MieterEcho 331/Dezember 2008: Neues Wohnen im Alter?

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MieterEcho 331/Dezember 2008

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Neues Wohnen im Alter?

Besondere Wohnbedürfnisse oder Generation 50+ im Visier des Immobilienmarkts?

Benno Kirsch

In den meisten Industrieländern altert die Bevölkerung, d. h. die Zahl der Älteren nimmt in Relation zur Gesamtbevölkerung immer weiter zu. Eine Umkehr dieses Trends ist nicht in Sicht. Diese Entwicklung stellt Volkswirtschaften vor neue Herausforderungen und gebiert neue Märkte. Man nennt die Älteren „Senioren“ oder „Generation 50+“, Politik und Wirtschaft haben sie gleichermaßen als Zielgruppe entdeckt. Im Jahr 2020 werden in Berlin 1,51 Millionen Menschen jenseits der 50 leben – ein Zuwachs von 274.000 seit 2007.

In der Studie „Wohnformen der Zukunft. Veränderungspotenziale und Motivationen der Generation 50+ in Berlin“, die vor Kurzem im Auftrag der LBS Norddeutsche Landesbausparkasse Berlin-Hannover von der Empirica AG erstellt worden ist, wird die Generation 50+ in drei Gruppen eingeteilt: die „Bestandsoptimierer“, die „Umzügler“ und die „Passiven“.

Studie identifiziert Zielgruppen

Die Passiven lassen keine Neigung erkennen, ihre Wohnsituation zu ändern. Die Bestandsoptimierer sind solche, die vorhaben, mindestens 10.000 Euro in näherer Zukunft in ihr Haus oder ihre Wohnung zu investieren. Die Umzügler schließlich wollen sich wohnlich verändern. Sie spielen in Berlin eine überdurchschnittlich große Rolle, weil Berlin eine Mieterstadt ist und Wohneigentum nicht so weitverbreitet ist wie in anderen Bundesländern. In Berlin werden 14% der Generation 50+ zu den Bestandsoptimierern gerechnet (Bundesdurchschnitt: 34%), die Umzugsbereiten machen 41% aus (Bundesdurchschnitt: 30%) und die Passiven 43% (Bundesdurchschnitt: 35%). Das Potenzial der Generation 50+ wird zunehmen, vermuten die Autoren der Studie.

Die Zahl der Bestandsoptimierer ist in Berlin im Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt niedrig, und darüber hinaus ist die Bereitschaft zu Veränderungen der eigenen Wohnung – z. B. barrierefreier Umbau – noch einmal niedriger. Der Grund sei, so interpretiert der Bericht, dass die Mieter/innen häufig einen „institutionellen Eigentümer“ haben, der seine Zustimmung zu einer größeren Veränderung geben muss. Dies habe zur Folge, dass „eher passive Mieter (erzogen) werden im Unterschied zu den privaten Investoren, die aktive Mieter fördern“. Nicht überraschend kommt dann die Erkenntnis daher, dass Bestandsoptimierer mit gutem Einkommen oder Bausparverträgen „signifikant häufiger“ ihre Wohnung oder ihr Haus verändern.

Alternative zum „Altengetto“ gesucht

60.000 Menschen, die über 50 Jahre alt sind, ziehen in Berlin jedes Jahr um, davon etwa ein Drittel wegen des Gedankens an das Alter und allem, was damit einhergeht: Man will eine Wohnung mit Aufzug oder sucht eine Gegend, in der spezifische Dienstleistungen in kurzer Entfernung angeboten werden. Der Annahme, dass die Umzügler sich aus finanziellen Gründen verkleinern wollen, widersprechen die Autoren. Sie schließen das aus dem Umstand, dass deren Mieten gegenüber den Mieten von denen, die nicht umziehen, um 40 Euro höher liegen. „Offensichtlich spielen finanzielle Motive also eher eine untergeordnete Rolle beim Umzug älterer Haushalte“, lautet die Schlussfolgerung. Die Umzügler sind mobil, individualistisch und vorausschauend. Sie ziehen früh um und suchen sich Wohnanlagen mit angeschlossenen Dienstleistungen. Wohnformen, die man als „Altengetto“ ansehen könnte, lehnen sie ab.

Unterschiedliche Wohnformen

Dass Geld die beste Voraussetzung ist, um selbstbestimmt zu leben, wird anhand der Lektüre des Berichts ebenfalls klar. Während die agilen Wohlhabenden frühzeitig bereit sind, ihre Wohnsituation zu verändern, haben die Passiven in der Regel geringere finanzielle und soziale Möglichkeiten. Sie haben zwar ähnliche Wünsche wie die anderen, allerdings „haben die Betreffenden entweder nicht die finanziellen Mittel oder die Managementkompetenzen, um selbst entsprechende Veränderungen durchführen zu können. Bei den Passiven sind diejenigen, die später mit zunehmender Hilfs- und Pflegebedürftigkeit ‚notgedrungen’ umziehen müssen, besonders stark vertreten.“

Man kann vier verschiedene Wohnformen identifizieren, die speziell für die Generation 50+ geeignet sind: spezielle neue Angebote für Senioren, umstrukturierter vorhandener Wohnungsbestand, neue Wohnprojekte und Pflegeeinrichtungen.

Speziell zugeschnittene Angebote

Erstens gibt es für die Generation 50+ Angebote für Wohnungen, die speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind. Ein Beispiel für ein hochpreisiges Angebot an seniorengerechtem Wohnen ist das neue Hofjägerpalais im Köbisdreieck, das barrierefreie Wohnungen und einen Doorman-Service bietet. Für die ruhige Lage am Rande des Tiergartens, aber mit fußläufig erreichbaren Einkaufs- und Kulturmöglichkeiten zahlt man für eine 3-Zimmer-Wohnung mit 137 qm eine Kaltmiete von 1780 Euro. Kaufen kann man eine derartige Wohnung für 579.000 Euro.

Umbau des Wohnungsbestands

Besonders häufig dürften gerade in Berlin, zweitens, Umstrukturierungen im Bestand sein. Die Berliner Wohnungsbaugesellschaften engagieren sich hier unterschiedlich intensiv. Es gibt Gesellschaften, die ein differenziertes Angebot aufweisen. Die Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 beispielsweise hat nach Angaben der zuständigen Mitarbeiterin, Sylvia Walleczek, früh angefangen, über die Senior/innen und ihre Bedürfnisse nachzudenken. Man reagiere damit auf einen konkreten Bedarf: In den Althausbeständen seien in der Regel 40% der Mieter/innen über 60 Jahre alt. In ganz Berlin betrage die Quote der über 65-Jährigen 16%. Das mache sich in den Anfragen nach bestimmten Dienstleistungen bemerkbar. Deshalb habe man inzwischen auch zwei Wohngemeinschaften für Demenzkranke eingerichtet, in der jeder Mieter einen eigenen Mietvertrag habe. Die Einrichtung von zwei weiteren WGs innerhalb des Bestands sei geplant. Außerdem biete man überall einen kostenlosen Concierge-Service an, der Einkäufe erledige, Blumen während temporärer Abwesenheit gieße und Ähnliches mehr. Auch die Anpassung von Wohnungen auf altersspezifische Bedürfnisse nehme man vor.

Neue Wohnprojekte

Drittens sind die neuen Projekte zu nennen, die zum Teil auch vom Senat gefördert werden. Ein Beispiel ist das Mehrgenerationenhaus für autofreies Wohnen, das am Paul-Lincke-Ufer entstehen sollte. Die Genossenschaft wollte der BSR ein Grundstück abkaufen, um dort 36 Wohnungen für Alte und Junge zu errichten. Man hatte das Vorkaufsrecht für den Fall, dass zwei Interessenten dieselbe Summe böten. Doch monatelang geschah nichts, und der Genossenschaft wurde immer klarer, dass die BSR sie hinhalten wollte. Am Ende ging alles ganz schnell: Die BSR zauberte einen anderen Interessenten aus dem Hut, der nicht nur 1,1 Millionen Euro bot wie die Genossenschaft, sondern 1,6 Millionen und dazu noch die Abrisskosten übernehmen wollte. Da war auch der Wirtschaftssenator machtlos, der das Projekt gefördert hätte, aber nach dem Haushaltsrecht konnte nur der Höchstbieter den Zuschlag erhalten. So scheiterte – zumindest einstweilen – dieses Mehrgenerationenprojekt an den Widrigkeiten des Markts. Berlin, erklärt Nermin Safi-Schöppe von der Genossenschaft, habe in den letzten Jahren einen mächtigen Zustrom ausländischen Gelds erlebt, was die Preise in die Höhe treibe.

Auch wenn das Projekt gescheitert ist, so wird an diesem Beispiel klar: Nicht nur die Wohnungswirtschaft hat die Generation 50+ als Gegenstand ihrer Bemühungen entdeckt, sondern auch die Politik, die großes Interesse an der Förderung neuer Ideen offenbart. 2005 hat der Senat ein Papier mit dem Titel „Politik für Seniorinnen und Senioren – Berliner Leitlinien“ veröffentlicht. Darin wird angekündigt, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung „das Thema ‚Wohnen im Alter’ zu einem Schwerpunkt ihrer wohnungspolitischen Aktivitäten der kommenden Jahre machen“ will.

Doch das hilft den Projekten nicht weiter, wovon Theo Killewald ein Lied singen kann. Er ist Berater bei der Stattbau, einer vom Senat mit 425.000 Euro bis Ende 2009 finanzierten Beratungsstelle für generationenübergreifendes Wohnen in Berlin. Sie hat im April 2008 ihre Arbeit aufgenommen. Killewald hat gleich zu Beginn seiner Beratungstätigkeit eine überraschende Erfahrung gemacht: Eigentlich sollte er Interessenten eine erste Anlaufstelle sein, um sie über die Finanzierung ihres Vorhabens zu beraten und wie man an geeignete Grundstücke kommt. Doch dann musste er feststellen, dass die meisten Interessenten nicht kaufen, sondern zur Miete wohnen wollen. Man will mit anderen Generationen unter einem Dach wohnen – aber nicht nur neben-, sondern miteinander. Man will gebraucht, aber nicht ausgenutzt werden. Und man will einen Rückzugsraum haben, also nicht in einer Wohngemeinschaft wohnen.

Wohnen mit Pflegebedürftigkeit

Trotz des öffentlichen Interesses an den neuen Wohnformen wird, viertens, das klassische Pflegewohnheim erhalten bleiben, darf vermutet werden. Hier lassen sich Residenzen, Wohnheime, betreutes Wohnen bzw. Service-Wohnen und Pflege-Wohngemeinschaften identifizieren. Der Trend geht Richtung Individualisierung, meint Architekt Eckhard Feddersen aus Berlin, der sich auf seniorengerechtes Bauen spezialisiert hat. Beim Bau von Pflegeeinrichtungen werde größerer Wert auf die wohnlichen Aspekte gelegt, nicht mehr allein auf die pflegerischen. Die Träger hätten beispielsweise erkannt, dass Doppelzimmer bei den Betroffenen nicht beliebt seien und Monotonie unerwünscht. In einer modernen Pflegeeinrichtung würden sich die Zimmer um einen Wohnkern gruppieren; der bekannte lange Flur einer Pflegeeinrichtung sei ohnehin unwirtschaftlich. Auf diese Weise entstehe eine Win-Win-Situation.

Konzepte für das Wohnen im Alter gibt es in Hülle und Fülle. Sie reichen von den bekannten Pflegeeinrichtungen bis zu neuen Mehrgenerationenhäusern oder kultursensiblen Pflegeeinrichtungen und stehen im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Es hat aber eher den Anschein, als handele es sich um Nischenprodukte für eine kaufkräftige Klientel: interessant und bedenkenswert, aber nicht repräsentativ. Außerdem entsteht der Eindruck, dass der Anspruch häufig mit den Realitäten kollidiert; allzu häufig finden sich entweder keine Interessenten oder die Ansprüche der Interessenten lassen sich nicht umsetzen. Insofern gibt es wichtige, bemerkenswerte Projekte, aber keinen Wandel auf breiter Front.

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