MieterEcho

MieterEcho 334/Juni 2009

Quadrat TITEL

Die Ruhe vor dem Sturm

Die Veränderungen des Berliner Wohnungsmarkts anhand der Mietspiegel 2007 und 2009

Joachim Oellerich

Der Berliner Mietspiegel 2009 scheint unspektakulär und ist dennoch überraschend. Sämtliche Wohnungsmarktberichte - davon gibt es inzwischen mindestens vier, nicht eingerechnet die Ergänzungen zum Mietspiegel - stellen eine Anspannung des Wohnungsmarkts fest. Kein Wunder: Die Nachfrage vergrößert sich seit Jahren. Die Berliner Bevölkerung ist seit 2005 um 20.000 Personen angewachsen, die Zahl der Haushalte hat sich in demselben Zeitraum deutlich vergrößert. Der Wohnungsbau hingegen stagniert. Die neue Anspannung auf dem Wohnungsmarkt bildet der neue Mietspiegel nicht ab.

Allgemein wird mit einem jährlichen Schwund von 1% aller Wohnungen gerechnet, das wären knapp 19.000 der 1,88 Millionen des Gesamtbestands. Doch gebaut wurden in den letzten Jahren allenfalls 3000 Wohnungen pro Jahr. Davon sind die meisten Eigenheime oder Luxuswohnungen. D.h. bei der ungebremsten, gegenläufigen Bewegung von Angebot und Nachfrage ist die für Investoren frohe und aufmunternde Botschaft des GSW-Wohnmarktreports eine korrekte Beschreibung der Lage: "Mieten aufwärts, Preise abwärts: Renditen steigen". Hinzu kommt, dass sozialer Wohnungsbau ein Begriff aus der Vergangenheit ist, der von der neoliberalen Stadtpolitik dem Müllhaufen der Geschichte überantwortet wurde, und dass der sogenannte Wohnungsleerstand nur ein Alibi für politische Untätigkeit darstellt. Der Mietspiegel drückt dies nicht aus, er signalisiert die Ruhe vor dem Sturm.

Halbstandard = mit Sammelheizung oder Bad und mit WC in der Wohnung

Vollstandard = mit Sammelheizung, Bad und mit WC in der Wohnung

Baualtersklasse bis 1918 Halbstandard

Dieser Klasse werden 114.700 Wohnungen zugerechnet. Das sind 4600 weniger als 2007. Der Bestand schmilzt durch mietpreissteigernde Modernisierungen und die Einordnung in die Klasse der Vollstandardwohnungen. Die steigende Nachfrage nach preiswerten Wohnungen zieht die Mieten in diesem Segment nach oben, und daher liegt die ausgewiesene Steigerung der Mittelwerte mit 3,2% deutlich über dem Durchschnitt. Am stärksten nachgefragt werden Wohnungen über 60 qm in einfacher Lage. Eine Steigerung von 13% ist das Ergebnis.

An dieser Stelle sei erneut gewarnt. Die Wohnungen dieses Marktsegments sind nicht für ALG-II-Beziehende geeignet, denn durch Modernisierung kann eine Halbstandard- schnell zur einer Vollstandardwohnung werden. Mieterhöhungen und damit Überschreitungen der von den Jobcentern als angemessen bewerteten Wohnkostensätze sind vorprogrammiert. Wer die daraus entstehenden Probleme kennt - und die Berliner MieterGemeinschaft hat hier viele leidvolle Erfahrungen sammeln müssen - kann Mieter/innen nur empfehlen, sich nicht von den möglicherweise noch günstigen Mieten in eine Falle locken zu lassen.

Baualtersklasse bis 1918 Vollstandard

Ein schwer beschreibbares Segment, weil es so unterschiedliche Bestände enthält wie die Wohnungen in den teuren Lagen Charlottenburgs, in den von neuen Mittelschichten nachgefragten Bezirken Prenzlauer Berg, Mitte usw., aber auch die Wohnungen in den sozial schwachen Gebieten wie Wedding und Neukölln. Letztlich schrumpfen die Veränderungen zu einer unterdurchschnittlichen Steigerung von 0,1% der Mittelwerte zusammen.

Baualtersklasse 1919 - 49 Halbstandard

Diese Klasse enthält nur noch 38.000 Wohnungen. Mit 1,3% Steigerung bewegt sich die Veränderung im Durchschnitt. Auch hier gilt, was für die Halbstandardwohnungen bis 1918 gesagt wurde: Sie sind trotz niedriger Mietpreise für ALG-II-Empfänger nicht geeignet. Denn aus diesen billigen Wohnungen können aufgrund von Modernisierungen schnell teure werden.

Baualtersklasse 1919 - 49 Vollstandard

Diese Klasse gehörte zu den preiswerten Segmenten. Die Wohnungen wurden zwischen den Kriegen zum großen Teil von sozial orientierten Wohnungsbaugesellschaften errichtet, hatten einen für damalige Zeiten hohen Wohnstandard, der wenig Raum für mietsteigernde Modernisierungen ließ. Doch auch hier entfalten sich die Marktgesetze: Eine immer weniger zahlungskräftige Mieterschaft fragt diese günstigen Wohnungen verstärkt nach, und das Ergebnis sind überdurchschnittliche Mietsteigerungen von 3,7 %.

Baualtersklasse 1950 - 55

Auch die Mieten der frühen Sozialbauten steigen mit 3,6% überdurchschnittlich. Verstärkte Nachfrage und das Wirken der neuen Investoren spielen zusammen. Die ehemaligen Sozialwohnungen der seinerzeitigen gemeinnützigen, heute privatisierten Wohnungsbauunternehmen dienen als Preistreiber. Kann eine liberalere Stadtpolitik erfolgreicher sein?

Baualtersklasse 1956 - 64

Der ehemalige soziale Wohnungsbau hält sich mit seinen Mietsteigerungen diesmal im Durchschnitt, nachdem die neuen Investoren in vergangenen Jahren die Mieterhöhungsspielräume voll ausgereizt hatten.

Baualtersklasse 1965 - 72

Bereit der letzte Mietspiegel ließ erkennen, dass diese Baualtersklasse durch das Auslaufen der Bindungen des sozialen Wohnungsbaus ein moderates Mietniveau und geringe Steigerungen aufweist. Eine Tendenz, die sich fortsetzt, denn der Mietspiegel meldet eine Senkung von 1%.

Zur Erläuterung: Die preisgebundenen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus unterliegen dem Kostenmietrecht. Erst wenn die Bindungen auslaufen, werden die Wohnungen, wie es in diesem Segment der Fall ist, vom Mietspiegel erfasst. In früheren Jahren verdienten diese Mieten mitunter die Bezeichnung sozial - wenn jetzt die Wohnungen vom Kostenmietrecht in das Vergleichsmietensystem wechseln, dämpfen sie aufgrund der niedrigen Ausgangsmieten automatisch das Preisniveau.

Baualtersklasse 1973 - 83 West

In dieser Baualtersklasse scheint eine Gegenbewegung einzusetzen, denn die Mieten steigen mit 3,6% überdurchschnittlich. Die Wohnungen mittlerer Größe in guter Lage sind mit einer Mietpreissteigerung von 17% Spitzenreiter des aktuellen Mietspiegels.

Baualtersklasse 1984 - 90 West

12.500 Wohnungen zählen zu dieser Baualtersklasse, in der sich die überteuerten Wohnungen des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus befinden, die inzwischen keine Anschlussförderung mehr erhalten. Hier sinken die Mieten um 2,4 %. Dennoch ist das Mietniveau hoch.

Baualtersklasse 1973 - 90 Ost

Wie es die "Platte" geschafft hat, mit ihrem Mittelwert über dem Berliner Durchschnitt zu liegen, ist ein finsteres Kapitel in der Geschichte der Wohnungspolitik. Möglicherweise sind jetzt die Steigerungspotenziale ausgeschöpft, denn der aktuelle Mietspiegel weist keine weiteren Mieterhöhungen mehr aus. Das aber gibt Anlass, weitere Abrisse zu befürchten.

Ab 1990

Diese vergleichsweise teuren Wohnungen weisen eine durchschnittliche Steigerung auf. Sehr viel wurde bereits in den Jahren nach der Wende nicht gebaut, und in den letzten Jahren muss ein fast gänzlich stagnierender Wohnungsbau zur Kenntnis genommen werden.

Fazit

Dieser Mietspiegel täuscht über die drohenden Entwicklungen hinweg. Zu befürchten ist, dass sich schon bald die Versäumnisse einer Politik, die sich nur an den Interessen von Finanzinvestoren orientiert hat, zeigen werden. Die Regierungsparteien haben weitgehend darauf verzichtet, ihr personelles Tableau mit wohnungspolitischer Kompetenz auszustatten. Der kleinere Koalitionspartner, die Partei Die Linke, hat es geschafft, der sozialen Wohnraumversorgung in einer kapitalistischen Gesellschaft absolutes Desinteresse entgegenzubringen. Sie beschränkte sich darauf, Finanzinvestoren zu bedienen und dies als "Notlagenverkäufe" zu deklarieren.

Eine Wende ist nötig, oder um einen konservativen Bundespräsidenten zu zitieren: Es muss ein Ruck durch das politische Denken gehen. Ein Ruck zugunsten einer Wiederorientierung auf eine soziale Wohnungspolitik.

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