MieterEcho 321/April 2007: Wohnen in Russland

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MieterEcho 321/April 2007

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Wohnen in Russland

Schwierige Wohnverhältnisse und ein Markt ohne Regeln

Maria Shamaeva

In Russland gibt es etwa 57 Millionen Wohnungen für etwa 145 Millionen Menschen. Mit über 2,5 Personen pro Haushalt ist die Wohnungsversorgung in Russland grundsätzlich anders organisiert als in Deutschland. Die Wohnungen sind im Durchschnitt kleiner und werden von mehr Bewohner/innen geteilt. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf beträgt etwa 20 qm - der Vergleichswert in Deutschland liegt bei 41 qm. Etwa 10% aller russischen Haushalte sind bei den Behörden als wohnungssuchend gemeldet. Das Beispiel Russland zeigt die drastischen Folgen einer Totalprivatisierung und die Notwendigkeit einer Einschränkung der Marktprinzipien im Bereich der Wohnungsversorgung.

Noch 1990 waren über zwei Drittel des gesamten Wohnungsbestands in öffentlichem Besitz - heute sind es weniger als 30%. Vor allem bei den ehemals staatlich verwalteten Wohnungen hat eine dramatische Privatisierung stattgefunden. Mit der politischen Wende 1990 wurde auf die Herausbildung eines privaten Wohnungsmarkts gesetzt. Das zentrale Instrument war dabei die Übertragung der bisher staatlichen Wohnungen in Einzeleigentum an die bisherigen Bewohner/innen. Alle Bestandsmieter/innen erhielten die Option für eine kostenfreie Übertragung ihrer Wohnung. Diese Form der Mikroprivatisierung wurde inzwischen bei fast 25 Millionen Wohnungen vollzogen.


Tabelle Wohnungsmarkt <br>Russland
Privatisierung und prekäres Wohnen

Die Probleme der Privatisierung liegen einerseits bei den fehlenden Strukturen einer Wohnungsverwaltung, sodass die Städte und Kommunen nach wie vor für die Bewirtschaftung der Wohnungsbestände zuständig sind, aber über kein rationales System zur Abrechnung ihrer Kosten verfügen. Außerdem hat sich der Wohnungsbestand seit 1990 ständig verschlechtert und viele Wohnungen sind von den jahrelang unterlassenen Instandsetzungen gezeichnet.

Geringe Wohnqualität

Die russische Variante der Wohnungsprivatisierung entfesselte zudem individuelle Glücksstrategien und nährte den Traum vom schnellen Geld. Viele Familien versuchten zusammenzuziehen und so einzelne privatisierte Wohnungen zu verkaufen. Dadurch wurden die Wohnverhältnisse für die Familien in der Regel noch beengter und die Wohnqualität verschlechterte sich. Oft wurde auch das aus den Verkäufen gewonnene Geld in den Erwerb einer anderen Wohnung investiert, was bei den schnell steigenden Wohnungspreisen nur selten ein gutes Geschäft war.

Die Preise für Wohnungen haben ein mit Deutschland vergleichbares Niveau. Bei den deutlich geringeren Einkommen in Russland bedeutet dies, dass große Bevölkerungsgruppen praktisch vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen sind. Zur Voraussetzung für ausreichendes Eigenkapital und Kreditfähigkeit wird so für viele das Eigentum an einer Wohnung, die verkauft werden kann. Andere Möglichkeiten für den Erwerb einer Wohnung gibt es kaum. Wer keine Wohnung hat, wird in der Regel also auch keine bekommen. 15 Jahre Privatisierung haben in Russland eine ausgewachsene Wohnungsnot hervorgebracht. Dies sollte den Berliner Schwärmereien von der Eigentümerstadt eine Warnung sein.

Neue Gesetze für einen ungeregelten Wohnungsmarkt

Die kostenlose Mikroprivatisierung in Russland erfolgte auf einem nahezu regulationsfreien Wohnungsmarkt. In den ersten Jahren wurden die Wohnungen ohne eine Etablierung wohnungswirtschaftlicher oder wohnungspolitischer Institutionen privatisiert. So gab es beispielsweise lange Zeit weder Versicherungsinstitute, die Schäden an Gebäuden oder Wohnungen versicherten, noch Kreditinstitute oder Förderprogramme, die Anreize für Investitionen zur Verbesserung der Wohnungen boten. Auch professionelle Hausverwaltungen existierten nicht. Wohnungsverkäufe und Mietvereinbarungen erfolgten in einer rechtlichen Grauzone - die Privatisierung führte zu chaotischen Wohnungsmarktbedingungen fast ohne jede Regel.

Erst mit einem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Wohnungsgesetzbuch soll dieser Zustand verändert werden. Als ein Schwerpunkt des Gesetzes werden die Bewohner/innen der privatisierten Wohnungen aufgefordert, Eigentümergemeinschaften zu bilden, die dann als juristische Personen die Verwaltung und Pflege des Hauses übernehmen oder beauftragen sollen. Der neoliberale Geist der Eigenverantwortung, der hinter diesem Gesetz steht, ist auch in Russland mit enormen sozialen Kosten verbunden. Denn von den zu gründenden Eigentümergemeinschaften sollen künftig die tatsächlich anfallenden Kosten der Verwaltung und Instandhaltung bezahlt werden. Faktisch bedeutet dies eine Vervielfachung der Wohnkosten, welche durch Subventionen bisher sehr gering waren. Vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen stellt dies ein kaum lösbares Problem dar. Die Etablierung eines Wohnungsmarkts wird also auch in Russland die soziale Polarisierung vorantreiben. Investitionschancen und verbesserte Wohnverhältnisse für die einen - Konkurs, Wohnungsaufgabe und Standardverzicht für die anderen.

Ausrichtung auf den freien Markt trotz Marktversagens

Die Reaktionen des russischen Staats orientieren sich an einer marktkonformen Subventionsregulation. Statt einer generellen Wohnungsmarktregulierung sollen nur die dramatischsten Auswüchse gedämpft werden. Insbesondere der eklatante Wohnungsmangel soll mit Förderprogrammen zum Wohnungserwerb für junge Familien ausgeglichen werden. Trotz einer deutlichen Verschlechterung der Wohnungsversorgung seit der Privatisierung setzt die Regierung in Moskau weiter auf den freien Markt und auf Eigentumswohnungen - dabei zeigt die Realität in den russischen Städten die Grenzen einer solchen privatwirtschaftlichen Eigentumsorientierung überaus deutlich.

Maria Shamaeva

Maria Shamaeva, 1981 in Sibirien geboren, lebt in Nowosibirsk. Sie unterrichtet Verwaltungswissenschaften und Mediengestaltung und promoviert an der Sibirischen Akademie für öffentliche Verwaltung im Bereich Wohnungswirtschaft.

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