MieterEcho 318/Oktober 2006: Anders als geplant

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MieterEcho 318/Oktober 2006

Quadrat PRIVATISIERUNG

Anders als geplant

Nachdem die Marzahner Genossenschaft "Eigentum 2000" Insolvenz anmelden musste, wurde sie von Vivacon übernommen

Hermann Werle

Wenige Tage nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wurde am 19.09.2006 die Wohnungsbaugenossenschaft namens Eigentum 2000 an die Vivacon AG verkauft. Nachdem die Genossenschaft bereits Anfang 2005 Insolvenz anmelden musste und weder der Berliner Senat noch die Investitionsbank Berlin (IBB) zu helfen bereit waren, blieben nur die Möglichkeiten der Insolvenzvollstreckung oder des Verkaufs der 1269 Wohnungen. Durch die Umwidmung der Genossenschaftseinlagen in zeitlich gebundene Kautionen, konnten die ehemaligen Genoss/innen gleich für Jahre 'miteingekauft' werden.

"Für die Mieter ändert sich nichts", titelte die Berliner Zeitung am 20.09.2006 in ihrer Meldung zum Verkauf der Genossenschaft Eigentum 2000. Anscheinend nicht bis in alle Zeitungsredaktionen durchgedrungen ist der Umstand, dass es sich bei Verkäufen sozialer Infrastruktur nicht nur um schlichte Eigentümerwechsel handelt. Wie bereits im vorherigen Artikel über die Situation am Grazer Damm geschildert, ändert sich nämlich eine ganze Menge für Mieter/innen und das hängt ganz ursächlich mit dem Eigentümer zusammen. Kommunal- und sozialpolitische Handlungsspielräume werden überwiegend durch städtische Unternehmen gesichert. Der Verkauf derselben bedeutet die Preisgabe politischer Einflussnahme.

Sicherheit geht verloren

Ähnlich wie für die Mieterschaft in vielen Siedlungen ehemaliger städtischer Wohnungsbaugesellschaften geht mit der Zerschlagung der Genossenschaft auch für die Genoss/innen in Marzahn ein nicht unerhebliches Stück sozialer Sicherheit verloren. Um diese zu erhalten, hatten schließlich bis zur Insolvenz 882 Mitglieder 568.000 Euro in die Eigentum 2000 eingelegt. Wenn schon die Rente nicht mehr sicher ist, sollte zumindest das Dach über dem Kopf langfristig gesichert sein.

Dass die Geschäftsphilosophie privater Investoren mit langfristigen persönlichen Planungen in Widerspruch geraten kann, ergibt sich aus einfachem Grund. Aufgabe des Managements z.B. der Vivacon AG ist es nicht, die Zukunftsängste der Mieterschaft zu lindern, sondern die Zukunftshoffnungen der Anleger auf Mehrung ihres Kapitals zu schüren. Gelingt das nicht, so wird eine Aktie oder ein Fonds bald nichts mehr wert sein und das Vertrauen in die Fähigkeiten des Managements ist nachhaltig getrübt. Die Strategien zur Mehrung des eingelegten Kapitals sind vielfältig und bedeuten nicht in jedem Fall, dass Mieten bis zum Anschlag erhöht werden müssen. "Optimierung" heißt das Zauberwort und besagt, dass z.B. eine Mieterhöhung für ALG-II-Beziehende bis zur Grenze der Angemessenheitskriterien sinnvoller sein kann als eine Erhöhung darüber hinaus, wodurch Leerstand entstünde. Mieter/innen zu halten kann also ebenso zum Geschäft gehören, wie bestimmte Mieter/innen zu verdrängen, um Miet- besser in Eigentumswohnungen umwandeln zu können.

Vivacon erntet die Früchte

Doch auch von den Strategien der Wohnraumverwertung wollen einige Medien und politische Repräsentanten nicht viel wissen. Die Berliner Zeitung ist der Meinung, der neue Investor Vivacon gebe sich großzügig, wenn er die Genossenschaftseinlagen in Kautionen umwandelt. Aber der Investor ist weniger großzügig als vielmehr glasklar kalkulierend. Denn die Einlagen werden zu Kautionen, die nur dann vollständig zurückerstattet werden, wenn das Mietverhältnis noch weitere fünf Jahre weiterbesteht. "Durch die Kautionsregelung wollen wir die Fluktuation minimieren", bemerkte der Chef der Vivacon AG denn auch ganz unverblümt. Hatte die kommunalpolitische Prominenz von SPD und Linkspartei.PDS bei einer Genossenschaftsversammlung einige Tage vor den Wahlen noch betont, wie sie sich für die Einlagen der Genoss/innen stark machen würden, so kam nur ein weiterer Investitionsanreiz heraus. Vivacon kann die Früchte diverser Landeszuschüsse sowie der Arbeit und des Geldes der Genoss/innen und Mieter/innen ernten: Der Bestand ist komplett saniert, hat inzwischen einen niedrigen Leerstand von etwa 7%, verfügt über eine Mieterschaft, die durch die Kautionsregelung eng an die Wohnungen gebunden ist und die Wohnungen sind durchaus attraktiv für Eigentumserwerber. Bei Preisen von 900 Euro/qm, die für die sanierte Platte bezahlt werden, ergibt sich eine üppige Gewinnspanne für die Vivacon AG. Über den Umweg der Genossenschaft wurde aus städtischem Eigentum ein profitables Objekt der Immobilienverwertung.

Konstruktionsfehler in Strieders Genossenschaften

Wegen der hohen Leerstandsrate von rund 25% kam die WBG Marzahn Ende der 90er Jahre in Bedrängnis. Um die Gesellschaft finanziell zu stützen, entschied sich der Senat zu sogenannten "Liquiditätsverkäufen" aus dem Bestand der WBG. Eine Nachfrage nach unsanierten Plattenbauten war allerdings nicht vorhanden und so musste diese künstlich geschaffen werden. Dies geschah mit den "von oben" initiierten Genossenschaften. Während die eigentumsorientierten Genossenschaften Wöhlertgarten und Bremer Höhe auf Initiativen der Mieterschaft zurückgingen, entstanden die Genossenschaften Horizont, Nordlicht und Eigentum 2000 einzig zur Stützung der WBG und auf besondere Veranlassung des damaligen Senators Peter Strieder (SPD). Im Juli 2001 beantragte dieser beim Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses die Umgehung der speziellen Richtlinien zur Gründung eigentumsorientierter Genossenschaften (GenossenschaftsRL 2000). Damit wurde diesen Genossenschaften vom rot-grünen Senat der Sargnagel bereits in die Wiege gelegt, denn die Richtlinien sahen eine Mindestanzahl von Genoss/innen vor, um eine gewisse Eigenkapitalbasis zu gewährleisten.

Wie schwer es ist, mit zu geringer Eigenkapitalausstattung zu agieren, bekamen und bekommen alle in dieser Zeit gegründeten Genossenschaften zu spüren. Denn alle beruhen auf den gleichen Konstruktionsfehlern: hohe Kauf- und Sanierungskosten bei zu geringer Eigenkapitalausstattung und bei zu geringen laufenden Mieterlösen. Für die Eigentum 2000 hieß das laut Strieders Antrag auf eine schnelle Bewilligung der Fördermittel konkret: "Der Leerstand in diesen Beständen liegt bei ca. 26%. Hinzu kommen noch Mietausfälle bei ca. 18% der vermieteten Wohnungen. (...) Als Kaufpreis wurden ca. 37 Millionen DM (= 450 DM/qm Wohnfläche) zzgl. Nebenkosten zwischen der Genossenschaft und der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn ausgehandelt. Dies entspricht einem Fördervolumen des Landes Berlin in Höhe von ca. 15 Millionen DM. Für umfassende Sanierungsmaßnahmen der unsanierten Bestände sollen ca. 66 Millionen DM (= 800 DM/qm Wohnfläche) aufgewendet werden."

Dies waren denkbar schlechte Voraussetzungen, die den Druck auf die Mieten und das aggressive Werben von neuen Genoss/innen von vornherein mit sich brachten. Eine seriöse Finanzierungsplanung schien weder vom Senat noch von der IBB gewollt, die Genoss/innen wurden in ein Abenteuer geschickt, dessen Ausgang absehbar war. Von politischer Verantwortung will heute kaum jemand etwas wissen. Dabei wird das Thema vielleicht bald schon wieder auf der Tagesordnung des Abgeordnetenhauses stehen, wenn es um die Zukunft der Horizont und der Nordlicht geht.

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