MieterEcho 319/Dezember 2006: Ausdehnung der Mitte

MieterEcho

MieterEcho 319/Dezember 2006

Quadrat BERLIN

Ausdehnung der Mitte

Stadtumstrukturierung findet auch nördlich der Torstraße statt

Jutta Blume

Berlin-Mitte steht schon seit Jahren für Stadtumstrukturierung und für Gentrifizierung durch die Ansiedlung von Galerien, teuren Restaurants und Geschäften, durch Luxussanierungen sowie durch steigende Mieten. Allerdings erfasste der "Mitte-Effekt" nicht den gesamten Stadtbezirk, sondern konzentrierte sich rund um den Hackeschen Markt. Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich nun auch die Gebiete westlich und nördlich des Rosenthaler Platzes rasant verändern.

"Als ich im März hier eingezogen bin, gab es gerade fünf andere Galerien in der Brunnenstraße", erzählt Helena Papadopoulos, Galeristin von "Nice & Fit". Inzwischen sind es zwölf Galerien, die sich auf dem kurzen Abschnitt zwischen Rosenthaler Platz und Veteranenstraße drängen, nördlich davon sowie in der Veteranenstraße gibt es ein paar weitere. Und in dem jetzt noch leer stehenden Eckhaus am Weinbergspark soll im Herbst 2007 ein "Gallery- and Lofthouse" eröffnen. Bei dem Gebäude handelt es sich um das ehemalige Kaufhaus Jandorf, ein prunkvoller Gründerzeitbau, der seit der Wende leer steht. Die Brunnenstraße wird von Galeristen und Presse zum neuen "Hotspot" der internationalen Galerieszene erklärt - und es gibt sowohl von professionellen Galeristen betriebene als auch von Künstlergruppen selbst organisierte Räume.

Bunte Mischung in der Brunnenstraße

"Ich mag an dem Gebiet, dass es noch nicht gentrifiziert wurde", meint Helena Papadopoulos, die früher eine Galerie in ihrem Wohnzimmer hatte. Die neuen Räume hat sie selbst renoviert, an der Fassade hat sie jedoch nichts verändert. "Ich wollte den Brunnenstraßencharakter erhalten." Doch Gentrifizierung und glatte Fassaden sind allem Anschein nach nur noch eine Frage der Zeit. Die südlich angrenzende Spandauer Vorstadt, in der sich die Auguststraße als Galeriemeile festigte, könnte als Vorbild dienen. Ebenso wie die Spandauer Vorstadt ist die Rosenthaler Vorstadt Sanierungsgebiet. Die Modernisierungsquote von Wohnungen liegt dabei in beiden Teilen gleichermaßen bei etwa 70%. Trotzdem ist das Stadtbild in dem nördlichen Quartier noch weniger glatt und in den Erdgeschossen findet man Lebensmittelläden, Imbisse und Ramsch-Läden neben den neuen Galerien. Außerdem gibt es noch einige Wohn- und Kulturprojekte, die Reste einer Alternativkultur, welche sich in den 90er Jahren leer stehende Häuser aneignete. Wohnprojekte entstanden damals ebenso wie inoffizielle Bars und Clubs, die oft nur an einem Tag in der Woche geöffnet hatten. Viele Projekte verschwanden im Zuge der Sanierung, andere kommerzialisierten sich. Einige wenige Hausprojekte schafften es aber auch, relativ günstige Mietverträge zu erkämpfen und ihre Form des Zusammenlebens zu erhalten. In unmittelbarer Nähe des Rosenthaler Platzes sind das zum Beispiel die inzwischen sanierte Brunnenstraße 7 - in der neben dem Hausprojekt auch einige davon unabhängige Galerien als Einzelmieter ansässig sind - und die Brunnenstraße 183 mit dem Projekt Umsonstladen. Doch die Brunnenstraße 183 ist akut gefährdet. Die Mieter/innen versuchten im Januar, ihr Haus bei einer Zwangsversteigerung selbst zu kaufen (MieterEcho Nr. 314 berichtete, die Red.). Daraus wurde nichts. Die Gläubigerbank, die EuroHypo AG, hatte das Haus kurz zuvor dem Privatinvestor Manfred Kronawitter zugesprochen. Dieser weigert sich seitdem, die bestehenden Mietverhältnisse anzuerkennen und zu Gesprächen mit den Bewohner/innen erklärte er sich von Anfang an nicht bereit. Er forderte kürzlich alle Mieter/innen dazu auf, bis zum 27.10. ihre Räume zu verlassen. Diese gehen nun davon aus, dass er Räumungsklagen einreichen wird. Alle politischen Bemühungen liefen bisher ins Leere. Weder der Beschluss der BVV, sich für den Erhalt des Projekts einzusetzen, noch ein Solidaritätsbesuch Klaus Wowereits im Umsonstladen beeindruckten den Eigentümer. Stattdessen rief er die politische Konkurrenz auf den Plan und lässt sich nun von der Anwaltskanzlei Schmitt und Häntsch - Ingo Schmitt ist Landesvorsitzender der Berliner CDU - vertreten.

Wohn- und Kulturprojekte gefährdet

Eine Straße weiter, in der Ackerstraße, feierte der Schoko-Laden kürzlich seinen 16. Geburtstag. Als Veranstaltungsort und Künstlerhaus ist er stadtbekannt, außerdem hat dort die Stadtzeitung "scheinschlag" ihre Büroräume. Ende 2005 wurden dem Schoko-Laden e.V. alle Gewerbemietverträge gekündigt. Zwar wird derzeit über eine Zwischenlösung bis zum Sanierungsbeginn verhandelt, eine langfristige Perspektive für das Kulturprojekt ergibt sich dadurch aber nicht.

Doch auch in Gebieten, die längst fertig gentrifiziert erscheinen, finden Privatinvestoren noch Schnäppchen. So wurde 2004 die Kastanienallee 86 an eine GbR verkauft. Das Haus wurde, wie die meisten Hausprojekte im ehemaligen Ostteil, 1990 besetzt und erhielt von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft WiP Mietverträge. Aufwendige Modernisierungen hatten die Mieter/innen stets abgelehnt, u.a. um günstigen Wohnraum zu erhalten. Die neuen Eigentümer planten zunächst eine Modernisierung sowie den Ausbau der Dachgeschosse. Inzwischen zeichnet sich allerdings ab, dass es zu einer Einigung kommen könnte. Demnach würde nur ein Teil des Dachgeschosses ausgebaut und die Modernisierung geringer ausfallen. Grundsätzlich zeigt sich aber, dass Investoren immer wieder von einem Tag auf den anderen den Bestand auch langjähriger Projekte gefährden können. In der Kastanienallee gibt es daher auch Überlegungen, den jetzigen Eigentümern das Haus abzukaufen, doch der Schritt zum Eigentum ist in der Hausgemeinschaft umstritten.

Weniger kommerziell als New York

Während die Gewinninteressen von Hauseigentümern die einen in ihrer Existenz gefährden, finden andere für ihre Verhältnisse noch traumhaft günstige Mieten. Für das Geld, für das sich in New York nur eine einzige Galerie mieten lässt, gibt es in Berlin großzügigen Galerieraum inklusive Umbau und zwei Wohnungen. So jedenfalls im Fall der im September eröffneten Galerie Goff + Rosenthal. Und die Galeristen betonen: "Die Atmosphäre steht im starken Gegensatz zum eher kommerziellen und stets geschäftigen New York." Gentrifizierung also nur eine Frage der Relation?

Gefährdete Projekte

Internetseiten der genannten Hausprojekte:

Brunnenstraße 7: www.subversiv.squat.net

Brunnenstraße 183/ Umsonstladen: www.umsonstladen.info

Ackerstraße 169/ Schoko-Laden: www.schokoladen-mitte.de

Kastanienallee 86: www.ka86.de

Gentrifizierung

Der Begriff Gentrifizierung bzw. "Gentrification" - von engl. gentry = Oberschicht, (niederer) Adel - beschreibt den Prozess der ökonomischen und sozialen Aufwertung von städtischen, armen und häufig zuvor dem Verfall preisgegebenen Wohnquartieren. Die Aufwertung erfolgt durch Modernisierungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und dem damit verbundenen Zuzug Besserverdienender. Es werden so veränderte ökonomische und sozio-kulturelle Bedingungen geschaffen, die zur Abwanderung der alteingesessenen niedrigverdienenden Bewohnerschaft führen.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 319