MieterEcho 321/April 2007: Die Perle des Weddings

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MieterEcho 321/April 2007

Quadrat BERLIN

Die Perle des Weddings

Eine bunte Mischung aus Gewerbetreibenden, sozialen Projekten und Künstlern kann nun das frühere Betriebsgelände des Druckmaschinenherstellers Rotaprint kaufen

Christoph Villinger

Ende Februar 2007 war im Wedding feiern angesagt. In letzter Minute war es den Initiativen auf dem ehemaligen Rotaprint-Gelände gelungen, ihre Gebäude vor dem Verkauf an einen Immobilienfonds zu retten. Dank erheblichen Drucks von allen Seiten musste der Berliner Liegenschaftsfonds ein bereits "fest geschnürtes Paket" mit 45 Gewerbegrundstücken wieder öffnen und sowohl das Künstlerhaus in der Wiesenstraße 29 als auch die an der Gottschedstraße 4 gelegenen Häuser wieder freigeben. Jetzt gehen sie zurück an den Bezirk Mitte, der nun "den Verkauf der Grundstücke an die Nutzergruppen bis November 2007" forcieren will.

Seit Jahren wird das mitten im Wedding in der Nähe des Nauener Platzes gelegene fast 10.000 qm große Gelände von einer bunten Mischung von Initiativen, Verbänden und Künstler/innen genutzt. Am Eingang Gottschedstraße findet man neben der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft DLRG auch die Berliner Zentrale von SOS Kinderdorf und ein Arbeitslosenprojekt. In den ehemaligen Fabrikhallen bietet eine Firma die Reparatur von Neopren-Tauchanzügen an und der türkische Unternehmer Yilmaz stellt aus Nirostastahl die Inneneinrichtung für Dönerbuden her. In einem denkmalgeschützten Turm im Bauhaus-Stil hat die Künstlergruppe "soup" alles selbst in-stand gesetzt und sich eingerichtet. Rund um diese Künstlergruppe hatte sich bereits 2005 der Verein "ExRotaprint" gebildet, um vom Bezirk das Gelände in Eigenregie zu übernehmen. Parallel versuchte der Bezirk es zu verkaufen - ohne Erfolg. Gleichzeitig unterblieb allerdings auch jede Lösung, das Gelände als soziokulturelles Zentrum zu sichern. So wurde vor wenigen Jahren auf Druck des Senats das Terrain an den Liegenschaftsfonds (LiFo) übertragen. Und der schnürte im letzten Herbst ein Paket mit 45 Gewerbeimmobilien im Eigentum des Landes Berlin und versuchte, diese an einen Investor zu verkaufen. "Gute, mittlere und schlecht verkäufliche Gewerbegrundstücke werden dabei in ein Paket geschnürt und am Stück verkauft", bestätigt Anette Mischler, Sprecherin des LiFo. Die weitere Verwertung übernehmen die Käufer. Meist werden dann die Rosinen herausgepickt, entwickelt und weiterverkauft. Den verbleibenden "Schrottimmobilien" bleibt oft nur der Verfall. Mischler sieht die Verantwortung für diesen Vorgang bei den zuständigen Politikern, "denn der LiFo hat den gesetzlichen Auftrag zu verkaufen und dies hat Vorrang vor Zwischennutzung oder anderweitigen Lösungen."

Notlösung gegen Verkauf an Investor

In diesem Paket befand sich das Rotaprintgelände ebenso wie das gegenübergelegene ehemalige Verwaltungsgebäude Wiesenstraße 29. Inzwischen wohnen und arbeiten auch dort rund ein Dutzend Künstler/innen. Nicht mehr zum Verkauf stand ein weiteres Teilstück des Geländes, auf dem letztes Jahr ein Lebensmitteldiscounter eröffnete. Schon zehn Jahre zuvor waren vom Land Berlin auf diesem Teilstück die alten Fabrikhallen abgerissen worden, um überhaupt einen Verkauf zu ermöglichen. Der Boden musste wegen Altlasten für über fünf Millionen Euro saniert werden. "Genau dieses Schicksal", befürchtete Jörg Bürkle, Sprecher der Künstler/innen in der Wiesenstraße 29, "auch für unser Gebäude bei einem Verkauf an einen Investor". Auch hier hatten sich die Nutzer/innen zusammengeschlossen, einen Verein gegründet und wollen nun notgedrungen ihr Haus selbst kaufen.

Problem Verkehrswert

Beiden Projekten gelang es, etliche Politiker für ihr Anliegen zu interessieren. Neben dem ehemaligen Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) setzten sich der Baustadtrat von Mitte Ephraim Gothe (SPD) sowie der Atelierbeauftragte Florian Schöttle ein. Unter der Bedingung, dass dem Bezirk erlaubt wird, das Gelände an die Initiativen weiterzuverkaufen, beschloss das Bezirksamt Mitte nun, die Rückübertragung des Geländes vom LiFo zu beantragen. In den nächsten Monaten soll die gemeinnützige GSE (Gesellschaft für Stadtentwicklung) die Verwaltung und die Betreuung des Verkaufs übernehmen und ein neues Verkehrswertgutachten soll erstellt werden.

Vor allem um die Höhe des Verkehrswerts drehten sich in den letzten Monaten die Auseinandersetzungen zwischen den prinzipiell kaufwilligen Mietern und dem LiFo. Nicht nur der Sprecher des Vereins "Ex-Rotaprint" Les Schliesser findet den drei Jahre alten Verkehrswert in Höhe von rund zwei Millionen Euro "angesichts der immensen Sanierungskosten stark überhöht". Der LiFo hatte allen Nutzern der im Paket versammelten Immobilien nach den ersten Protesten angeboten, "ihr Grundstück zum festgelegten Verkehrswert bis zum Jahreswechsel selbst zu kaufen". Da die Künstler auf dem Rotaprint-Gelände nicht zum geforderten Preis bis Weihnachten gekauft hatten, war für Matthias Kolbeck, Sprecher des für den LiFo zuständigen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD), "das Ende der Fahnenstange erreicht". Man könne doch auch mal umziehen, empfahl Sarrazins Sprecher. Dabei wollte der Verein ExRotaprint einfach nur "eine Pufferzone von zwei bis drei Jahren, um das Gelände konzeptionell neu aufzustellen und eine tragfähige Struktur zu schaffen", sagt Schliesser. Im Augenblick deckten die Mieteinnahmen nicht mal die Betriebskosten. "Im Unterschied zum Prenzlauer Berg sind wir hier im Wedding, hier gibt es keine alternative Szene, keine Architekten, keine Banken und kein Geld - die Leute haben Probleme, ihre Miete zu bezahlen", fasst der Künstler seine Erfahrungen zusammen. "Hier befinden wir uns in der kompletten Verwertungssackgasse".

Als schlagkräftigstes Argument gegenüber dem Senat erwies sich der Hinweis, dass bei einem Abriss der Gebäude für das Land Berlin als Verkäufer die Kosten der Bodensanierung fällig würden. Selbst bei zwei Millionen Euro Einnahmen hätte man ein Vielfaches davon für die Altlastenbeseitigung gegenrechnen müssen. Für jeden sichtbar eine Milchmädchenrechnung. So konnte der Senat am 20. Februar "den gordischen Knoten durchschlagen" und einer Rückübertragung an den Bezirk Mitte zustimmen.

Soziales (Privat-)Eigentum?

Einen Abriss wird es nun nicht mehr geben. Trotzdem hat der Erfolg einen Wehrmutstropfen. Auch ein Verkauf an die sozialen Projekte und Künstler/innen bleibt eine Privatisierung. Den Berliner Bezirken gelingt es anscheinend nicht, ihre Gebäude kombiniert mit einer weitgehenden Selbstverwaltung der Nutzer/innen erfolgreich als soziokulturelle Zentren zu bewirtschaften. Das gleiche Problem wie beim Bethanien in Kreuzberg oder dem Kulturzentrum Bagatelle in Frohnau.

Weitere Informationen:

www.exrotaprint.de

www.wiesenstrasse29.de

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