MieterEcho 330/Oktober 2008: „Das soziale Kapital müsste erkannt werden, zumal die klassische Ökonomie versagt“

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MieterEcho 330/Oktober 2008

Quadrat BERLIN

„Das soziale Kapital müsste erkannt werden, zumal die klassische Ökonomie versagt“

Interview mit Frauke Hehl, Vorstandsmitglied vom „workstation Ideenaufruf e.V.“

 

Verglichen mit anderen Städten befindet dich Berlin in einer besonderen Situation. Noch immer sind zahlreiche, durch die Trennung der Stadt in Ost und West entstandene Brachen und ungenutzte Gebäude vorhanden. Auch das Reichsbahnausbesserungswerk „Franz Stenzer“ (RAW) wurde nach der Wende geschlossen. Das RAW, das während der Industrialisierung in den 1870er Jahren nahe Berlins erstem Bahnhof entstand, wurde 1993 von der Immobilienverwaltung der Deutschen Bahn übernommen. Die ungenutzten Gebäude befanden sich in einem baulich schlechten Zustand, doch der Leerstand währte nicht lange – die ersten Nutzer/innen aus der Clubszene zogen ein.

ME: Frauke, du hast Architektur studiert und engagierst dich in verschiedenen Initiativen, die das Leben in der Stadt mitgestalten wollen. Wie ist es zum „workstation Ideenaufruf e.V.“ für das RAW gekommen?

Frauke Hehl: Der „workstation Ideenaufruf e.V.“ und die aktuelle Kampagne „/unvermittelt“ beschäftigen sich mit neuen Arbeitsformen. Der „Ideenaufruf“ entstand 2000 und war als Bürgerbeteiligung zur Entwicklung des RAW- Geländes initiiert. Das RAW war ja immerhin eine im öffentlichen Eigentum (Deutsche Bahn) befindliche Fläche und wir fanden es wichtig, dass die Diskussion über ihre Nutzung auch öffentlich geführt wird.

ME: Das RAW ist ein typisches Beispiel für die Stadtentwicklung in Berlin: Öffentliche Flächen werden von Zwischennutzern aus Kunst- und Kreativbranche aufgewertet und dann an Investoren verkauft. Ist das RAW auch ein Beispiel, wie öffentliches Eigentum auf den Markt gebracht wird?

Frauke Hehl: 1999 hat der RAW-Tempel e.V. mithilfe des Bezirksamts den ersten Zwischennutzungsvertrag mit der Immobilienverwaltung der Deutschen Bahn geschlossen. Aber schon 2001 hat die Vivico, die Immobilienfirma der Deutschen Bahn, den Vertrag wieder gekündigt. Damit begann die Phase der ungeklärten Verhältnisse. Obwohl es einen Räumungstitel gab, wurden wir weiterhin geduldet. In Abständen gab es Verhandlungen und Versuche, die Nutzer/innen des Geländes rauszukriegen. Dann hat der RAW-Tempel e.V. einen Finanzplan vorgelegt und bekam einen zehnjährigen Mietvertrag für das Stoff- und Gerätelager. Als Verein konnten wir EU-Fördermittel beantragen und das Gebäude nicht nur betreiben, sondern auch entwickeln. Somit hat auch die Vivico profitiert, denn diese Entwicklung kostete sie nichts und als GmbH wären sie selbst niemals in den Genuss solcher Fördermittel gekommen. Der Mietvertrag läuft noch bis 2012. Die Nutzung der anderen Gebäude wird immer noch geduldet.

Breite Nutzungsmischung auf dem RAW-Gelände

ME: Welche Nutzungen gibt es auf dem gesamten Areal?

Frauke Hehl: Das meiste ist eine Kreativ- und Eventnutzung, in deren Schatten aber auch sozio-kulturelle Projekte gedeihen. Dann gibt es noch Werkstätten für Schlosser, Tischler und andere Künstlergewerke, Akrobaten nutzen eine Halle, Skater- und Kletterprojekte haben sich etabliert, es gibt einen Musikproberaum, Clubs, eine japanische Kampfsportschule, Schwarzlicht-Minigolf, Filmproduktionshallen, Theatergruppen, Jugendprojekte usw.

ME: Das gesamte Areal wurde 2007 an einen Investor verkauft. Was passierte nach dem Verkauf?

Frauke Hehl: Das RAW wurde von der Vivico laut Aussage der R.E.D. Development GmbH für den Spottpreis von 4,5 Millionen Euro (8 Hektar Fläche in zentraler Lage) an die R.E.D. verkauft. Diese Firma ist ein Konstrukt von Unternehmen, die teilweise einen isländischen Firmensitz haben. In Island gibt es anders als in Deutschland kein Handelsregister, das über die Firmen informiert. Wenig später hat die Deutsche Bahn die Vivico an die österreichische Immobilieninvestmentgesellschaft „CA Immo“ verkauft. Wir haben es nun hauptsächlich mit den beiden Projektentwicklern Klaus Wagner und Moritz Müller zu tun, die im Namen der R.E.D. agieren. Die neuen Eigentümer haben sich zunächst kooperativ gegeben und allen Nutzer/innen Mietverträge versprochen. Mittlerweile gibt es auch weitere Nutzer und die meisten Gebäude auf dem Gelände sind für drei Jahre befristet vermietet. Jedoch haben bei weitem nicht alle Alt-Nutzer eine Mietvertragsverlängerung erhalten. Dem RAW-Tempel e.V. und der Skaterhalle wurden die Gebäude zu hohen Kaufpreisen angeboten. Um eine Baugenehmigung zu erhalten, welche nötig ist, um diese auch instand zu setzen, bräuchten diese wiederum einen Mietvertrag, den sie aber bis dato nicht bekamen.

ME: Was erwartet ihr vom dem neuen Eigentümer R.E.D.?

Frauke Hehl: Was der Investor will, ist nur aus wenigen veröffentlichten Plänen und Ideenskizzen erkenntlich. Außer vier unter Denkmalschutz stehenden Objekten sollen alle Gebäude abgerissen werden. Anschließend soll neu gebaut werden, und zwar mit einer Dichte, die der angrenzenden Wohnbebauung des Boxhagener-Platz-Kiezes entspricht. Letzthin hat die R.E.D ein Szenario vorgestellt, das Loft-Wohnungen und Büros vorsieht und vielleicht auch Platz für „erfolgreiche“ Zwischennutzer. Es gibt die Idee eines Hochhauses sowie eines Werbewürfels an der Warschauer Brücke. Im Prinzip also das, was „Mediaspree“ vorsieht. Alternative Planungen scheinen in dieser Stadt lediglich in der Zwischennutzung möglich zu sein. Außerdem gab es in dem Konzept viele gut klingende Schlagworte wie Erdwärme, Fair Trade, Energiewirtschaft, Ökologie usw. Ob die R.E.D überhaupt über das Kapital verfügt bzw. zahlungskräftige Investoren findet, um irgendetwas zu realisieren, bleibt unklar, wie schon bei dem vorhergehenden Eigentümer, der Vivico. Im Moment nutzt die R.E.D. die Nutzer/innen, um die laufenden Kosten zu decken und den Standort zu entwickeln. Die meisten Verträge gehen bis 2010 und die Verhandlungen zwischen den Nutzer/innen und die R.E.D. haben nichts ergeben.

Einbindung der Nachbarschaft muss verbessert werden

ME: Welche Rolle spielt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg bei den Verkaufs- und Planungsprozessen?

Frauke Hehl: Zu den Plänen des Bezirks für „Mediaspree“ soll das Engagement einen Ausgleich schaffen. Immerhin gab es von dem Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) den Tipp, dass sich alle Nutzer/innen zu einem Verein zusammenschließen. Leider sind dann nicht alle dem „Revaler Fünfeck e.V.“ beigetreten und so gibt es immer noch eine große Vereinzelung der Nutzer/innen. Es gibt eine Arbeitsgruppe, besetzt aus Geländenutzer/innen, Eigentümer, Ideenaufruf, moderiert durch den Bezirk, die zu gemeinsamen Leitlinien der städtischen Entwicklung des Gesamtareals führen soll. Dies war jedoch eine Farce. Mit dem Ideenaufruf wollten wir erreichen, dass die Nachbarschaft in diesen Entwicklungsprozess von Beginn an eingebunden ist. Da sich unser Gefühl bestätigt hat, mit unserer „Anwesenheit“ als Alibi-Nachbarschaftsbeteiligung fehlinterpretiert zu werden und weil unsere Ansprüche immer wieder von den Eigentümern in Frage gestellt wurden, haben wir diese Arbeitsgruppe verlassen. Wir fordern jetzt eine wirkliche Einbindung der Nachbarschaft in die städtebauliche Entwicklung, denn bisher konnten nicht mal die Geländenutzer/innen ihre Bedürfnisse, Bedenken und Erfahrungen konstruktiv einbringen. Die Anwohner/innen sind noch gar nicht gefragt worden.

ME: Den Investoren geht es ausschließlich um private Profitmaximierung, deren Effekt für die Volkswirtschaft mittlerweile eher fragwürdig ist. Auf der Seite der Bewohner/innen und Zwischennutzer scheint großes Potenzial vorhanden zu sein. Wäre es nicht an der Zeit, andere Ansätze in der Stadtentwicklung zu schaffen?

Frauke Hehl: Es ist erschreckend, wie viel öffentliches Gelände in Berlin stillschweigend verkauft wird. Die Bewohner/innen haben dabei viel zu wenig zu melden. Ist das Gelände einmal verkauft, hat der Bezirk nur noch geringe Möglichkeiten, auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Es gibt nur das Bebauungsrecht, aber kaum etwas, das den Erhalt kreativer und sozialer Strukturen regelt. Dafür muss ein Bewusstsein geschaffen werden. Das soziale Kapital müsste erkannt werden, zumal die klassische Ökonomie versagt.

ME: Was rätst Du den Initiativen?

Frauke Hehl: Zunächst sollten wir alle aktiv in die Entwicklung unserer Umwelt eingreifen und dann natürlich mobilisieren und vernetzen. Wichtig ist, zu erkennen, dass viele Initiativen vor ähnlichen Problemen stehen. Das, was mit dem RAW passiert, ist symptomatisch, kein Einzelfall.

ME: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Malah Helman.

Weitere Infos unter:

www.raw-tempel.de
www.revaler5eck.de
www.ideenaufruf.org
www.workstation-berlin.org

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