Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 352 / Januar 2012

Eldorado für Investoren

Goldgräberstimmung auf dem Berliner Wohnungsmarkt

Hermann Werle

 

Erhofften im 16. Jahrhundert die spanischen Eroberer, auf dem südamerikanischen Kontinent das sagenhafte Eldorado mit ungeahnten Goldschätzen zu finden, sehen die heutigen Eroberer ihr Eldorado in Berlin. Und in der Tat ist der Berliner Wohnungsmarkt durch den akuten Mangel in einzelnen Wohnungssegmenten und die rasant steigenden Mieten für Investoren aus aller Welt zur Goldgrube geworden. Berliner Mietwohnhäuser sorgen in krisenhaften Zeiten für hohe Wertbeständigkeit und wachsende Einnahmen aus dem Vermietungs- und Umwandlungsgeschäft. Es herrscht Goldgräberstimmung auf dem Berliner Wohnungsmarkt und so geht im Jahr 2012 der Immobilienboom in die nächste Runde.


Während der Neubau von preisgünstigen Mietwohnungen stagniert, boomt in Berlin der Wohnungsbau für die Ober- und Mittelschicht.  Foto: nmp


Zehn Jahre rot-rote Politik hinterließ ein wohnungspolitisches Trümmerfeld, das Mieter/innen nachhaltig und teuer zu spüren bekommen. Die umfangreiche Privatisierung von Wohnungen bei gleichzeitigem Verzicht auf Wohnungsneubau haben ideale Verwertungsbedingungen für private und institutionelle Anleger geschaffen. Durch die wachsende Zuwanderung und die immer kleiner werdenden Haushalte wird der Mangel an kleinen und preisgünstigen Wohnungen zunehmend dramatisch. Absehbar ist, dass sich an diesem Mangel durch die 30.000 Neubauwohnungen, die der SPD-CDU-Senat für die nächsten fünf Jahre versprochen hat, nichts ändern wird. Denn in den 30.000 sind auch Eigenheime und Wohnungen des Luxussegments enthalten. Für die bis September 2011 genehmigten Wohnungsneubauten hält das Amt für Statistik zwar fest, dass mit 5.631 Wohnungen mehr Neubauten als im Vorjahr genehmigt wurden, darunter befinden sind allerdings allein rund 1.500 in 1- und 2-Familien-Häusern. Weitere 1.381 Wohnungen entstehen unter anderem durch Dachgeschoss-ausbauten. Auf die verbleibenden annähernd 2.700 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern dürfte die Einschätzung des Wohnungsmarktberichts 2010 der Investitionsbank Berlin (IBB) zutreffen, „dass viele dieser neuen Geschosswohnungen als Eigentumswohnungen realisiert werden und dies auch zukünftig so sein wird. In den innerstädtischen Lagen sind nur wenige reine Mietwohnungsprojekte zu finden.“

Wohnungsbau für Reiche

Bestätigt wird die Einschätzung durch das ebenfalls von der IBB veröffentlichte Wohnungsmarktbarometer vom September 2011. Dieses Barometer beruht auf Befragungen von Branchenkenner/innen, die zum Schluss kommen, dass das Investitionsklima beim Neubau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen „am besten“ beziehungsweise „eher gut“ sei und verglichen damit das Klima für den Bau von Mietwohnungen am schlechtesten abschneide. Im Fazit erwarten die befragten Expert/innen „steigende (Miet-)Preise, eine steigende Nachfrage und eine Verknappung des Angebots. Besondere Engpässe sehen sie bei Mietwohnungen im unteren Preissegment“. Das obere Preissegment der Eigentumswohnungen erscheint da in ganz anderem Glanz. Die „Schönen und Reichen“, die ihren Haupt-, Zweit- oder Drittwohnsitz in den Innenstadtbezirken der Hauptstadt erwerben, können sich an funkelnagelneuen Eigentumswohnungen des „höherpreisigen Segments“ erfreuen. Das Angebot an Wohnungen der Luxusklasse hat in den östlichen Bezirken – bevorzugt in Mitte – nach einer Studie der Marktanalysten von BulwienGesa in 2010 leicht zugenommen. Die Preise der 1.710 untersuchten Wohneinheiten lagen zwischen 3.500 und 5.000 Euro/qm, wobei Wohnungen mit über 150 qm die höchsten Preise erzielten. Dagegen sei ein Rückgang „bei Projekten im niedrigeren Preissegment zwischen 2.000 und 2.500 Euro/qm zu verzeichnen.“ Für die westlichen Bezirke ermittelte BulwienGesa für 1.625 Wohneinheiten einen Durchschnittspreis von 3.500 Euro. Äußerst beliebt sei Kreuzberg, wo die meisten Eigentumswohnungen entstanden und zum Durchschnittspreis von 2.850 Euro/qm zu haben waren. In den unteren Preisklassen dürften sich die Zweitligisten der Baugruppen-Mittelschichtler wiederfinden, die angesichts steigender Mieten und geplagt von Inflationsängsten ihre Erbschaften, Bausparverträge und  Sparvermögen in den sturmsicher erscheinenden Hafen des Wohneigentums manövrieren.

Goldgrube Mietwohnhäuser

Bei dieser Bauleistung könnte von der Angebotsseite her also allenfalls für die hochpreisigen Segmente eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erwartet werden. Im mittleren und niedrigen Preissegment, welches für die Mehrheit der Berliner Mieter/innen von Relevanz ist, sieht es weniger erfreulich aus. Hier finden sich die Wohnungsbestände, die seit einigen Jahren  Begehrlichkeiten bei inländischen wie ausländischen Investoren wecken. Diesen Begehrlichkeiten wurde von der Politik unter anderem mit dem Verkauf der GSW vor acht Jahren entsprochen. Nach einer Zeit gedämpften Engagements können auf dem deregulierten Berliner Wohnungsmarkt Investorenträume nun wieder Wirklichkeit werden. Nicht mehr die Politik, sondern die Finanzinvestoren sitzen an den Stellschrauben des Wohnungsmarkts und drehen dabei mächtig an der Mietenschraube. In den Worten des Gutachterausschusses (GAA), der im Auftrag des Landes Berlin regelmäßig Informationen über den Berliner Immobilienmarkt liefert, liest sich das im Bericht für 2010 so: „Nach der heißen Phase in den Jahren 2006/2007 und der darauf folgenden Rückkehr zur Normalität bei den Umsatzzahlen bis in das Jahr 2009 zeigt sich der Berliner Immobilienmarkt inzwischen wieder im Aufwind begriffen. (...) Der schon 2009 erkennbare Aufwärtstrend bei reinen Mietwohnhäusern setzte sich 2010 mit einem klaren Plus nach Verkaufszahlen (15%) und nach Geldumsatz (29%) fort.“ Schwerpunkte des Handels mit Mietwohnhäusern mit einem „Zuwachs nach Geldumsatz (76%) und nach Flächenumsatz (67%)“ seien Neukölln, Kreuzberg und Mitte. Der letzte Bericht des GAA für das erste Halbjahr 2011 bestätigt die Entwicklung, dass reine Mietwohnhäuser „besonders begehrt sind“ und „einen Anstieg nach Kauffällen von 48% auf 481 Vertragsabschlüsse verzeichnen“, wobei der Geldumsatz um 109% gestiegen sei.

Geschäftsfeld Gentrifizierung

Vor dem Hintergrund des Wohnungsmangels, der dadurch angefachten Mietenexplosion und der Daten des GAA begrüßte auch Michael Schick das neue Jahr. Der Chef des gleichnamigen Investmentmaklerunternehmens und  Vizepräsident des Deutschen Immobilienverbands (IVD) prognostiziert, dass 2012 „vor allem eigenkapitalstarke Investoren, private wie institutionelle, den Markt für Zukäufe nutzen“ werden. Das sei sein Ausblick „auf ein neues, spannendes Immobilienjahr, in dem Berlin wieder der am stärksten nachgefragte  Immobilienmarkt sein wird, mit weitem Abstand vor Hamburg und München“. Die reinen Mietwohnhäuser seien die „Outperformer “ auf dem Berliner Immobilienmarkt gewesen, was heißen soll, dass weder mit Eigenheimen noch mit Büroflächen annähernd so viel Geld zu verdienen ist wie mit Mietwohnhäusern. Besonders fasziniert ist der  Immobilienmakler von Neukölln, einem „immobilienwirtschaftlichen Hotspot“, wo der Begriff „Segregation“ der „Gentrifizierung“ als der „neuen Lieblingsvokabel der Stadtsoziologen“ gewichen sei. Seinen  Augen habe er nicht getraut, „als immer mehr Akademikerhaushalte in Neukölln ihre Bleibe suchten. Mittlerweile gibt es auch die dritte Welle von Neu-Neuköllnern. Nach den Dinks („Double income, no kids“) kommen jetzt auch junge Familien, die ihren Kinderwagen Richtung Hermannplatz schieben“. Dass sich eine Investition in Gentrifizierungslagen als besonders lohnend erweist, belegt  der Makler anhand einfacher Beispiele, wonach beispielsweise Wohnungen, „die bisher für 4 oder 4,50 Euro nettokalt vermietet waren, nach einem Auszug, ohne viel daran machen zu müssen, für 6 oder 6,50 Euro neu vermietet“ werden konnten. Und wer noch etwas in die Wohnung investiere, könne auch „mehr als 7 Euro erzielen“. Die aktuellen Angebote im nördlichen Neukölln beginnen für 1- und 2-Zimmer-Wohnungen bei rund 7 Euro/qm nettokalt, aber auch Mieten um die 10 Euro/qm sind keine Seltenheit mehr und geben dem Immobilienprofi vollkommen Recht. Gentrifizierung ist ein Geschäftsfeld, wo sich ein Investment lohnt.

Vom Eldorado zum Underperformer

An Geld für Investitionen mangelt es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, pleite sind nur die Staaten, die versäumen, das Geld bei denen einzusammeln, die darüber in Hülle und Fülle verfügen. Auf der anderen Seite besteht die Krise der Vermögenden darin, in Zeiten von Euro- und  Wirtschaftskrise nicht zu wissen, wo das Geld Rendite bringend angelegt werden kann. Berliner Mietwohnhäuser bieten sich bei dieser Problemlage als Eldorado für Investoren an, auch „wenn die Renditen von 9 auf 7,5% gesunken sind“, wie Michael Schick betont. Diese Renditeaussichten lassen sich jedoch eintrüben. Mieter/innen sind nicht wehrlos und durchaus in der Lage, das Geschäft mit Mietwohnhäusern zum Underperformer  werden zu lassen.  Als Underperformer bezeichnen Analysten Aktien, von denen sie annehmen, dass sie sich schlechter als der Index oder der Benchmark entwickeln werden.


Fundamental kann dem Berliner Eldorado allerdings nur mit einem sozial orientierten Wohnungsbau begegnet werden. Nach einer Kalkulation der Aengevelt-Immobilien-Gesellschaft fehlen bis 2025 rund 150.000 Wohnungen.  Und  da „zusätzlich für die reine Reproduktion der Altbestände rund 4.260 neue Wohneinheiten erforderlich sind,  müssten also jedes Jahr mehr als 10.500 Wohnungen neu fertig gestellt werden“. Davon ist der Berliner Senat meilenweit entfernt.


MieterEcho 352 / Januar 2012

Schlüsselbegriffe: Investoren, Berliner Wohnungsmarkt, Immobilienboom, rot-rote Politik, Privatisierung, Wohnungsmarktbarometer, IBB, Eigentumswohnungen, Wohnungsmangel, Mietenexplosion, Segregation

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