Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 357 / Dezember 2012

Dicke Pullover stricken für die Energiewende

Die weit verbreiteten Zahlen zu Einsparpotenzialen sprechen eindeutig für energetische Modernisierungen. Aber wer rechnet eigentlich mit diesen Zahlen und für wen rechnen sie sich nicht?

Hermann Werle

Den Dämmplatten an den Fassaden und den neuen Fenstern folgen regelmäßig drastische Mieterhöhungen, die viele Mieter/innen an die Grenzen der Bezahlbarkeit ihrer Wohnung und auch darüber hinaus bringen. Forschungseinrichtungen, die Industrie und auch die Bundesregierung argumentieren im Gleichklang, dass die sinkenden Energiekosten diesen Nachteil ausgleichen würden. So würden Mieter/innen wie auch Vermieter und natürlich auch die Umwelt von energetischen Modernisierungen profitieren.



„74% der Mieter unsanierter Wohnungen wünschen eine energetische Modernisierung“, verkündet der Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme in seinem Energiesparkompass 2012. Dem Lobbyverband der Dämmstoffindustrie zufolge würden sogar „68% von ihnen dafür eine deutliche Mieterhöhung akzeptieren“. Diese Zahlen dürften für Berlin stark überhöht sein. Die  Angaben zu den Einsparpotenzialen durch energetische Modernisierungen, die die Dämmstoffindustrie liefert, sind nicht weniger zweifelhaft. So erklärt der weltgrößte Chemiekonzern BASF in einer Produktwerbung, dass unsanierte Altbauten „im Schnitt einen Jahresheizwärmebedarf von 200 bis 300 Kilowattstunden (kWh)/qm“ hätten. Der oben erwähnte Fachverband geht in einer Modellrechnung von 211 kWh/qm in einem Haus der Baualtersklasse von 1969 bis 1978 aus.


Altbaubestand – besser als sein Ruf

Tatsächlich ist die Baualtersklasse von großer Bedeutung. Eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ging 2010 der Frage nach: Energieeffizienz im Altbau – werden die Sanierungspotenziale überschätzt? Die Untersuchung stützt sich auf Daten des Energiedienstleisters „ista“ von rund 200.000 Gebäuden und kommt zum Ergebnis, dass „der tatsächliche Energiebedarf von Mehrfamilienhäusern teilweise drastisch unterhalb der in anderen, in erster Linie eher auf bautechnischen Beurteilungen fußenden Studien liegt“. Der als wenig effizient geltende Altbau der Baualtersklasse bis 1918 (knapp 27% des Berliner Bestands) liegt demnach bei großen und mittleren unsanierten Gebäuden zwischen 135 und 141 kWh/qm. Für die Bestände von 1919 bis 1949 (15% des Berliner Bestands) und Gebäude, die bis 1978 gebaut wurden, ermittelte das IWH als höchsten tatsächlichen Verbrauchswert 152 kWh/qm pro Jahr. Diese Werte liegen weit unter den Angaben der Industrie und ihrer Lobby. Es wird also, so könnte vermutet werden, bereits sparsam mit Energie umgegangen. So sparsam, dass sich eine energetische Modernisierung und die dadurch folgenden Mietsteigerungen für Mieter/innen keinesfalls rechnen können. Das wird umso deutlicher, wenn das IWH feststellt, dass bei Bauten bis 1918 die „ermittelten Einsparpotenziale lediglich zwischen 10% und 15%“ liegen. „Entgegen den häufig genannten Zahlen, dass im Altbaubestand durchschnittliche Einsparungen von rund 50% erreicht werden können, sprechen die auf breiter empirischer Basis ermittelten Werte eher dafür, dass das betriebswirtschaftliche Optimum teilweise erheblich darunter liegt.“


Mietrechtliche Behutsamkeit

Zur ersten Lesung des Mietrechtsänderungsgesetzes  erklärte die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am 27. September, dass die Regierung Anreize für Vermieter schaffen wolle, „und zwar in sehr ausgewogener Weise“. Damit solle ermöglicht werden, „dass Sanierungsmaßnahmen, die im Durchschnitt – wenn es sich um Fassaden, um Fenster, um anderes handelt – in einer Zeit von drei Monaten durchgeführt werden, geduldet werden und dass für diese Zeit, wenn es zumutbar ist, keine Forderungen nach Mietminderungen erhoben werden“. Nach Meinung der FDP-Ministerin ist das „ein behutsames Vorgehen mit dem Ziel, gerade die privaten Vermieter dazu zu ermuntern, zu investieren, und zwar in einer Weise, dass es auch dem Mieter zugute kommt“. Während sich der geldwerte Nutzen für die Immobilienbranche sowie die Dämmstoffindustrie von vornherein kalkulieren lässt, bekommen die Mieter/innen die Rechnung serviert. Zwar soll die energetische Modernisierung aufgrund der „künftig niedrigeren Nebenkosten“ insgesamt vorteilhaft sein, aber die geringen Einsparpotenziale lassen das kaum zu, denn die immensen Kosten der energetischen Modernisierung können dauerhaft mit 11% auf die Miete umgelegt werden. Die möglichen Mieterhöhungen liegen dadurch bei mindestens 2,35 Euro/qm, wie das Institut für Wohnungswesen in einer Studie von 2011 festhielt. Demgegenüber stünde eine dürftige Einsparung an Energiekosten von rund 37 Cent, wenn durch die energetische Modernisierung der Primärenergieverbrauch eines vergleichbaren Neubaus erreicht wird. Für den Aufschlag muss eine Oma lange (dicke Pullover) stricken – und sollte die Heizung dabei außer Betrieb lassen.




MieterEcho 357 / Dezember 2012

Schlüsselbegriffe: Energiewende, energetische Modernisierung, Dämmstoffindustrie, Altbaubestand, Energieeffizienz, Mietsteigerungen, Mietrechtsänderungsgesetzes, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

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