlich. Wir wissen, dass dieser Schritt Überwindung kosten kann, können aber aus der Erfahrung der letzten Zeit sagen, dass es sich auf jeden Fall lohnt. Nicht nur, weil eine Zwangsräumung verhindert werden kann, sondern auch, weil erlebte Solidarität sehr gut tut.                                                 


Vielen Dank für das Gespräch.                            

Das Interview führte Finn Laubheimer.

 

 

Das Betroffenencafé findet jeden letzten Sonntag im Monat um 16 Uhr im Stadtteilzentrum Kreuzberg, Lausitzer Straße 8, 10999 Berlin statt.

Weitere Informationen und Kontakt: zwangsraeumungverhindern.blogsport.de

 

 


MieterEcho 366 / März 2014

Schlüsselbegriffe: Bündnis Zwangsräumung verhindern, Zwangsräumung, Familie Gülbol, Rosemarie Fliess, Wohnungsmarkt, Neuvermietungspreise, Kündigungen, Mietschulden, Mietrechtsnovelle 2013

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