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MieterEcho 363 / Oktober 2013

Maßnahmen gegen Wohnraummangel

In Berlin soll die Zweckentfremdung von Wohnraum wieder verboten werden

Von Joachim Oellerich                                                

In der öffentlichen Wahrnehmung wird Zweckentfremdung von Wohnungen in der letzten Zeit stets mit Ferienwohnungen in Zusammenhang gebracht. Eine Untersuchung des MieterEchos ermittelte bereits vor zwei Jahren, dass ihre Anzahl deutlich die Marke von 12.000 überschritten hatte und während der achtwöchigen Laufzeit der Studie erweiterte allein das größte Portal für Ferienwohnungen sein Angebot um 80 Objekte. Es gab daneben zahlreiche Hinweise auf zusätzliche Umnutzungen in Häusern, in denen bereits Ferienwohnungen vermietet wurden. Die Vermutung war daher begründet, dass die Anzahl ohne bremsende rechtliche Mittel weiter steigen würde (MieterEcho Nr. 350/ Oktober 2011).            

 

Seit Juni 2011 gibt es die Online-Umfrage der Berliner Mieter- Gemeinschaft zu Ferienwohnungen. Viele Betroffene haben Informationen und Erfahrungsberichte zu Ferienwohnungen in ihrem Haus oder in ihrer Nachbarschaft geliefert. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich. Die Erfahrungsberichte zeigen deutlich, wie Berliner Mieter/innen unter den Folgen des Ferienwohnungsbooms leiden. Die Erfahrungen sind fast ausschließlich negativ. Viele der in diesem Jahr im Zuge der Umfrage eingegangenen Kommentare sind auf den nachfolgenden Seiten – natürlich anonym – veröffentlicht.
Die Umfrage finden Sie unter: http://www.bmgev.de/politik/wohnungsmarkt/ferienwohnungen-umfrage.html


Inzwischen dürfte die Zahl der Ferienwohnungen in Berlin annähernd 20.000 betragen. Das „Leben mit Ferienwohnungen“ stellt für die betroffenen Mieter/innen eine Zumutung dar, der viele gerne entfliehen würden, wenn sie die unter anderem dem Ferienwohnungsmissbrauch geschuldete Enge des Wohnungsmarkts nicht daran hindern würde. Das zeigen auch die Kommentare der Umfrage der Berliner MieterGemeinschaft.     

Doch nicht nur Ferienwohnungen, die eine besondere Zweckentfremdung von Wohnraum darstellen, verringern den Wohnungsbestand. Jegliche Umwandlung von Wohn- in Gewerberäume ist in Berlin zurzeit noch ohne eine rechtliche Einschränkung möglich und im September 2012 anerkannte der Bundesgerichtshof die gewerbliche Nutzung durch den Vermieter und dessen Angehörige sogar als Grund für eine Eigenbedarfskündigung. Ein unhaltbarer Zustand angesichts des geringen Wohnungsbaus und der zunehmenden Schwierigkeit für viele Haushalte, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

In Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen gibt es Verordnungen zum Schutz vor Zweckentfremdung und in Baden-Württemberg wurden unlängst ein Zweckentfremdungsverbotsgesetz und eine Verordnung, die Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt stellt, auf den Weg gebracht. 

 

Ich bin mir nicht mal ganz sicher, dass es sich um Ferienwohnungen handelt. Es stehen, teilweise seit Jahren, sechs bis sieben Wohnungen in meinem Haus leer. Sie haben statt eines Namensschilds an der Klingelanlage Ziffern (z. B. „Wohnnung 16“). Ab und zu hört man, dass sich beispielsweise in der Nachbarwohnung, die leer steht, jemand aufhält und man sieht immer wieder fremde Menschen mit Rollkoffern über den Hof gehen. Keine Belästigungen oder Störungen, aber in Ordnung finde ich den Leerstand angesichts zunehmender Wohnungsnot nicht. (30.07.2013)

 

Häuserkampf und Zweckentfremdung           

Begonnen hat die wechselhafte bundesdeutsche Geschichte der Zweckentfremdungsverbote in Hessen. Im Frankfurter Westend sollten in den frühen 70er Jahren die Häuser eines Gründerzeitviertels abgerissen und für die Bodenspekulation frei gegeben werden. Die Errichtung von Bürogebäuden gehörte zu den Zielen der Immobilieneigentümer und um dies zu erreichen, wurden brutale Methoden der Mietervertreibung angewandt. Die Hausbesitzer machten die Wohnungen unbewohnbar, an Sanierungen war überhaupt nicht mehr zu denken, die sanitären Verhältnisse wurden unerträglich, es kam sogar zu Rattenplagen. Gleichzeitig stiegen aber die Mietpreise.   

 

Seit ich hier wohne, wurden allein in meinem Seitenflügel fünf 1-Zimmer-Wohnungen renoviert und umgewandelt. Vorher wohnten dort hauptsächlich Rentner und Studenten. Ruhestörungen gibt es weniger durch die Feriengäste, mehr durch das sehr stark lärmende Reinigungsteam der Ferienwohnungen. (29.07.2013)

 

Widerstand blieb nicht aus. Leergeräumte Häuser wurden wieder besetzt, es bildeten sich Bürgerinitiativen und eine breite Front von Studierenden und Anwohner/innen, unterstützt durch Kirchengemeinden, Teile politischer Parteien und Gewerkschaften erzeugte einen so starken Druck auf die Landesregierung, dass 1972 die „Hessische Verordnung gegen Wohnraumzweckentfremdung“ und damit die erste gesetzliche Maßnahme gegen Zweckentfremdung in Deutschland erlassen werden musste. Das Beispiel machte Schule und schon bald gab es in den meisten Ländern ähnliche Regelungen.         

Das „Hamburgische Wohnraumschutzgesetz“ beispielsweise existiert mit einigen Veränderungen und Erweiterung seit 1982. Neben Anforderungen an die Erhaltung und Pflege von Wohnraum verbietet es Zweckentfremdung: „Als Zweckentfremdung gelten insbesondere 1. die Verwendung von Wohnraum für ausschließlich gewerbliche oder freiberufliche Zwecke, 2. die Überlassung von Wohnraum an wechselnde Nutzer zum Zwecke des nicht auf Dauer angelegten Gebrauchs und eine entsprechende Nutzung, 3. der Abbruch von Wohnraum, 4. das Unbrauchbarmachen durch Zerstören von Wohnraum,

5. das Leerstehenlassen von Wohnraum über einen Zeitraum von länger als vier Monaten.“                                             

 

Es ist ein ständiges Ärgernis! Es wird oft bei offener Wohnungstür gefeiert. Ganz zu schweigen von den Fenstern im Innenhof, der so extrem hallt. Die Fußböden sind alle nicht gedämmt und wenn die mit ihren Koffern ankommen oder abreisen und mit Schuhen durch die Wohnung rennen, wackeln bei uns die Wände. Berlin verkommt zu einem riesigen Hotel. Die Berliner werden weggedrängt. Die Mieter, die noch ausharren, werden oft von der Hausverwaltung schikaniert. Es MUSS endlich was geschehen! (31.05.2013)

 

Abschaffung der Zweckentfremdung und Neubeginn    

Die Offensive gegen die Zweckentfremdungsverbote begann in den CDU-regierten Ländern im Jahr 2000. Baden-Württemberg schaffte das Zweckentfremdungsverbot unter Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) 2001 ab und Roland Koch (CDU) verhalf 2004 den freien Grundbesitzern zur zweckentfremdungsfreien Verwertung ihrer Immobilien.                

In Berlin war es der neoliberale Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), der so lange von einem gesättigten Wohnungsmarkt sprach, bis 2002 das Oberverwaltungsgericht den Vermieterklagen nachgeben musste und die bis dahin gültige Berliner Zweckentfremdungsverbotsverordnung, die an die Voraussetzung eines Wohnungsmangels gebunden war, aufhob. Inzwischen hat sich die Berliner Situation grundlegend gewandelt. Der geringe Wohnungsbau in den letzten zwölf Jahren in Verbindung mit einem kräftigen Anwachsen der Bevölkerung führte zum spürbaren Wohnungsmangel und der liefert den Grund für das rasante Ansteigen der Mieten. Dies wird von Spekulanten aus allen Teilen der Welt ausgenutzt. Die Leerstandsquote ist in weiten Teilen der Stadt unter die 3% einer notwendigen Fluktuationsreserve gesunken. Das jetzt vorliegende und bereits im vergangenen Jahr angekündigte Zweckentfremdungsverbot-Gesetz ist eine notwendige Konsequenz dieser Entwicklung. Eine weitere Verringerung des Wohnungsbestands durch Missbrauch als Ferienwohnungen, Umnutzung in Gewerberäume und durch Leerstand kann nicht hingenommen werden.             

Doch ein Verbot von Zweckentfremdung führt nicht zur Erweiterung des Wohnungsbestands. Nicht nur der Erhalt des Bestands, sondern auch eine Angebotserweiterung ist notwendig und kann nur geschaffen werden durch einen kommunalen Wohnungsbau, dessen Mieten der finanziellen Leistungsfähigkeit der Berliner Bevölkerung angepasst sind. Doch vor dieser Aufgabe drückt sich nicht nur der Senat, auch die Oppositionsparteien scheinen ihr nicht gewachsen. Einen zwingenden, konstruktiven und vor allem sozialen Neubaudiskurs erwartet man von ihnen noch immer vergeblich.       

 

Es gibt zwei Arten von Ferienwohnungen: Einmal für Arbeiter-/ Montage-Gruppen, oft zu vier bis sechs Leuten für ca. zwei bis drei Wochen. Die anderen drei Ferienwohnungen sind für Touristen. Seitdem steht das Haus oft wie ein Taubenschlag offen, Lärmbelästigung, Verdreckung des Hausflurs, Zigaretten, Alkoholflaschen. Obdachlosenübernachtungen im Keller und Drogenabhängigentreff sind die Folgen und sehr unangenehm für Hausbewohner. (29.06.2013)


MieterEcho 363 / Oktober 2013

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