MieterEcho 329/August 2008: Massenhaft Amateurvermieter

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MieterEcho 329/August 2008

Quadrat WOHNEN INTERNATIONAL

Massenhaft Amateurvermieter

Der britische Immobilienmarkt ist in die Krise geraten – und mit ihm Tausende, die mit ihrer Wohnung als Altersvorsorge gerechnet hatten

Matthias Becker

„Ein einig Volk von Mietern“ seien die Deutschen, so beschweren sich Banken und Kreditinstitute in schöner Regelmäßigkeit. Fast überall in Europa leben mehr Menschen „in den eigenen vier Wänden“ als in Deutschland. Das Statistische Bundesamt ermittelte 2005 eine Eigentumsquote von 41%. Dieser Prozentsatz wird in Europa nur von der Schweiz unterboten. In Spanien dagegen gibt es fast doppelt so viele „selbstnutzende Immobilienbesitzer“ wie hierzulande. Die Deutschen wägen offenbar genau ab, welche Wohnform für sie die beste ist, und entscheiden sich überwiegend, doch lieber zur Miete zu wohnen.

Weil aber die gesetzlichen Renten viele nicht vor der Altersarmut bewahren werden, sehen sich immer mehr Menschen nach anderen Möglichkeiten der Vorsorge um. Bauwirtschaft und Finanzbranche propagieren schon lange das Eigenheim oder die Eigentumswohnung als „sichere und lukrative Form der Geldanlage“. Dieses Kalkül geht aber durchaus nicht immer auf. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wies kürzlich darauf hin, dass die Wohnungspreise in Deutschland inflationsbereinigt seit etwa 30 Jahren stagnieren.

Ganz anders in England. Dort explodierten die Preise lange Zeit regelrecht. In Metropolen wie der Hauptstadt London verdoppelte sich der durchschnittliche Marktwert eines Hauses zwischen 2002 und 2007. Schließlich ist Wohnraum knapp, und die Nachfrage war bis vor Kurzem stabil. Schon immer werden in England die eigenen vier Wände hochgeschätzt, was sich in zahlreichen Sprichwörtern niedergeschlagen hat: „So sicher wie ein Haus!“, sagt der Engländer beispielsweise, wenn er ausdrücken will, was die Deutschen mit „bombensicher“ meinen. Als die konservative Premierministerin Margaret Thatcher 1979 begann, den Sozialstaat umzugestalten, propagierte sie statt Gemeineigentum und staatlicher Markteingriffe die „property-owning democracy“ – ein Ausdruck mit Doppelsinn, denn „property“ bedeutet sowohl „Eigentum“ als auch „Grundbesitz“. Die Regierung förderte den Kauf von Häusern und Eigentumswohnungen mit günstigen Krediten und ebnete so den Weg für die weitgehende Privatisierung des Wohnungsbestands („Right to Buy“).

Right to buy

Eine der populärsten Maßnahmen der konservativen Regierungschefin Margaret Thatcher war das sogenannte „Recht auf Kauf“, eingeführt mit dem Housing Act im Jahr 1980. Das Gesetz ermöglichte Mieter/innen, ihre Sozialwohnung zu Vorzugspreisen zu erwerben. Ab drei Jahren Wohndauer gab es einen Abschlag von einem Drittel des Marktwerts. Viele Mieter/innen verkauften diese Wohnungen später weiter und machten beachtliche Gewinne. Allerdings sind dadurch Sozialwohnungen heute so knapp geworden, dass sie nur den Bedürftigsten zugutekommen. 1979 gab es etwa noch 5,5 Millionen Sozialwohnungen in England, heute sind es nur 3,7 Millionen.

Während die Löhne in Großbritannien seit 1996 um nur 18% stiegen, wuchsen die Immobilienpreise im Landesdurchschnitt um 227%. Kein Wunder, dass das Gerangel um die sogenannte „property ladder“ – die „Immobilienleiter“ – mit der Zeit die Form eines Pyramidenspiels annahm. Die Briten kauften und verkauften weiter und nahmen munter Kredite auf, wofür viele ihre noch nicht abgezahlten Immobilien als Sicherheit bei der Bank einsetzten. Nur Anfang der 90er Jahre, als der Preis vieler Häuser unter die Höhe der Hypothek sank, erlebten die Engländer eine vorübergehende Korrektur dieser Marktentwicklung. Aber schon bald war die Bereinigung scheinbar abgeschlossen, und die Preiskurve zeigte wieder steil nach oben.

Mit der Zeit allerdings führten die steigenden Preise zu einer starken Polarisierung innerhalb der Wohnbevölkerung. Immer weniger Briten können sich ein eigenes Haus leisten. Besonders betroffen sind junge Erwachsene. 2001 kauften 40% der Einwohner unter 30 Jahren ein Haus mit einer Hypothek, 33% waren Mieter. Sechs Jahre später hatte sich das Verhältnis umgekehrt. Nun lebte die Mehrheit zur Miete (43%) und die Minderheit zahlte Raten an die Banken (34%). Andererseits ist eine neue Schicht von „Kleinvermietern“ entstanden. Weil privates Wohneigentum gesetzlich gefördert wurde und die Zinsen niedrig waren, versuchten immer mehr Engländer, von ihren auf Pump erworbenen Häusern zu profitieren. Ende der 90er Jahre begannen die Banken, „Amateurvermietern“ spezielle Hypotheken anzubieten (sogenannte buy to let mortgages). Im Jahr 1998 gaben sie 30.000 solcher Darlehen aus. 2006 waren es nach Angaben einer Immobilienfachzeitschrift annähernd eine Million.

Schlechte Aussichten

Nun aber haben die Preise zu fallen begonnen. Die Bausparkasse Nationwide veröffentlichte Anfang Juli Zahlen, nach denen Immobilien innerhalb eines Jahres durchschnittlich 6,3% an Wert verloren haben – für viele Briten gleichbedeutend mit der Verarmung. Im Gefolge der US-amerikanischen Subprime-Krise sind günstige Kredite rar geworden und damit ist die wesentliche Voraussetzung des Booms entfallen. Sowohl Zinsen als auch Lebenshaltungskosten steigen und immer mehr Haushalte geraten in finanzielle Schwierigkeiten. Nach Angaben des Justizministeriums beantragten die Kreditinstitute im ersten Quartal dieses Jahres 38.688 Pfändungen, das entspricht einer Steigerung von 16%. Ein Gläubiger-Dachverband schätzt, dass 48.000 Haushalte im laufenden Jahr ihr Haus oder ihre Wohnung verlieren werden, der Sozialverband Shelter erwartet dagegen 53.000 Räumungen. „Die Krise nimmt dramatische Formen an“, sagt Shelter-Sprecherin Rachael Orr.

Die fallenden Hauspreise treffen besonders jene älteren Menschen, die auf die Mieteinkünfte oder den Verkaufserlös angewiesen sind, um ihre Renten aufzubessern, und diejenigen, die vorhatten, ihr Haus „als Rente“ zu nutzen. Das sind nicht wenige. Immobilienbesitz, gefolgt von Immobilenfonds, war lange die beliebteste Anlageform. Beides galt als krisensicher und brachte dennoch vergleichsweise hohe Renditen. Viele Briten verkauften nach ihrer Verrentung die Immobilie und zogen in kleinere Wohnungen. In den letzten Jahren haben sich als Alternative dazu sogenannte Equity Release Schemes massenhaft verbreitet. Dabei setzen die Rentner ihr Haus als Sicherheit für einen Kredit ein, der üblicherweise monatlich ausgezahlt wird. Dieser Kredit wird zurückgezahlt, wenn das Haus später, möglicherweise nach dem Tod der Besitzer, veräußert wird. So bekommen Kreditinstitute Zugriff auf günstige Immobilien, während die Hausbesitzer ihre Renten aufbessern.

Immobilienbesitzer in Finanznot

Aber auch diese Geschäfte beruhten auf der Erwartung, dass die Preise weiter steigen würden. Weil sie aber fallen, steht vielen (nominellen) Hausbesitzern die Altersarmut bevor. Die britische Regierung hat mittlerweile Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Immobilienbesitzern in Finanznot zu helfen. In erster Linie bedeutet das allerdings nur, dass die Schuldnerberatung ausgebaut wird. Die größte Sorge von Regierung und Banken ist, dass die Pfändungen und Notverkäufe eine Abwärtsspirale auslösen könnten, weil immer mehr Wohnraum auf einen bereits übersättigten Markt drängt. Die „Übersättigung“ bedeutet wohlgemerkt nicht, dass es keinen Bedarf gebe. Wohnraum, ganz besonders günstiger Wohnraum, ist in Großbritannien immer noch enorm knapp. Die „Demokratie der Eigentümer und Hausbesitzer“, die Margaret Thatcher einst versprach, ist grandios gescheitert.

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