MieterEcho 315/April 2006: Echtes Spielgeld

MieterEcho

MieterEcho 315/April 2006

 BERLIN

Echtes Spielgeld

Mittels Haushaltstricks wie den so genannten kalkulatorischen Kosten zwingt der Senat die Berliner Bezirke, viele ihrer öffentlichen Gebäude zu verkaufen

Christoph Villinger

Aufgeflogen ist diese Form von "Absurdistan" durch das Bürgerbegehren gegen die Privatisierung des Bethaniens. Wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, wird auf den Bögen für die Unterschriftensammlung eine Kostenschätzung des Bezirksamts mitabgedruckt. Und da spricht das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von jährlich 1,5 Millionen Euro warmen Bewirtschaftungskosten für das Hauptgebäude des Bethanien. Zwar könnte jeder kapitalistisch organisierte Betreiber die gleiche Leistung für knapp 700.000 Euro erbringen, aber gelogen sind die Zahlen des Bezirksamts trotzdem nicht. "Kalkulatorische Abschreibung und Zinsen" heißen die Zauberworte aus der Geheimsprache der Politiker, die scheinbar zum Verkauf der Immobilien zwingen. Das Problem betrifft alle öffentlichen Gebäude im Besitz der Bezirke, also Schulen in Charlottenburg und Pankow oder Bibliotheken in Tegel genauso wie das Kulturzentrum Bagatelle in Frohnau.

"Ein Stück aus Absurdistan", so fasst Franz Schulz (Bündnis 90/ Die Grünen), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, die zugrundeliegenden haushaltsrechtlichen Zwänge zusammen. Eine erste Spurensuche durch das Gestrüpp der Berliner Bezirkspolitik führt zu widersprüchlichen Antworten und auch oft zu interessengeleiteten Erwiderungen. Außerdem ist die Angst vor Repressalien bei vielen der sonst auskunftsfreudigen Mitarbeiter/innen des Öffentlichen Dienstes groß. "Ich hab' aber nichts gesagt", lautet der Gruß zum Abschied.

Sparzwänge für die Bezirke

Der Zugang zur Problematik kann durch den Haupteingang des Bethaniens in Kreuzberg führen, aber auch durch das Portal jeder öffentlichen Schule in Berlin. Manche fachlich recht umstrittene Zusammenlegung von Schulen erscheint vor diesem Hintergrund auf einmal in einem anderen Licht. Die Auswirkungen dieser Haushaltspolitik sind so konkret, dass etwa 3000 Immobilien im Besitz der Bezirke, die keinem Fachvermögen zugeordnet wurden, in den kommenden Monaten zum Verkauf an den Berliner Liegenschaftsfonds übertragen werden sollen. Andere, wie der leerstehende Schulkomplex in der Kastanienallee 82 sind schon privatisiert - eine interessierte Anwohner-Initiative ging dabei leer aus (das MieterEcho berichtete in Nr. 309). Doch der rechnerische Druck auf die Bezirke geht weiter. "Es ist inzwischen wirtschaftlicher für den Bezirk, ein fremdes Gebäude anzumieten als ein eigenes zu nutzen", sagt Baustadtrat Schulz, "da ist doch etwas falsch."

Kosten für Zinsen und Abschreibung

Mühsam versucht Schulz, den Hintergrund zu erklären. Spätestens 2005 setzte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die Kosten- und Leistungsrechnung bei der Immobilienbewirtschaftung in den Bezirken durch. Gegen den Widerstand der Bezirke entschied er, bei der Festsetzung der durchschnittlichen Kosten für ein Gebäude, dem Median, nicht nur die so genannten budgetwirksamen Kosten zu berücksichtigen. "Dies sind die warmen Betriebskosten plus Personalkosten", erklärt Schulz. Auch dies führe schon zu Ungerechtigkeiten, weil ein Altbau mit seinen Raumhöhen nicht mit einem Plattenbau zu vergleichen sei. Es werde kaum auf die inhaltlichen Probleme der einzelnen Bezirke eingegangen, sondern den Finanzsenator interessiere vor allem, "zu welchen Kosten wie viel Quadratmeter des Produkts Schule ein Bezirk pro Kind verbrauche." Doch das eigentliche Problem liege, führt Schulz weiter aus, in den so genannten budgetunwirksamen Kosten, den kalkulatorischen Kosten für Zinsen und Abschreibung. Den kalkulatorischen Abschreibungen steht zumindest noch der reale Gedanken gegenüber, dass eigentlich Rücklagen für eine Modernisierung des Gebäudes gebildet werden müssen. Das Land Berlin legt aber real kein Geld dafür zurück. Aber den kalkulatorischen Zinsen liegt die Philosophie zugrunde, dass durch das Gebäude und das Grundstück letztlich Geld gebunden ist, was auf dem Markt anders verwertet werden könne. Diesen fiktiven Geldverlust stellt man durch kalkulatorische Zinsen dar.

Doch damit nicht genug. Diese kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen beziehen sich oft auf einen absurd hohen Buchwert. Eigentlich sollte ein Buchwert mehr oder weniger dem Verkehrswert entsprechen. "Theoretisch kann es da bei einem privaten Unternehmen Abweichungen von 10% nach oben oder unten geben", sagt Schulz. Da sich in der Initiative Zukunft Bethanien (IZB) inzwischen auch ein volkswirtschaftlich geschultes "Kompetenz-Team" zusammengefunden hat, widerspricht sie der Kostenschätzung des Bezirks vehement: "Das Bethanien steht mit einem Buchwert von ca. 32 Millionen Euro im Haushalt des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg." Aus dieser Summe leitet nun der Bezirk die gigantischen Kosten für kalkulatorische Abschreibungen und Zinsen in Höhe von insgesamt 815.000 Euro pro Jahr ab. Würde das Bethanien mit seinem wahrscheinlich wirklichen Verkehrswert von knapp drei Millionen Euro im Haushalt stehen, reduzieren sich diese kalkulatorischen Kosten auf ein Zehntel. Aber allen Nachfragen der IZB zum Trotz befindet sich das aktuelle Verkehrswertgutachten weiterhin im "Giftschrank" des Bezirks. Legt man diese drei Millionen Euro zugrunde, könnte der Bezirk das Bethanien problemlos in das Fachvermögen Kultur überführen und somit der Bevölkerung des Bezirks erhalten. Nur 80.000 Euro müssten dann jährlich als kalkulatorische Kosten erwirtschaftet werden.

Doch wie kommt der Bezirk auf diesen Buchwert von 32 Millionen Euro? "Alle öffentlichen Immobilien im Besitz der Bezirke werden nach dem Baupreis-Index auf der Basis des Bauwerts von 1913 berechnet", erzählt eine Mitarbeiterin des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. "Dies ist eine übliche Berechnungsgrundlage, um den Wiederbeschaffungs- und damit den Versicherungswert für die Feuerversicherung einer Immobilie festzusetzen", entgegnet dazu die IZB. Aber Immobilien würden normalerweise nach dem Verkehrswert berechnet. Eine ungefähr zehnfach überbewertete Immobilie wäre nämlich in der Privatwirtschaft Bilanzbetrug, so die IZB. Zuletzt verhandelten Anfang dieses Jahres die Wirtschaftsseiten der Presse das Thema der überbewerteten Immobilien bei der Krise der Immobilienfonds der Deutschen Bank. Doch "wir befinden uns im Öffentlichen Dienst und nicht in einem privaten Unternehmen", beharrt die Mitarbeiterin des Bezirksamts auf ihrer Position.

"Eingeführt wurde diese Berechnungsgrundlage", so die Mitarbeiterin, um an alle Immobilien den gleichen Maßstab anzulegen. Beim Verkehrswert wären die Innenstadtbezirke enorm benachteiligt, weil da auch der Grundstückswert mit einfließe. Nun wird vom Finanzsenator der Durchschnitt aller Berliner Bezirke ermittelt, der so genannte Median, und diesen Betrag bekommt nun jeder Bezirk für seine Immobilien zugewiesen. So erhält jeder Bezirk dann beispielsweise 100 Millionen Euro, wovon im Bethanien allein durch die budgetunwirksamen Kosten 800.000 Euro gebunden sind. Wäre das Bethanien verkauft, erhielte der Bezirk trotzdem die 100 Millionen. Matthias Kolbeck, Pressesprecher von Sarrazin, spricht von "echtem Spielgeld". Auf seiner Internetseite erklärt der Finanzsenator diese Rechnung am Beispiel der Bibliotheken so: die Ausleihe einer Medieneinheit kostet in Kreuzberg einen Euro, in Spandau zwei Euro. Nun wird der Mittelwert genommen. Dieser in Höhe von 1,50 Euro steht dann theoretisch den Bezirken pro Medieneinheit zur Verfügung. Kreuzberg könne sich nun, da es sparsam gewirtschaftet habe, neue Bücher anschaffen, Spandau müsste nun dringend die Kosten senken. Doch in der Praxis haben die Kreuzberger Stadtbibliotheken nichts von der sparsamen Wirtschaftsweise, das Geld verschwindet in den bezirklichen Haushaltslöchern. Es ist nur die rhetorische Begleitmusik zur Senkung der öffentlichen Ausgaben.

Ob es so gemacht werden muss, lautet nun die spannende Frage. "Es wäre kein Problem, den Buchwert auf den Verkehrswert für das Gebäude zu reduzieren", meint die IZB. "Die budgetunwirksamen Kosten wurden eingeführt, um den Bezirken eine wirtschaftliche Entscheidungsgrundlage über die Anmietung oder den Erhalt von bezirkseigenen Gebäuden zu liefern. Mit diesen absurden Buchwerten sind sie allerdings nur ein Instrument, um die Privatisierung öffentlicher Gebäude zu forcieren", meint die IZB weiter. Die Mitarbeiterin des Bezirks schiebt alle Schuld auf den Finanzsenator und den Computer: "Diese Art der Berechnung ist im Haushaltsbuchführungs-Programm der Bezirke 'Profes-Cal' schon eingebaut und der Computer macht es dann automatisch". Dem widerspricht der Haushaltsexperte von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, Oliver Schruoffeneger: "Niemand zwingt die Bezirke. Wenn ein Bezirk politisch will, kann er es auch anders machen."

Womit wir beim nächsten Problem wären. Einigen Bezirken fällt hier eine langjährige Praxis auf die Füße, die Gebäudewerte möglichst hoch anzusetzen, weil sich darauf die Mittelzuteilung bezog. "Manche Bezirke haben auch heute Vorteile von der Bemessungsgrundlage nach dem Baupreisindex von 1913", erzählt Schulz. So sei eine Initiative zu einer Veränderung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg "dem großen Verlierer bei diesem Verfahren", "im Herbst 2005 im Rat der Bürgermeister grandios gescheitert". Solange sich die Bezirke nicht einig sind, kann man auch nichts gegen den Finanzsenator unternehmen. Dies bestätigt auch eine Mitarbeiterin der Schulverwaltung. "Der Blick der einzelnen Bezirke ist so auf ihre kleinlichen Vorteile gerichtet, dass sie das große Ganze nicht mehr sehen", meint sie. Sie opponiert vor allem gegen den Verkauf der vielen inzwischen leer stehenden Schulgebäude. So seien sie in zehn Jahren unwiederbringlich weg. Man könne sie auch vorübergehend vermieten. Die eigentliche Aufgabe der öffentlichen Verwaltung sei doch die Daseinsvorsorge.

Dem kann so allgemein auch Stephan Zackenfels (SPD), der Kreuzberger Vertreter im Abgeordnetenhaus, problemlos zustimmen. Trotzdem möchte der Haushaltsexperte die etwas andere Perspektive des Landes Berlin zum Problem beisteuern. Müsse man nicht die staatlicherseits bereitgestellte Infrastruktur an die demografische Entwicklung anpassen? "Was ist Besitzstandswahrung, was Daseinsvorsorge?", fragt er sich. Und beklage die IZB nicht auch, dass der Bezirk ein öffentliches Kulturzentrum wie das Bethanien schlecht bewirtschafte? Sicher frage sich Finanzsenator Sarrazin wegen der Berliner Haushaltsnotlage, wo ist in den Bezirken Geld gebunden, welches man locker machen kann. Mit den kalkulatorischen Kosten könne man den Druck auf die erhöhen, die dieses Vermögen zur Zeit in der Hand haben. Und nun müssten die Bezirke eben über ihre Gebäude nachdenken. "Aber", und dies sagt Zackenfels auch, "dies hapert ab dem Moment, wo diesen Kosten nicht der Verkehrswert, sondern der Baupreisindex von 1913 zugrunde gelegt wird". Außerdem stand und stehe es den Bezirken frei, eine Wertberichtigung bei der Arbeitsgruppe "Bauwerte" beim Finanzsenator zu beantragen. "Doch viele Bezirke haben die Entwicklung verschlafen. Und jetzt beschweren sich die Bürger zu Recht, dass die Gebäude zum Verkauf an den Liegenschaftsfonds gehen", betont Zackenfels. Doch eine wirkliche Trendwende hält der SPD-Abgeordnete frühestens nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zu dem Antrag Berlins auf teilweise Entschuldung für möglich. Dieser wird inzwischen kurz nach der Landtagswahl im September 2006 erwartet.

Aber bis dahin muss jemand "Halt" schreien. Noch können die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) einiges verhindern. "Wir weisen die Mitglieder der BVV ausdrücklich darauf hin, dass die getroffene Entscheidung, diverse bezirkseigene Gebäude und Flächen an den Liegenschaftsfonds zu übertragen, angesichts der offensichtlich fehlerhaften Immobilienbewertung überprüft und revidiert werden muss", schreibt die IZB als Fazit ihrer vierseitigen Stellungnahme zu den kalkulatorischen Kosten. Und dies gelte für alle zwölf Berliner Bezirke. "Auch hier versucht man wieder, wie bei den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, sich aus einer kurzfristigen Haushaltsnotlage zu befreien", so die IZB. "Die langfristigen Folgen werden ausgeblendet und ein öffentlicher Diskurs darüber vermieden. Man kann das Bethanien nur einmal verkaufen, und dann ist es für immer dem öffentlichen Leben entzogen." Baustadtrat Schulz fordert, die budgetunwirksamen Kosten beim Kostenvergleich der Bezirksimmobilien nicht mehr zu berücksichtigen.

Einen konkreten Ausweg aus "Absurdistan" sieht ein Mitarbeiter der Bauverwaltung von Pankow. Warum werde den Bezirken nicht erlaubt, fragt er sich, was der Senat mit vielen seiner Gerichts- und Polizeigebäude gemacht hat. Diese wurden nämlich in den letzten Jahren in die BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH) in ein so genanntes Mieter-Vermieter-Modell überführt und damit aus der Logik der Kameralistik, der Haushalts-Buchführung der öffentlichen Hand, befreit. Beispielsweise sei der leer stehende Schulkomplex in der Kastanienallee 82 inzwischen an die private GLS-Sprachenschule verkauft, "aber man muss doch den gleichen Fehler nicht dauernd wiederholen!"

INITIATIVE ZUKUNFT BETHANIEN (IZB)

Die Initiative Zukunft Bethanien (IZB) ist ein Zusammenschluss verschiedener Einzelpersonen und Initiativen mit dem Ziel, die Privatisierung des Bethaniens zu verhindern.
Kontakt:
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Telefon: 0179-851 77 00
http://www.bethanien.info
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