MieterEcho 320/Februar 2007: Partner der Berliner Wirtschaft

MieterEcho

MieterEcho 320/Februar 2007

Quadrat BERLIN

Partner der Berliner Wirtschaft

Unter der rot-roten Regierungskoalition hat sich Berlin zum Vorreiter neoliberaler Deregulierung entwickelt - Wirtschaftssenator Harald Wolf erntet dafür viel Lob von der Wirtschaft

Hermann Werle

Schon im ersten Regierungsjahr des rot-roten Senats war die Überraschung groß: Die PDS, das einstige Schreckgespenst der Wirtschaft, hatte sich sehr schnell als handzahmer Kooperationspartner entpuppt. In einer Umfrage der Berliner Zeitung beurteilten Berliner Firmenchefs im Januar 2003 die Politik der SPD/PDS-Koalition durchweg positiv. "Der Senat zeigt, dass in schwierigen Zeiten Ehrlichkeit und konsequente Umsetzung von Maßnahmen der einzig gangbare Weg ist", so der damalige Chef des Musikkonzerns Universal. Vier Jahre später hat sich an der Situation nichts geändert: Die Wirtschaft macht Vorgaben und die Senatoren - an vorderster Front Thilo Sarrazin (SPD) und Harald Wolf (Linkspartei.PDS) - setzen sie konsequent um.

Eric Schweitzer, Chef beim Müllentsorger Alba und seit Mitte 2004 amtierender Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), betonte in der oben erwähnten Umfrage der Berliner Zeitung, "dass sich die Regierung als verlässlicher Partner gezeigt habe, der sich die Argumente der Wirtschaft anhöre. Bei der Haushaltskonsolidierung habe Rot-Rot mit dem Austritt aus den Arbeitgeberverbänden gezeigt, dass man Ankündigungen Taten folgen lasse." Derlei Taten sollten in den letzten Jahren folgen: Stellenabbau im öffentlichen Dienst, Kürzungen im Kita- und Bildungsbereich, Umsetzung der Hartz-Gesetzgebung, Preiserhöhungen bei der BVG und den Wasserbetrieben, Privatisierungen - die Liste ließe sich fortsetzen. Der von Schweitzer gelobte Austritt aus der Tarifgemeinschaft, der für einige Tausend Beschäftigte Lohnkürzungen und schlechtere Arbeitsbedingungen bedeutete, weist auf eine Berliner Besonderheit hin. Besonders ist nämlich, dass Berlin für die Bundesrepublik in vielen Bereichen die Rolle des Vorreiters neoliberaler Deregulierung einnimmt. Ein unrühmlicher Job, der eher Roland Koch (CDU) und seiner Landesregierung in Hessen zuzutrauen gewesen wäre.

Berlin bleibt Steueroase für Unternehmen

Unter der großen SPD/CDU-Koalition war es die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe in Kombination mit dem Fugmann-Heesingschen Holdingmodell, welches Modellcharakter für Deutschland haben sollte. Rot-Rot wollte und will dem offensichtlich nicht nachstehen. Die Wegmarken der SPD/PDS-Koalition sind neben dem erwähnten Ausstieg aus den Arbeitgeberverbänden die Vollprivatisierung der Wohnungsbaugesellschaft GSW (welche Signalwirkung für die gesamte Immobilienbranche hatte), die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten sowie der geplante Verkauf der Sparkasse, der ebenfalls ein Exempel für die ganze Republik statuieren würde.

Dass es in der neuen Legislaturperiode mit einschneidenden Maßnahmen weitergehen soll, hat die Berliner Landesregierung in den wenigen Monaten seit der Abgeordnetenhauswahl im September 2006 eindrucksvoll belegt. So begrüßte die IHK in einer Pressemitteilung vom 23. Oktober den Verzicht des Senats auf eine Erhöhung der Gewerbesteuer. "Eine höhere Gewerbesteuer", so die Wirtschaftslobby, "wäre Gift für die Unternehmen der Stadt und ein Hindernis für mehr Wachstum und Beschäftigung." In anderen Großstädten scheinen höhere Steuern indes kein Problem darzustellen, vielmehr freuen sich viele Kommunen über die steigenden Steuereinnahmen in 2006. Berlin dagegen hat seit 1999 den Hebesatz von 410 unverändert gelassen und liegt damit im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten am unteren Ende der Skala der Steuererhebung (Potsdam: 450, Dortmund: 450, Hamburg: 470, München und Frankfurt/Main: 490).

Sogar das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung - in der es um die Finanzhilfe des Bundes für die Hauptstadt ging - darauf hingewiesen, dass nicht alle Einnahmemöglichkeiten ausgeschöpft seien und dem Berliner Senat deshalb empfohlen, die Gewerbesteuer zu erhöhen. Doch davon möchten Wolf, Sarrazin und Co derzeit nichts hören. Fehlende Finanzmittel werden an anderer Stelle eingespart, weil Berlin Steueroase bleiben soll.

"IHK Berlin begrüßt Ausweitung der Ladenöffnungszeiten"

Ebenfalls kurz nach den Abgeordnetenhauswahlen setzte der Berliner Senat einen weiteren Meilenstein unternehmensfreundlicher Politik. Berlin ist das erste Bundesland, in dem rund um die Uhr und auch sonntags eingekauft werden kann. Passend für das Weihnachtsgeschäft der großen Kaufhausketten nutzte die Landesregierung die mit der Föderalismusreform neu geschaffenen Spielräume, um die Öffnungszeiten in Rekordtempo zu liberalisieren. Die anfallenden Nacht- und Wochenendschichten für die Beschäftigten und die Höhe der Entlohnung waren für den Senat so bedeutungslos, dass auf die Einbeziehung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung bei der Ausarbeitung des Gesetzes verzichtet wurde. Auf Drängen der Dussmann-Kette fiel der alte Ladenschluss sogar noch früher als geplant, was von Peter Dussmann mit einer großen "Ladenschluss-Killer-Party" gefeiert wurde. Die IHK bedankte sich in einer Presseerklärung etwas dezenter: "Mit dem heute beschlossenen Gesetzentwurf erfüllt der Senat die Forderungen der Wirtschaft", wodurch Berlin über "die bundesweit weitgehendste Lösung" verfüge.

Der Antreiber

Mit Freude nahm die IHK auch den vom Senat geplanten Verkauf der städtischen Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) zur Kenntnis. Mit über 750.000 qm Büro- und Multifunktionsfläche ist die GSG der bedeutendste Gewerbeflächenanbieter Berlins, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen. Die Folgen einer Privatisierung sind absehbar: eine auf maximale Renditen ausgerichtete Verwertung der Immobilien, die in erster Linie zulasten der Kleingewerbetreibenden in den diversen Gewerbehöfen der GSG gehen würde. Dass die Gewerbeimmobilien ein äußerst begehrtes Objekt sind, zeigt sich an dem großen Interesse potenzieller Investoren. Eine zweistellige Anzahl von nachfragenden Unternehmen soll es nach Auskunft der Senatswirtschaftsverwaltung nach einem Interessenbekundungsverfahren Ende 2005 gegeben haben. Scheitern könnte der Verkauf daran, dass neben Strukturfördermitteln der EU auch Subventionen des Bundes in dreistelliger Millionenhöhe an die GSG zur Entwicklung ihrer Bestände geflossen sind. Diese könnten bei einem Verkauf zurückgefordert werden, was die Privatisierung nicht sonderlich lukrativ erscheinen lässt. Sollte dennoch verkauft werden, wäre die mit öffentlichen Mitteln sanierte GSG ein viele Millionen Euro schweres Geschenk für einen privaten Investor. Zurückzuführen wäre diese fatale Entscheidung vor allem auf das Engagement Harald Wolfs. Nach einer Darstellung der Berliner Zeitung hatte der Wirtschaftssenator die GSG bereits 2005 verkaufen wollen, was aber gegen den Widerstand der SPD nicht durchzusetzen war. Sollte das jetzige Ansinnen scheitern, wäre dies eine Schlappe für Wolf. Der Senator und Spitzenkandidat der Linkspartei.PDS ist also allem Anschein nach nicht der Getriebene einer neoliberalisierten SPD, sondern selbst der Antreiber.

Beste Investitionsförderung bei niedrigsten Steuern

Auch bei anderer Gelegenheit scheint Wolf dem Unternehmerlager näher zu stehen als den Belangen der Mehrheit der Berliner Bevölkerung. Wie der Tagesspiegel im August letzten Jahres schrieb, war es Harald Wolf, der diesmal jedoch nicht antrieb, sondern auf der Bremse stand und zu verhindern wusste, dass Finanzsenator Sarrazin im Juli 2005 die Gewerbesteuer erhöhte. Sehr engagiert zeigt sich Wolf seit letztem Jahr auch bei der Einführung des neuen Tarifsystems der Wasserbetriebe (siehe nachfolgenden Beitrag), eine der zentralen Forderungen der IHK.

Die Nähe zur Wirtschaft ergibt sich für den Senator ganz unmittelbar durch eine Vielzahl von Aufsichtsratsposten. Einer davon ist bei der Berlin Partner GmbH, wo Wolf als stellvertretender Vorsitzender u.a. mit Werner Gegenbauer und Eric Schweitzer, dem Ehrenpräsidenten und dem Präsidenten der IHK, in einem Gremium sitzt. Die Berlin Partner GmbH ist nach eigenen Angaben die "zentrale Anlaufstelle in Berlin, die Investoren bei der Ansiedlung unterstützt." Dafür wirbt die Gesellschaft mit dem eigens eingerichteten Internetportal "Business Location Center", welches das "zentrale Informationsportal für die Wirtschaft" darstellt. Hier finden sich alle Vorzüge, die Berlin für Investoren zu bieten hat und für die sich der Wirtschaftssenator stark macht: "Arbeitnehmer sind hervorragend qualifiziert und international wettbewerbsfähig, Arbeitszeiten sind flexibel und die Arbeitskosten günstig, (...) Investitionsförderung bietet die besten Förderbedingungen Europas, (...) kommunale Steuern zählen zu den niedrigsten im Vergleich der deutschen Bundesländer."

Wachstumsinitiative für die Wirtschaft

Mitte 2004 erhielt die enge Kooperation zwischen Senat und Wirtschaft eine besondere Qualität in Form der "Wachstumsinitiative Berlin 2004 - 2014". Im Rahmen dieser Vereinbarung, die im Juni 2004 von Senator Wolf, der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg, der IHK Berlin, der Handwerkskammer Berlin sowie dem Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg unterzeichnet wurde, "haben sich Wirtschaft und Politik auf eine enge Partnerschaft und Kooperation verständigt", so die erläuternden Worte auf der Internetseite des Senats für Wirtschaft (www.berlin.de/sen/wirtschaft/politik/wachstumsinitiative.html).

Unter anderem heißt es in dem Dokument: "Der Senat ist aufgerufen, Steuern und Abgaben wettbewerbsfähig zu halten. Um den Wirtschaftsstandort zu stärken und privates Kapital zu akquirieren, ist die Privatisierung landeseigener Unternehmen ein geeignetes Mittel."

Zur Kontrolle der wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen wurde ein jährliches Monitoring vereinbart. Berlin beschreite mit der "Wachstumsinitiative" neue Wege, kommentierte der Donnerstagskreis der Berliner SPD im Oktober 2004 sehr richtig. Und an gleicher Stelle - in der Ausgabe 24 der Schriftenreihe "Erkennen und Gestalten" des Donnerstagskreises - heißt es ebenso treffend: "Nicht mehr das Parlament ist der Partner des Herrn Wolf - die Interessensverbände der Wirtschaft sind jetzt in Augenhöhe des Senats angekommen. Sie kontrollieren über das ihnen eingeräumte Monitoring die Wirtschaftspolitik in Berlin."

Ein verlässlicher Senator

Bei einer derart unternehmensfreundlichen Politik, die quasi vertraglich festgeschrieben ist, verwundert es nicht, dass Herr Schweitzer und seine IHK keinerlei Bedenken gegenüber der Weiterführung der rot-roten Koalition hatten. Ganz im Gegenteil: Kurz vor den Wahlen äußerte sich Schweitzer gegenüber der Berliner Zeitung mit Worten der Hochachtung zum alten und neuen Wirtschaftssenator: "Manche wundern sich über die gute Zusammenarbeit zwischen der IHK und Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linkspartei. Doch das hat seinen Grund: Wolf ist ein in der Wirtschaft respektierter und anerkannter Senator, weil er verlässlich und bereit ist, Dinge zu ändern." Dass der Präsident der IHK und "Chef" der Müllentsorgung Eric Schweitzer den Wahlkampf des Senators unterstützt habe, darf allerdings niemand behaupten. Mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Magazin Focus (Fakten, Fakten, Fakten) untersagte das Landgericht Berlin die Verbreitung solcherlei Formulierungen.

Auch ohne Müllskandal verbreitet die enge Kooperation zwischen dem Senator für Wirtschaft und der IHK keinen Wohlgeruch. Auch wenn Harald Wolf immer mal wieder bemüht ist, sich nicht als Liebling der Wirtschaft darzustellen. So z.B. in dem "Interview des Monats" Dezember der Zeitung der IHK, "Berliner Wirtschaft". Nach weiteren Privatisierungen befragt, entgegnete Senator Wolf gewohnt souverän: "Von der Privatisierung landeseigener Wohnungsbaugesellschaften halte ich so viel wie die IHK von der Erhöhung der Gewerbesteuer." Was das bedeutet, lässt Böses erahnen. Denn Fakt ist, dass die Gewerbesteuer seit 1999 nicht mehr angehoben wurde, unter der rot-roten Regierung aber über 125.000 Wohnungen verscherbelt wurden.

Kommunen machen es besser und billiger

Während in Berlin immer mal wieder in Erwägung gezogen wird, auch die Stadtreinigung (BSR) zu privatisieren, ticken in anderen Teilen der Republik die Uhren ganz anders. Bergkamen in Nordrhein-Westfalen hat es vorgemacht und andere Städte folgten dem Beispiel der Rekommunalisierung der Müllabfuhr. Und das aus gutem Grund, denn die "Verstaatlichung" rechnet sich sowohl für die Kommunen als auch für die Beschäftigten und die Kundschaft. Die Mythen der Effizienzsteigerung, Sicherung von Arbeitsplätzen, günstigeren Preisen etc. der privaten Anbieter werden von den Realitäten widerlegt und das Fernsehmagazin "Monitor" hat diesen Sachverhalt in einem knappen Beitrag sehr anschaulich dokumentiert (www.wdr.de/tv/monitor). Zu den ersten Folgen der Privatisierung der Müllabfuhr im sächsischen Muldentalkreis gehörten 20 entlassene Müllmänner. Die noch weiterhin Beschäftigten mussten seitdem für knapp die Hälfte des früheren Lohns arbeiten. Mit den rund 880 Euro Monatseinkommen kamen die Beschäftigten nicht mehr über die Runden, so dass sie zusätzlich Wohngeld beantragen mussten, was die Privatisierung der Kommune teuer zu stehen kommt. Bei der "verstaatlichten" Müllabfuhr in Bergkamen sieht die Sache ganz anders aus: Die Beschäftigten erhalten Tariflöhne, die Gebühren wurden bereits nach einem halben Jahr um 10% gesenkt und die Stadt betreibt die Müllabfuhr für 770.000 Euro. Der private Anbieter hatte die Stadt 1,1 Millionen Euro gekostet, sodass eine Einsparung von 30% das Ergebnis einer gelungenen Rekommunalisierung ist.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 320