MieterEcho 314/Februar 2006: Nach dem Verkauf folgt nun die Zwangsversteigerung

MieterEcho

MieterEcho 314/Februar 2006

 BERLIN

Nach dem Verkauf folgt nun die Zwangsversteigerung

Weder die Mieter/innen noch der Umsonstladen wollen sich an den Stadtrand drängen lassen

Jens Hermann

"Versteigert Euch nicht", heißt es gleich neben "dieses Haus ist voll" an der Hauswand der Brunnenstraße 183. Nebenan hängt seit einigen Monaten eine andere Botschaft: "Exklusives Wohnen in Berlin Mitte" und "hier entstehen 35 hochwertige Eigentumswohnungen". Damit scheint die Problematik des Hausprojekts nahe dem Rosenthaler Platz schon beinahe beschrieben, wenn nicht alles noch viel komplizierter wäre.

Die Spekulationsgeschichte des Hauses, das am 23.01.2006 unter den Hammer kommt, zieht sich schon über einige Jahre hin. Zuletzt erwarb die Tübinger Firma team2 mit dem großspurigen Namenszusatz "Gesellschaft für Stadtentwicklung" das Gebäude. In Wildwest-Manier tauchte eines Morgens vor vier Jahren der team2-Chef Günter Stach mit Polizei, Bauamt, Schlüsseldienst und Anwältin unangemeldet vor dem Haus auf um kurzen Prozess zu machen: Er wollte die Wohnungsschlösser austauschen und damit die Bewohner/innen aussperren (MieterEcho Nr. 288 berichtete). Doch das Unterfangen schlug fehl und Stach verlies fluchtartig den Schauplatz, als Moritz Heusinger, Rechtsanwalt der Mieter/innen, eintraf. Es folgten langwierige Verhandlungen am "Runden Tisch", mit den Verantwortlichen vom Bezirk, der Sanierungsstelle, der Senatsverwaltung und den rund 25 Bewohner/innen. Schließlich brach der Kontakt zu team2 ab.

Wasser- und Stromrechnungen nicht bezahlt

Zwei Jahre lang gab es fast nichts als Ärger. Nacheinander waren Wasser und Strom abgestellt worden und auch der Schornsteinfeger klagte, er bekomme kein Geld. Zwar hatte team2 die Mietzahlungen angenommen, aber die Betriebskostenrechnungen für das Haus nicht beglichen. Bei team2 in Tübingen war unterdessen niemand mehr erreichbar. Die Mieter/innen entschieden sich, ein Anderkonto für die Mietzahlungen (Notkonto unter Aufsicht eines Rechtsanwalts) einzurichten und die Betriebskosten direkt zu bezahlen.

Im Herbst 2004 meldete sich plötzlich ein Rechtsanwalt bei den Mieter/innen und gab sich als ein vom Amtsgericht Mitte beauftragter Zwangsverwalter aus. Nun kam wieder etwas Licht ins Dunkel der Geschehnisse. Team2 hatte das Gebäude von den vorherigen Eigentümern, einer Erbengemeinschaft, offenbar als "leer stehend" gekauft. Als klar wurde, dass laufende Mietverhältnisse existieren, fochten sie den Kaufvertrag an und leiteten eine Rückabwicklung ein. Doch einen Kredit über mehr als 400.000 Euro zum Kauf des Hauses hatte team2 bereits von der Bank Eurohypo AG ausgezahlt bekommen. Daneben hatte die Firma noch zahlreiche andere Gläubiger wie Handwerker und Altmieter anderer Immobilien - team2 war pleite.

Schließlich entschied das Amtsgericht Mitte im Sinne der Bank und verfügte eine Zwangsversteigerung, da die Eurohypo AG eine Grundschuld hatte eintragen lassen. Ende Oktober 2005 erschien die Brunnenstraße 183 dann im Versteigerungskatalog des Amtsgerichts: Am 23.01.2006 soll das Haus nun erneut seinen Besitzer wechseln.

Angeblich "leer stehend", aber tatsächlich existieren Mietverträge

Doch schon jetzt deutet sich für die Mieter/innen eine mögliche Wiederholung der Probleme an. Im Verkehrswertgutachten des Amtsgerichts werde gemutmaßt, das Haus stehe teilweise leer und werde von Hausbesetzern genutzt, erklärt Anwalt Moritz Heusinger. Das sei nicht wahr. Vielmehr gebe es keinen Leerstand im Haus und seine Mandanten seien keine "Hausbesetzer" sondern "Mieter". Nun befürchtet Heusinger, dass durch die Behauptung in dem Gutachten potenziellen Käufern ein falsches Bild von der Situation im Haus vermittelt werde. Ähnlich wie im Fall team2 könnten diese dann auch versuchen, polizeiliche Lösungen für ihre Fehlinvestitionen zu finden. Damit drohe den sozial schwachen Mieter/innen (aber auch dem Umsonstladen, der sich im Erdgeschoss befindet) die Vertreibung. Vor allem liegt dem Anwalt dabei viel am Schutz der zwei Rentner, die im Haus wohnen. Einer von ihnen sei bereits über 80 Jahre alt und lebe seit den 1930er Jahren in dem Gebäude.

Umsonstladen wird rege genutzt

Auch Anne Schubert vom Betreiberkollektiv des Umsonstladens, dessen türkisfarbene Fassade schon von weitem auffällt, will nicht gehen: "Wir wollen nicht an den Stadtrand gedrängt werden". Über die inzwischen vier Jahre, die der Laden besteht, hätten sie alles selbst instand gesetzt und erhalten. Mehrere hundert Menschen würden das Projekt wöchentlich während der 15 Öffnungsstunden nutzen. Sie bringen Dinge, die noch heil und brauchbar sind. Diese können andere Besucher dann für ihren eigenen Bedarf mitnehmen - ohne Geld. Eine Idee, die bundesweit viele Nachahmerprojekte gefunden habe und auf eine durchweg positive Resonanz gestoßen sei, erklärt Anne. Sogar einen Umweltpreis habe man gewonnen.

Nun befürchten die Umsonst-Aktivisten, der Kapitalismus könne ihrem Projekt durch die Hintertür doch noch den Garaus machen: durch den erneuten Verkauf des Hauses an einen Finanzinvestor.

Und in der Tat hat sich rund um den kleinen Park zwischen Weinbergsweg, Invaliden- und Brunnenstraße in den letzten Jahren viel verändert. Galerien, Bars, Kneipen und Feinkostläden sprießen an jeder Straßenecke wie Pilze aus dem Boden und mit ihnen kommen auch die "modernen Appartements und Eigentumswohnungen" für die obere Mittelschicht. Finanzschwache und alte Mieter/innen werden mit oftmals rabiaten Methoden aus den Häusern getrieben.

Die Hausgemeinschaft aus der Brunnenstraße 183 sieht der Zukunft jedoch gelassen entgegen. "Wir sind ja nicht allein, sondern haben viele Unterstützer/innen bei anderen Hausprojekten und den Nutzer/innen des Umsonstladens", sagt Anne. Der Kampf um die Yorckstraße 59, deren Bewohner/innen nach der Räumung des Hausprojekts das Kreuzberger Bethanien besetzten, habe gezeigt, dass sich Projekte, wenn sie zusammenhalten, nicht so leicht vertreiben ließen.

Doch den Konflikt mit einem neuen Besitzer will eigentlich niemand wirklich gern austragen. Deshalb sei man auch seit langem mit alternativen Betreibern von Hausprojekten wie dem "Freiburger Mietshäusersyndikat" in Kontakt. Anne ist skeptisch, dass es bis zum 23.01.2006 gelingt, genügend Geld aufzutreiben. Das Haus würden sie jedoch keinesfalls freiwillig verlassen, das müsse auch potenziellen Interessenten klar sein: "Unsere Perspektive ist eine selbstorganisierte - gerade hier in der Stadtmitte."

Umsonstladen

In einem Umsonstladen gibt es kostenlos gebrauchte Dinge aller Art. Jede/r kann Sachen hinbringen und mitnehmen, ohne dass die Notwendigkeit eines Tauschs oder gar des Bezahlens besteht. Bundesweit gibt es mittlerweile über 20 Umsonstläden. http://www.umsonstladen.info

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