Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 369 / September 2014

Olympischer Geist der Verdrängung

Berlin will sich für Olympia 2024 bewerben, obwohl die negativen Folgen absehbar sind

Von Stefan Hernádi    

Erst klang es nach einem schlechten Scherz: Olympia 2024 in Berlin. Nach einer desaströsen Bewerbung für das Jahr 2000, Stadtbankrott durch Bankenskandal, anhaltendem Flughafendesaster und den abgewählten Bebauungsplänen für das Tempelhofer Feld soll nun die größte Sportveranstaltung der Welt in die Stadt geholt werden. Doch die Debatte um die Ausrichtung gewinnt an Fahrt, getrieben von Funktionären aus Parteien, Wirtschaft und Leistungssport. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will sich bewerben und Berlin bietet sich neben Hamburg an. Doch was bedeutet das für die Stadt?    


Olympia ist eine Megaveranstaltung. Über 17 Tage treten 10.500 Leistungssportler/innen in 28 Sportarten an. Dafür braucht es zusammen mit den Paralympischen Spielen 41 Wettkampf- und 30 Trainingsstätten sowie entsprechende Transportverbindungen. Der olympische Tross belegt 40.000 Hotelbetten und 17.000 Wohnungen im olympischen Dorf. Dazu müssen 25.000 Medienvertreter/innen in einem Pressedorf Platz finden. Die ausrichtende Stadt bindet sich durch Verträge mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) an strenge Regeln für alle Olympiaanlagen und deren Umgebung. Ein Rechtsgutachten für die gescheiterte Bewerbung der Stadt München kommt zu dem Schluss, dass das Vertragswerk nahezu alle Rechte dem IOC zuschlägt, während alle Risiken inklusive der finanziellen an die Ausrichterstadt gehen. Das IOC ist außerdem jeder Steuer- und Abgabenpflicht entbunden. Besonders absurd ist dabei, dass die Bewerberstädte die Verträge unterzeichnen müssen, ohne deren genaue Inhalte zu kennen.     

 

Schneise städtischer Verwüstung    

Ein Blick auf einige Austragungsstädte der Vergangenheit verdeutlicht, welche Folgen Olympische Spiele haben. In Barcelona wurden zu den Spielen 1992 angrenzende Stadtviertel und ein Großteil der Hafenfront umgestaltet. Rund um das olympische Dorf wurden 90% der dort lebenden Roma verdrängt. Neben steigenden Wohnkosten setzten heftige Touristifizierungs- und Gentrifizierungswellen ein, die das Stadtbild bis heute unwiderruflich prägen. Für Atlanta 1996 wurden 2.000 Sozialwohnungen abgerissen und 6.000 Mieter/innen zwangsgeräumt. Während der Wettkämpfe wurden über 9.000 Obdachlose in Gewahrsam genommen. Sydney verzeichnete zwischen 1993 und 2000 einen Anstieg der Mieten um 40%. Von den Olympischen Spielen 2004 in Athen blieben gigantische Ruinen der Wettkampfstätten, da viele der versprochenen Nachnutzungsprojekte nicht umgesetzt wurden. Zudem entstanden Schulden. Die Kosten wurden im Vorfeld auf 4,6 Milliarden Euro geschätzt. Die tatsächlichen Kosten betrugen nach offizieller Angabe 11 Milliarden Euro, unabhängige Schätzungen gehen sogar von 20 Milliarden Euro aus. Ähnliches gilt für die Sommerspiele in London 2012. Kündigte die Stadt in ihrer Bewerbung Kosten von 3 Milliarden Euro an, wurden es am Ende stolze 13 Milliarden Euro. Während der Veranstaltung waren zur sogenannten Terrorabwehr 10.000 Soldaten im Einsatz und auf der Themse war sogar ein Kriegsschiff stationiert. Das Olympiagelände wurde bewusst in Stratford im Osten Londons angelegt, um das Gebiet einer Aufwertung zu unterziehen. Im zweitärmsten Bezirk Großbritanniens steht nun das größte Einkaufzentrum Europas und die Wohnungen im olympischen Dorf werden für 300.000 Euro und mehr verkauft. Das Resultat: Verschärfung der Mietsteigerungen, Wegzug der Armen und ein Niedergang lokaler Kleinökonomie. Die flächendeckenden Zwangsräumungen für die Olympischen Spiele in Peking (2008) und Rio de Janeiro (2016) sind mit Berlin nicht vergleichbar, folgen aber dem olympischen Geist der Verdrängung auf brutale Weise.                                

 

Megaereignis als Katalysator der kapitalistischen Stadt            

Die Stadtforschung bezeichnet Megaereignisse wie Olympische Spiele als Katalysator für die gängigen Tendenzen kapitalistischer Stadtentwicklung. Der zweieinhalbwöchige Ausnahmezustand während der Durchführung ist hier nur ein Teilaspekt. Ein solches Ereignis hat für die Stadt und ihre Bewohner/innen Auswirkungen, die bereits Jahre vor den Spielen zu spüren sind und erst recht danach. Die in Genf ansässige Organisation COHRE (Centre on Housing Rights and Evictions) hat die Auswirkungen in verschiedenen Olympiastädten dokumentiert. Die Austragung der Spiele ist demnach verbunden mit Verdrängung und Zwangsräumungen in ärmeren Wohngegenden, steigenden Mieten und Immobilienpreisen, Schwächung von Mieterrechten, Kriminalisierung von Armut und Obdachlosigkeit, Privatisierung öffentlicher Räume, Unterdrückung von Menschenrechten und Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Das britische Magazin Ceasefire formulierte anlässlich der Spiele 2012: „Möchtest du deine Stadt von den Armen säubern? Trage die Olympischen Spiele aus!“ Die Vertragsgestaltung des IOC sorgt dafür, dass Gewinne privatisiert, Risiken jedoch an die Bevölkerung und öffentlichen Haushalte abgetreten werden. Die Olympiaindustrie rund um das IOC und dessen Sponsoren ist einer der Hauptprofiteure. Bereits heute wird das IOC als zweitwertvollstes Unternehmen der Welt gehandelt. Über die Olympischen Spiele freuen sich auch die Bau- und Immobilienbranche, das Sicherheitsgewerbe, das Stadtmarketing und die Tourismusindustrie, die politische Repräsentanz und sicherlich auch diejenigen Bewohner/innen, die sich die Tickets für die Wettkämpfe oder die Eigentumswohnungen im olympischen Dorf leisten können. Gern wird behauptet, die Kosten der Spiele würden sich in Form von Investitionen, Arbeitsplätzen, Verkaufsumsätzen oder Touristenzahlen schlussendlich für alle auszahlen. Erstens gibt es hierfür kaum belastbare Erkenntnisse und zweitens ist es wie immer in der kapitalistischen Stadt: Selbst wenn oben Profit erwirtschaftet wird, kommt der unten ganz bestimmt nicht an.          

 

„Nachhaltige“ Spiele für ein paar Milliarden?            

Der umfassenden Kritik an den Folgen Olympischer Spiele wird in Berlin bereits vorgebaut. Eine große Koalition aus Parteien, Sport- und Wirtschaftsverbänden und überraschenderweise selbst dem Umweltverband BUND befürwortet eine Bewerbung und will die Olympischen Spiele 2024 in Berlin zu den ersten „nachhaltigen“ Spielen machen. Begründet wird dies damit, dass Berlin bereits ein Olympiastadion sowie mehrere Hallen hätte. Dabei wird vergessen, dass fast alle vorhandenen Sportstätten modernisiert und erweitert werden müssten. Viele Arenen, das olympische Dorf und das Mediendorf müssten neu gebaut werden. Auch hier hängt alles vom Vertragswerk des IOC ab. Letztendlich kann ein Paradigmenwechsel nur vom IOC selbst ausgehen, doch hierfür gibt es bislang keine Anzeichen. Warum auch, denn die Spiele in ihrer heutigen Form rentieren sich ja für das IOC. Inwiefern Kosten von mehreren Milliarden Euro überhaupt nachhaltig sein können in einer hochverschuldeten Stadt, die unter anderem dringend Hunderttausende neue Sozialwohnungen braucht, konnte bisher noch niemand beantworten. Nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld, aber auch nach der von der Bevölkerung abgewählten Olympiabewerbung Münchens für die Winterspiele 2022 bemühen sich Politiker und Sportfunktionäre um die Beteiligung der Berliner/innen. Ins Spiel gebracht wird eine verbindliche Bevölkerungsbefragung. Jedoch müsste dieses Instrument erst per Verfassungsänderung eingeführt werden. Da eine Bewerbung für 2024 bereits im Herbst 2015 beim IOC einzureichen ist, wird es nicht zu einer solchen Befragung kommen können. Der Präsident des DOSB meint sogar zu wissen, dass über ein Ja oder Nein zu Olympia von der Bevölkerung nicht zu entscheiden sei, da sich die Menschen „nicht im Entferntesten vorstellen können“, was sie damit abstimmen würden. Der Senator für Inneres und Sport, Frank Henkel (CDU), spricht stattdessen von Stadtforen, also lediglich kleinen Runden ausgewählter Expert/innen. Es scheint, dass Begriffe wie Beteiligung und Nachhaltigkeit vor allem dazu in die Diskussion gebracht werden, um erst gar keine Proteststimmung aufkommen zu lassen. Für stadtpolitische Initiativen gilt es also dagegenzuhalten. Die Frage, ob Olympia gewollt ist oder nicht, lässt sich sehr wohl und gut begründet mit Nein beantworten. In Hamburg und Berlin gründen sich derzeit NOlympia-Kampagnen. Es ist zu hoffen, dass beide Kampagnen eine gemeinsame Ablehnung zum Ausdruck bringen. Denn denjenigen, die bereits jetzt mit Armut, Obdachlosigkeit, unbezahlbaren Mieten und Verdrängung zu kämpfen haben, bringen Olympische Spiele nichts als noch mehr Ärger und Belastung, sowohl in Hamburg als auch in Berlin.               

 

Protokoll der Olympiadiskussion 2024:

www.nolympia.de/kritisches-olympisches-lexikon/hamburg-berlin-2024

 

Termine:

06.12.2014: Entscheidung des DOSB über die deutsche Bewerberstadt

Herbst 2015: Bewerbung beim IOC

Herbst 2017: IOC wählt Austragungsort 2024


Kontakt zur NOlympiakampagne Berlin:

nolympia-berlin@gmx.de

 

 


MieterEcho 369 / September 2014

Schlüsselbegriffe: Berlin, Olympiabewerbung 2024, Olympische Spiele, Deutsche Olympische Sportbund, DOSB, Touristifizierung, Gentrifizierung, Sydney, Athen, London 2012, Zwangsräumungen, Verdrängung, IOC, Tempelhofer Feld, NOlympia-Kampagne

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