MieterEcho 320/Februar 2007: Frankreich: Wohnungsproteste in Paris

MieterEcho

MieterEcho 320/Februar 2007

Quadrat WOHNEN INTERNATIONAL

Von der Miete zum Wohneigentum

Wohnungsprivatisierung in Amsterdam

Manuel Aalbers

Manuel Aalbers Foto und Biografie

Wohnungsprivatisierungen finden nicht nur in Berlin statt. Ein Einblick in das Privatisierungsgeschehen anderer Länder und Städte kann helfen, den Blick auf die lokalen Auseinandersetzungen zu schärfen. Der Wohnungsmarkt in Amsterdam ist in vielen Punkten mit dem in Berlin vergleichbar. Auch in der holländischen Hauptstadt gibt es eine geringe Eigentumsquote, einen hohen Anteil an Sozialwohnungen und die lange Tradition einer sozialen Wohnungspolitik. Die Privatisierungsverfahren und auch die Folgen unterscheiden sich indes deutlich. Trotz der politischen Forcierung von Wohnungsverkäufen kommt die Privatisierung bisher nur schleppend in Gang.

In den Niederlanden ist sozialer Wohnungsbau kein staatlicher Wohnungsbau, denn die Sozialwohnungen gehören privaten Organisationen, werden von ihnen gebaut und verwaltet. Ein Wohnungsgesetz (Woningwet) von 1901 brachte erstmals die Kategorie der "toegelaten instelling" (zugelassene Institutionen) hervor, die für die Verbesserung der Wohnungsversorgung gegründet wurden. Diese Organisationen waren und sind bis heute Non-Profit-Organisationen. Sie müssen ihre Überschüsse in den Wohnungsbau reinvestieren und sind damit vergleichbar mit den gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen, die es in der BRD bis 1989 gegeben hat. Wie in den Niederlanden üblich entwickelten sich diese Organisationen nach dem Prinzip der so genannten "Verzuiling"* (Versäulung), das bedeutet, dass jede gesellschaftliche Gruppe ihre eigenen Wohnungsbauvereinigungen gründete. Prinzipiell jedoch sind diese privaten Wohnungsbauvereinigungen mit den Organisationen des öffentlichen Wohnungsbaus in anderen europäischen Ländern vergleichbar.

*) Verzuiling (Versäulung) ist die soziologische Bezeichnung für die historisch spezifische Gliederung der niederländischen Gesellschaft. Anders als in vielen anderen europäischen Ländern organisierten sich die sozialen und gesellschaftlichen Institutionen (Rundfunk, Gewerkschaften, soziale Einrichtungen bis hin zu den Wohnungsbauvereinigungen) nicht entlang ethnischer oder sozialer Trennungslinien, sondern vertikal entlang religiöser und politischer Zugehörigkeiten. Die holländische Gesellschaft war bis in die Nachkriegszeit stark von diesem System geprägt und erst in den letzten Jahrzehnten lösten sich diese historischen Bindungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Niederlanden eine Wohnungsnot, die eine neue Phase in der Geschichte des sozialen Wohnungsbaus einleitete. Die Regierung übernahm die zentrale Leitung für die Sozialpolitik, einschließlich des Wohnungsbaus. Die privatrechtlichen Wohnungsbauvereinigungen wurden zunehmend einer öffentlichen Regulierung unterstellt und entwickelten sich praktisch zu Zweigniederlassungen der Regierung: Die Regierung legte die Mieten fest, setzte über die Förderprogramme sehr detaillierte Bauauflagen durch, die Stadtverwaltungen griffen in die Auswahl der Architekten ein, kontrollierten die Bauverträge und überwachten die Bauarbeiten.

Eigentumsförderung auf Holländisch

Diese Rolle der Regierung änderte sich in den 80er Jahren. In den Niederlanden setzte ein Deregulierungsprozess ein und mit dem wachsende Haushaltsdefizit der Staatskasse wurde eine Kürzung nach der anderen begründet. Wegen der stetigen, wenn auch langsamen Reduzierung des Wohnungsmangels verlor der soziale Wohnungsbau seinen politischen Stellenwert.

Obwohl die Wohnungssituation in Amsterdam nach wie vor angespannt war und Wohnungssuchende lange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten, unternahm die Regierung 1989 mit dem so genannten Weißbuch "Wohnen in den Neunzigern" die ersten Schritte eines Rückzugs aus dem Wohnungsmarkt. Durch verschiedene Beschlüsse in den 90er Jahren wurde die Abhängigkeit der Wohnungsbauvereinigungen von der Zentralregierung weitgehend aufgelöst. Die bedeutsamste Änderung war 1995 die Einführung des so genannten "Brutering" (Ausgleich) bei dem die eingeplanten Fördergelder für mehrere Jahre einmalig in Form staatlicher Darlehen ausgezahlt wurden. Damit sollten die engen finanziellen Beziehungen zwischen Regierung und den Wohnungsbauvereinigungen aufgelöst werden. Diese Politik wurde Ende der 90er Jahre verstärkt und soll in den kommenden Jahren weitergeführt werden. Wie auch in der Bundesrepublik verabschiedete sich die Wohnungspolitik in den Niederlanden von der Orientierung den Bedürfnissen breiter Bevölkerungsschichten und richtet sich verstärkt an den Interessen der Mittelklasse aus. Kernziele der neuen Wohnungspolitik sind seither die Deregulierung des Wohnungsmarkts, die Stärkung der Bewohnerbeteiligung, größere Auswahlmöglichkeiten für Wohnungssuchende, die Förderung von Wohneigentum und der partielle Verkauf des Sozialwohnungsbestands.

Bis in die frühen 90er Jahre war die Idee des Verkaufs von Sozialwohnungen in der niederländischen Politik völlig undenkbar. Ein Mentalitätswandel setzte sich erst durch, als die holländische sozialdemokratische Partei ihren Plan ankündigte, die Wohnungsbauvereinigungen - vergleichbar mit dem britischen "Right-to-buy"-Modell ("Recht auf Kauf" der Wohnung) - zu zwingen, ein Drittel ihrer ca. drei Millionen Sozialwohnungen zu verkaufen. Nach vielen Diskussion wurde die Idee zunächst fallen gelassen und ein gemäßigter Plan entwickelt. Später wurde die Privatisierungsinitiative im "Gesetz zur Förderung von Wohneigentum" (BEW) aufgegriffen. Eines der Hauptziele war dabei die Steigerung des Eigentumsanteils auf 65% bis zum Jahr 2010 - der Landesdurchschnitt lag im Jahr 2001 bei etwas über 50%. Da die Eigentumsquoten in den größeren Städten am niedrigsten sind, wurde die Förderung des Eigentums in diesen Städten als besonders wichtig angesehen.

Amsterdam: Tabubruch Wohnungsprivatisierung

2001 befanden sich 57% des Amsterdamer Wohnungsbestands im Besitz von gemeinnützigen Wohnungsvereinigungen. Dieser Anteil ist deutlich höher als der Landesdurchschnitt. Der Anteil von selbstgenutzten Eigentumswohnungen ist mit 17% entsprechend geringer. Dies wurde und wird von der Privatisierungslobby als Resultat fehlender Verkaufsangebote interpretiert. Jedoch: In Amsterdam stellen Umwandlungen und Förderungen von Wohnungseigentum bis heute politisch sehr heikle Angelegenheiten dar. Nicht zuletzt, weil sie einen fundamentalen Bruch mit der wohnungspolitischen Tradition der Stadt signalisieren.

Unter dem Einfluss der neuen Regierungs-politik haben sich seit Ende der 90er Jahre die Verhältnisse auch in Amsterdam langsam geändert. Das Wohnungsbauministerium forderte die Wohnungsbauvereinigungen und Kommunen auf, konkrete Verkaufspläne zu entwickeln. In Amsterdam wurde diese ministerielle Anordnung zur Privatisierung der Sozialwohnungen in zwei getrennten Beschlüssen umgesetzt. Die erste Vereinbarung von 1997 unter dem Titel "Sozialer Wohnungsbau Verkaufsverpflichtung I" von der Amsterdamer Föderation der Wohnungsbauvereinigungen, der Stadtverwaltung, den Gebietsverwaltungen und der Amsterdamer Mietervereinigung sah vor, dass im Zeitraum von 1998 bis 2001 maximal 15.575 Wohnungen verkauft werden durften. In einem späteren Dokument wurde das Grundsatzziel formuliert, den Anteil der selbstgenutzten Eigentumswohnungen in Amsterdam bis zum Jahr 2010 auf 35% (ungefähr 130.000 Wohnungen) zu steigern. Für jeden Stadtbezirk wurden Verkaufsquoten festgelegt. In einer weiteren Vereinbarung von 2001 namens "Sozialer Wohnungsbau Verkaufsverpflichtung II" wurde sich auf den zusätzlichen Verkauf von 13.000 Wohnungen im Zeitraum von 2002 bis 2008 geeinigt.

Erst im November 2006 wurde ein neues Übereinkommen zwischen den Wohnungsbauvereinigungen und den Lokalverwaltungen unterzeichnet. Dies sieht vor, dass 12.000 zusätzliche Wohnungen von den Wohnungsbauvereinigungen zwischen 2008 und 2016 verkauft werden dürfen. Zusammen mit den bereits erteilten Verkaufsgenehmigungen von ungefähr 19.000 Einheiten aus den vorangegangenen Verkaufsperioden, können die Wohnungsbauvereinigungen in den nächsten zehn Jahren bis zu 31.000 Einheiten veräußern - das sind durchschnittlich 3.100 Wohnungen pro Jahr.

Umwandlung mit Anlaufschwierigkeiten

In den ersten Jahren (1998 bis 2000) war das Verkaufsgeschehen von Sozialwohnungen in Amsterdam sehr verhalten: Nur ungefähr 200 bis 400 Wohnungen wurden jedes Jahr verkauft. In 2001 und 2002 wurden etwas mehr Wohnungen privatisiert, nämlich 694 bzw. 512. Insgesamt wurden in den ersten fünf Jahren nur 2226 Sozialwohnungen verkauft. Seither ist die Anzahl der verkauften Wohnungen jedoch rasch gestiegen: von 1068 im Jahr 2003 über 1902 im Jahr 2004 auf 2402 im Jahr 2005. Die Daten der ersten neun Monate von 2006 lassen auch für letztes Jahr einen Verkaufsumsatz von über 2000 Wohnungen als wahrscheinlich gelten. Nach einem deutlichen Anstieg der Verkaufsaktivitäten scheint nun eine Konsolidierung stattzufinden.

Mit Blick auf die große Anzahl von Mietwohnungen und auf die große Nachfrage nach selbstgenutztem Eigentum mag es erstaunen, dass in den ersten Jahren der Privatisierung so wenige Wohnungen in Amsterdam verkauft wurden. Doch bis zum Ende der 90er Jahre hatten die meisten Wohnungsbauvereinigungen keine Zukunftsvisionen entwickelt, die den Verkauf von Mietwohnungen berücksichtigten. Nachdem zunächst die bloße Erwähnung von Verkaufsplänen für Furore sorgte, setzte mit den Jahren ein Gewöhnungseffekt gegenüber den Privatisierungsvorstößen ein. Etwa zur Jahrtausendwende kann ein Mentalitätswechsel beobachtet werden, in dessen Folge alle Wohnungsbauvereinigungen explizite Verkaufsziele formulierten. Aber auch andere, größtenteils administrative Barrieren blockierten in den ersten Jahren die zügige Abwicklung von umfangreichen Wohnungsverkäufen. Mehrere gesetzliche und politische Initiativen versuchten seither, die Verkaufsverfahren zu vereinfachen. Zusätzlich ist es schwieriger geworden, Wohnungsverkäufe baurechtlich zu verhindern.

Aber es gibt einen weiteren wichtigen Grund für die zögerliche Privatisierung: den örtlichen Wohnungsmarkt. Ein Verkauf ist den Wohnungsbauvereinigungen nur dann erlaubt, wenn die Wohnungen leer stehen oder an die Mieter/innen gehen. Wegen der geringen Mobilität der Mieter/innen, insbesondere in den beliebteren Gegenden des sozialen Wohnungsbaus, ist die Anzahl der leer stehenden - und verkaufsfähigen - Wohnungen jedoch deutlich geringer als die Zielgrößen, die in den entsprechenden Privatisierungsverträgen festgelegt wurden.

Verkaufsangebote an Bestandsmieter/innen bleiben in der Regel folgenlos, weil die meisten von ihnen ihre Wohnung nicht kaufen wollen oder können. Zwar wäre eine Reihe von Haushalten finanziell in der Lage, ihre Wohnung zu erwerben, aber wegen der hohen Immobilienpreise in der Stadt bevorzugen sie es, weiter zur Miete zu wohnen.

Obwohl die Anzahl der Verkäufe deutlich unter den Erwartungen blieb, sollten die Privatisierungen nicht unterschätzt werden. In den letzten Jahren wurden drei Viertel aller verkauften Eigentumswohnungen in Amsterdam von Wohnungsbauvereinigungen veräußert, 50% gingen an ehemalige Mieter/innen. Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass der Anteil von Eigentumswohnungen in Amsterdam jedes Jahr um etwa 1% zunimmt und inzwischen bei 21,1% liegt.

Gemischte Privatisierungsbilanz

Bevor der Verkauf der Sozialwohnungen begonnen hatte, befürchteten viele, dass die meisten Wohnungen in beliebten Wohnlagen verkauft werden würden. Tatsächlich verlief es jedoch nahezu umgekehrt: verhältnismäßig geringe Verkaufszahlen in den populärsten Bezirken und viele Verkäufe in den eher unbeliebten Gegenden der Stadt. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Die Kaufpreise (pro Quadratmeter) sind in den populären Bezirken deutlich höher als in den weniger angesagten Bezirken, während sich die Mietpreise kaum unterscheiden. Auch ist der Kostenunterschied zwischen Miete und Eigentum in den unattraktiveren Wohnlagen geringer. In den angesagten Wohnlagen hingegen müssen Wohneigentümer/innen - trotz Berücksichtigung aller möglichen Steuervorteile - mit monatlichen Hypothekenzahlungen bis zur sechsfachen Höhe ihrer bisherigen Miete rechnen.

Der durchschnittliche Verkaufspreis von Sozialwohnungen lag mit ungefähr 150.000 Euro deutlich unter den durchschnittlichen Preisen von ca. 225.000 Euro für eine Eigentumswohnung in Amsterdam. In den meisten der peripheren und oftmals als problematisch geltenden Bezirken finden Verkäufe mehrheitlich zu Preisen unter 140.000 Euro statt. Der Verkauf der Sozialwohnungen vermehrte nicht nur die Anzahl selbstnutzender Eigentümer, sondern erweitert den Eigentumsmarkt zugleich um erschwingliche Angebote. Die Privatisierungen erfolgten zu 30% an Bestandsmieter/innen, die anderen 70% wurden verkauft, als die Wohnungen leer standen. Wegen der verhältnismäßig niedrigen Preise der verkauften Sozialwohnungen sind die neuen Eigentümer/innen im Durchschnitt nicht nur jünger als die ehemaligen Mieter/innen, sondern auch jünger als die neuen Eigentümer/innen, die auf dem privaten Markt eine Wohnung erworben haben. Zudem gilt die Privatisierung in Amsterdam als familienfreundlich. Die Anzahl der Haushalte mit wenigstens drei Mitgliedern unter den Käufer/innen von Sozialwohnungen ist höher als in anderen Eigentumswohnungen und auch höher als in den Mietwohnungen der Wohnungsbauvereinigungen. Damit verbunden ist auch eine effizientere Ausnutzung des Wohnraums - angesichts der weiterhin angespannten Wohnungssituation in Amsterdam ein zentrales politisches Ziel.

Wie andere selbstgenutzte Eigentumswohnungen in der Stadt auch, sind die Sozialwohnungen mehrheitlich an Amsterdamer/innen verkauft worden und nur in Ausnahmefällen an Zugezogene. Auch der Anteil ethnischer Minderheiten, die ehemalige Sozialwohnungen kaufen, ist höher als der Anteil ethnischer Minderheiten, die in den privatwirtschaftlichen Segmenten des Wohnungsmarkts Eigentum erwerben. Insgesamt profitierten vom Verkauf der Sozialwohnungen demnach Haushalte mit mittleren Einkommen, größere Haushalte, ethnische Minderheiten und lokale Anwohner, die sonst im Bereich des Wohneigentums unterrepräsentiert sind.

Ungeachtet dieser positiven Bewertung der Verkaufspolitik gibt es die deutliche Gefahr, dass Mietwohnungen zu einer Angelegenheit für Haushalte mit niedrigen Einkommen werden. Die holländische Wohnungspolitik ist international berühmt, weil ihre Sozialwohnungsbestände verhältnismäßig heterogen sind und damit weniger stigmatisiert. Der Verkauf von Sozialwohnungen läuft Gefahr, den sozialen Mietwohnungssektor mit der Zeit aufzulösen - Marginalisierung und Rückständigkeit der Sozialsiedlungen wären die vorhersehbaren Ergebnisse.

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