Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Neuköllner Stoff bedeutet Neuköllner Zoff

Anwohner/innen gegen neuen Touristen-Markt am Maybachufer

Andreas Stöhr für die Anwohner/innen am Maybachufer

 

Im vergangenen Oktober wurden die Anwohner/innen des Maybachufers durch über Nacht angebrachte Parkverbotsschilder darauf aufmerksam, dass vor ihrer Haustür zu dem seit Jahrzehnten am Dienstag und Freitag stattfindenden „Türkenmarkt“ zusätzlich jeden Samstag ein Markt unter dem Titel „Neuköllner Stoff – edel, hilfreich und gut“ stattfinden wird. Die Bewohner/innen des Maybachufers sind sowohl vom Projekt als auch von der Vorgehensweise des Ordnungsamts und des Marktbetreibers verärgert.

 

 

Bereits Mitte November 2010 erhielt Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) ein Protestschreiben mit über 100 Unterschriften. Durch den neuen Markt am Samstag wird am Maybachufer eine Belastung für die Anwohnerschaft geschaffen, die in Berlin einmalig ist. Neben dem zweitgrößten Markt Berlins – dem BiOriental-Markt, vielen als Türkenmarkt bekannt – dienstags und freitags mit jeweils über 200 Ständen findet nun samstags ein weiterer Markt mit 140 Ständen statt. Das bedeutet anstelle von 100 nun 150 Tage im Jahr mit einem Markt vor der Tür, mit jeweils inklusive Auf- und Abbau bis zu 16 Stunden Marktgeschehen. Den Anwohner/innen machen insbesondere Lärm, Parkplatzprobleme, Müll, Geruchsbelästigungen und zunehmend auch Straßenmusik zu schaffen. Ihre Belastbarkeit war bereits vor der Einführung des neuen Markts mehr als erreicht, zumal über Jahre offensichtlich Auflagen, insbesondere bezüglich der Auf- und Abbauzeiten, grob verletzt wurden, was vom Marktbetreiber Rainer Perske eingeräumt und teilweise auch behoben wurde.

Nichtbeachtung der Anwohner/innen

Vor diesem Hintergrund erscheint die Genehmigung des neuen Samstag-Markts durch das Neuköllner Ordnungsamt völlig unverständlich. Schlimmer aber noch wiegt, dass das Ordnungsamt „keine rechtliche Handhabe sah“, den Markt „willkürlich zu versagen“, da kein „öffentliches Interesse“ dagegen sprach. Daraus lässt sich folgern, dass zukünftige Anträge auf weitere Märkte ebenfalls positiv beschieden werden. Eine Bürgerbeteiligung fand beim Entscheidungsprozess über den zusätzlichen Markttag nicht statt, und einen unangenehmen Beigeschmack erhält die Genehmigung dadurch, dass der Bezirk Neukölln finanziell direkt und indirekt vom neu genehmigten Markttag profitiert. Das Ordnungsamt, das im Sinne der Allgemeinheit und des öffentlichen Interesses agieren sollte, trat in eine Interessengemeinschaft mit dem gewinnorientierten Marktbetreiber. Unter Mithilfe des Bezirksamts findet eine Privatisierung des öffentlichen Raums statt, der zwischen 1995 und 2007 zu einem Sanierungsgebiet gehörte und mithilfe von öffentlichen Geldern erst in den heutigen Zustand gebracht wurde.

Verweigerung der Akteneinsicht

Die mangelnde Neutralität des Ordnungsamts zeigt sich bereits darin, dass es nach einem halben Jahr Protest und zahlreichen schriftlichen und mündlichen Anfragen der Bürger/-innen alle Auskünfte verweigert, beispielsweise über die genauen Auflagen bezüglich Auf- und Abbauzeiten sowie die ausgewiesene Fläche, Sicherung der Feuerwehrzufahrt, Unfallfluchtordnung etc. Bis heute wurde keine Akteneinsicht gewährt. Die Haltung des Ordnungsamts scheint von Bezirksbürgermeister Buschkowsky beeinflusst zu sein, der auf den Protestbrief der Anwohner/innen antwortete, man möge sich doch „in etwas Geduld und Toleranz üben“ und daran erinnerte, dass sich Tucholskys Ideal von „vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“ eben nicht immer verwirklichen lasse. Anwohner/innen, die teilweise seit Jahren und Jahrzehnten bereits mit Tausenden von Markttagen konfrontiert sind, empfinden das als Unverschämtheit.

Treiber für Gentrifizierung

Viele Anwohner/innen sehen den neuen Samstag-Markt am Maybachufer zudem als bedenklich für den gesamten Kiez an. Die jüngst stark gestiegene Anzahl von Touristen beeinträchtigt die Lebensqualität bereits spürbar. Nächtliche Ruhestörungen, Müll, zerbrochene Flaschen auf Straßen und Gehwegen, stundenlange Straßenmusik und öffentliches Urinieren gehören zur Tagesordnung. Ferienwohnungen und Zweitwohnsitze vernichten Wohnraum, zahlreiche gastronomische Neueröffnungen und Beherbergungsbetriebe verändern den Stadtteil, und gewachsene Kiezstrukturen werden durch steigende Gewerbemieten verdrängt. Die Blüte der „Neuköllner Kreativität“ droht durch kurzfristiges Profitinteresse zu ersticken. Der Samstag-Markt soll weitere Touristen anlocken, und so wurden an den Flughäfen mit großem Aufwand Werbeflyer verteilt. Der Markt soll als „Premium-Markt“ in erster Linie nicht die Bewohner/innen des Kiezes ansprechen, sondern entsprechend seinem Untertitel „edel, hilfreich und gut“ zahlungskräftige Touristen. Viele Anwohner/innen sind jedoch der Ansicht, dass im Sinne einer nachhaltigen und behutsamen Stadtentwicklung Neuköllns der Markt weder hilfreich noch edel noch gut ist und dass eine rein quantitative Steigerung der Touristenzahlen an dieser Stelle des Bezirks nicht wünschenswert ist, sondern vor allem zur weiteren Gentrifizierung beiträgt. Daher fordern die Anwohner/innen des Maybachufers den Bezirksbürgermeister und den Marktbetreiber auf, den Stoff-Markt und damit den dritten Markttag am Maybachufer nicht über den bereits genehmigten Zeitraum hinaus durchzuführen.

 

MieterEcho 348 / Juli 2011


Schlüsselbegriffe: Maybachufer, Türkenmarkt, Touristen-Markt, Heinz Buschkowsky, Neukölln, BiOrientalMarkt, Lärm, Ordnungsamt, Protest, Gentrifizierung, Touristen, Straßenmusik, Gewerbemieten

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