MieterEcho 322/Juni 2007: Tief im Dispo

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MieterEcho 322/Juni 2007

Quadrat HARTZ IV

Tief im Dispo

Die Zahlungsunfähigkeit von Hartz-IV-Beziehenden und die Praxis der Mietschuldenübernahme durch die Jobcenter

Christian Linde

Nicht nur die öffentliche Hand ist in Berlin hoch verschuldet, sondern die privaten Haushalte sind es ebenso. Laut dem von der Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform erstellten "SchuldnerAtlas 2006" können in der Hauptstadt insgesamt 430.000 Personen ihre privaten Rechnungen nicht mehr begleichen. Das entspricht jedem siebten Einwohner über 18 Jahre und macht einen Anteil von rund 15% an der Berliner Bevölkerung aus. Zum Vergleich: Bundesweit liegt die Quote bei 10,7%.

Besonders betroffen sind Alleinerziehende in den "sozial belasteten" Innenstadtbezirken. Ihr Anteil ist mit 44% doppelt so hoch wie im übrigen Bundesgebiet. Im Schuldenatlas sind Zahlen zu Insolvenzverfahren, eidesstattlichen Versicherungen, Inkassoverfahren und Haftanordnungen wegen Überschuldung zusammengetragen. Hauptursachen für den privaten Bankrott seien - wie bereits in den zurückliegenden Jahren - Arbeitslosigkeit und niedrige Einkommen.

Zahl der Hilfesuchenden nimmt zu

Mit dem Inkrafttreten der Arbeitsmarktreformen, insbesondere von Hartz IV, hat auch der Umfang der Ratsuchenden in den Berliner Beratungsstellen zugenommen. Waren es 2003 noch knapp 900, stieg die Zahl 2006 auf rund 13.500, so die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin. Etwa ein gleich großer Personenkreis suche Schuldnerberatungsstellen aufgrund von Kontokündigungen, Energierechnungen oder drohendem Wohnungsverlust auf. Die Landesarbeitsgemeinschaft geht allerdings davon aus, dass lediglich 7% der Betroffenen den Weg in eine der rund 20 Beratungsstellen der Stadt findet. Nach Angaben des Statistischen Landesamts beträgt die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung 37.000 Euro. Insgesamt belaufe sich der Schuldenberg privater Haushalte inzwischen auf mindestens eine halbe Milliarde Euro.

Schuldnerberatung

Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e.V. (LAG SIB) Genter Straße 53,13353 Berlin
In der LAG SIB sind öffentlich geförderte und gemeinnützige Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen vertreten. Auf ihrer Website bietet sie auch Online-Beratung (per E-Mail oder Chat) sowie zahlreiche Informationsmaterialien an. www.schuldnerberatung-berlin.de

Anstieg der Primärverschuldung

Vor allem die Zunahme von Mietschulden registrieren Schuldnerberater. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) beziffert die Höhe bei ihren Mitgliedsunternehmen auf insgesamt rund 180 Millionen Euro. Die Mitgliedsunternehmen des BBU verwalten rund 40% der 1,8 Millionen Wohnungen in der Region. Nachdem den Mieterhaushalten die Heizkostenabrechnungen für 2005/2006 ins Haus geflattert sind, hatte dies kräftige Nachzahlungsverpflichtungen zur Folge und entsprechende Anhebungen bei den monatlichen Raten. Immerhin waren die Preise für Heizöl um mehr als 30% und bei Gas um 10 bis 20% gestiegen.

Post vom Jobcenter

Besonders bei ALG-II-Beziehenden schlägt die betriebskostenbedingte Steigerung der Bruttowarmmiete heftig zu Buche. Im Jahr 2006 wurden nach Angaben der Senatsverwaltung für Soziales insgesamt 17.431 Haushalte "aufgrund der Überschreitung der Richtwerte bzw. Härtefallrichtwerte nach AV-Wohnen*" angeschrieben. Davon 8706 1-Personen-Haushalte, 4314 2-Personen-Haushalte, 2270 3-Personen-Haushalte, 1186 4-Personen-Haushalte und 777 5-Personen-Haushalte. 9871 Haushalte erhielten eine "Aufforderung zur Senkung der Kosten für die Wohnung". In 2892 Fällen erfolgte laut Senatssozialverwaltung "tatsächlich" eine Senkung. In der Regel heißt dies Untervermietung oder Zahlung aus dem Regelsatz des ALG II, 410 Haushalte mussten umziehen, um ihre Wohnkosten zu senken (Tabelle 1). Voraus geht dem die Ankündigung des jeweiligen Jobcenters, nur noch die "angemessenen" Wohnkosten zu übernehmen.


Tabelle Reaktionen der Jobcenter
Mietschulden von ALG-II-Beziehenden

Insgesamt 5475 Haushalte haben im gleichen Zeitraum einen Antrag auf die Übernahme von Miet- und/oder Energieschulden gestellt. Davon stellten 208 einen wiederholten und 4384 Haushalte einen "erstmaligen" Antrag. In 883 Fällen waren "gerichtliche Mitteilungen" Auslöser für den Antrag. Die Höhe der beantragten Schuldenübernahme betrug für Langzeiterwerbslose berlinweit 7,4 Millionen Euro. Den größten Anteil davon stellten 1-Personen-Haushalte (2,88 Millionen Euro) und 2-Personen-Haushalte (1,23 Millionen Euro).


Tabelle Anträge Schuldenübernahme

Beschieden haben die bezirklichen Jobcenter in 4648 Fällen. Bewilligt wurde demzufolge die Übernahme der Miet- und/oder Energieschulden für 2644 Haushalte. 2165 Mal als Darlehen (davon lediglich 414 Fälle ohne weitere Schulden) und in 44 Fällen (davon 23 ohne weitere Schulden) wurde die Übernahme als Beihilfe gewährt. Der Umfang der Darlehen betrug mehr als 3,2 Millionen Euro.

Die meisten Anträge wurden bei den Jobcentern in Neukölln, Spandau, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg gestellt. Abgelehnt wurde rund ein Drittel der Anträge. Laut AV-Wohnen handelt es sich bei der Übernahme von Miet- und Energieschulden um eine "Ermessenssache", also eine "Kann-Bestimmung".

AV-Wohnen

*) AV-Wohnen: Die „Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II“ vom 17.06.2005 schreiben die maximale Miethöhe (bruttowarm) für ALG-II-Beziehende vor.

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