MieterEcho 314/Februar 2006: Heile Welt

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MieterEcho 314/Februar 2006

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Heile Welt

Wie "Die Welt", Herr Sarrazin und manch andere die Wohnungsprivatisierung sehen

Julia Oppermann

Immobilien in Deutschland sind seit gar nicht allzu langer Zeit ein begehrtes Objekt für eine Investorenspezies, die Herr Müntefering als "Heuschrecken" bezeichnet hat und die in manchen, der Wirtschaft nahestehenden Organen wie z.B. der Financial Times "vulture funds", auf deutsch "Geierfonds" genannt werden.

Einer solchen Schreibart bedienen sich nicht alle Publikationen. Die Welt und einige andere Zeitungen bemühen sich um eine positive, von Sympathie getragene und um Harmonie bemühte Darstellung, wie sich am Beispiel der Übernahme der GSW durch das Konsortium der Private-Equity-Unternehmen Cerberus/ Whitehall und dessen weiterem Wirken zeigen lässt.

Die "langfristige" Investition

Zweifellos weiß man in der Welt, dass diesen Investoren ein schlechter Ruf vorauseilt und beweist deshalb auch Verständnis für die Befürchtungen der Mieter/innen. Doch - so suggerierte bereits ein Bericht bevor der Verkauf der GSW vom Abgeordnetenhaus abgesegnet worden war - müsse es sich dabei um Vorurteile handeln, die abzubauen seien:

"Unterdessen macht sich bei vielen GSW-Mietern Verunsicherung breit. Besonders ältere und einkommensschwache Mieter wissen nicht, was aus ihren Mietverträgen wird, ob die Mieten kurzfristig steigen und ob sie Eigenbedarfsklagen der künftigen GSW-Eigner zu befürchten haben. Auf Initiative des Spandauer CDU-Abgeordneten Kai Wegner fand deshalb gestern ein erstes GSW-Informationstreffen statt, auf dem die vielen Gerüchte aus der Welt geschaffen werden sollten." (07.06.2004)

Diese Fonds bilden - wie allgemein bekannt - kein produktives Kapital, mit dem durch den Bau von Wohnungen Arbeitsplätze geschaffen werden. Ganz im Gegenteil: Solche Investitionen dienen nur der Verwertung von vorhandenen Wohnungsbauunternehmen und dazu gehört der Abbau von Arbeitsplätzen. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb bemüht sich die "Welt" um den Eindruck, es seien ganz "normale" produktive Investoren. Zu diesem Zweck wird ständig die Langfristigkeit der Investition betont, wodurch die Assoziation "langfristige Investition - Schaffung von Arbeitsplätzen" wirksam bleiben soll.

"Cerberus werde die GSW frühestens in zehn bis fünfzehn Jahren weiterverkaufen." (07.06. 2004)

"Der amerikanische Investor verfolgt mit der GSW eine 'langfristige Strategie'." (07.06. 2004)

"'Die Übernahme der Berliner Wohnungsgesellschaft GSW ist ein langfristiges Engagement', sagte Winter, der Geschäftsführer der deutschen Cerberus Niederlassung." (10.06. 2005)

Zur Klarstellung: Die immer wieder beschworene Langfristigkeit der Finanzanlage gewährleistet nur die Nachhaltigkeit der Verwertung. Für die GSW-Angestellten, die Mieter/innen und für das Land Berlin ist die Zeitdauer gleichgültig. Die negativen Folgen des Verkaufs resultieren allein aus der Geschäftsstrategie der Verwertung. Es braucht eine gewisse Zeit, um Teilbestände weiterzuverkaufen, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln und dafür Käufer zu finden, den Personalbestand profitwirksam abzuschmelzen und auch einen lukrativen Ausgang aus dem ganzen Geschäft zulasten von 99% der direkt oder indirekt betroffenen Bewohner dieser Stadt zu finden. Eine solche Strategie lässt sich nur in einem "langfristigen Engagement" von zehn Jahren verwirklichen. Wäre es kürzer, ginge es schief.

Die "hochverschuldete" GSW

Im Gegensatz zu Cerberus wird die GSW weniger freundlich beschrieben. Dass sie hochverschuldet war, kolportiert nicht nur die Welt. Das durchzieht die Berichterstattung aller Medien, die sich dabei immer auf den Finanzsenator Sarrazin berufen können.

Anlässlich der Übernahme des Vorstandsvorsitzes durch Herrn Zinnöcker schreibt die Welt: "Nach den Plänen der Investoren soll sich die seit Jahren hochverschuldete GSW unter Zinnöckers Regie möglichst rasch in ein profitables Privatunternehmen verwandeln." (06.01.2005)

Dazu muss man sagen: Die GSW arbeitet in der Tat nicht nur mit Eigen- sondern auch mit Fremdkapital. Fremdkapital aber hat mit Verschuldung wenig und mit Überschuldung schon gar nichts zu tun. In der Immobilienwirtschaft ist die Verwendung von Fremdkapital (Kredite) eher der Regel- als der Ausnahmefall, aber dies wird in diesem Zusammenhang nur undifferenziert dargestellt.

Verschuldung ist nicht alles, was der GSW nachgesagt wird, die GSW wird auch als ein Auslaufmodell und als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet: "'Die GSW hat als reiner Bestandshalter von günstigem Mietwohnraum ausgedient', sagte der 43-jährige Westfale Zinnöcker" (06.01.2005). Die Schlussfolgerung wird nahegelegt: 'Wie gut für diese Stadt, diesen Schrott endlich loszuwerden'. Doch die tiefere Aussage, dass die GSW zukünftig keine preiswerten Wohnungen mehr anzubieten gedenkt, bleibt unüberhörbar.

Der 'Super-Deal'

Wenn sich ein als so seriös und kulant beschriebener Interessent zum Kauf eines als so abgewertet dargestellten Objekts entschließt, kann nur lobenswert Gutes zustande kommen. Cerberus hat die Stadt von einer gewaltigen Schuldenlast befreit. So sieht es die Welt, so sieht es Herr Sarrazin und so möchten beide, sollen es auch die Berliner sehen. Mitunter gewinnt man den Eindruck, die Stadt hätte noch etwas dazuzahlen müssen. Gleichzeitig ertönt der Jubel über den günstigen Kauferlös. Immer wieder wird herausgestrichen, wie ungewöhnlich gut der Handel für Berlin war. "Nach dem Verkauf der GSW in diesem Jahr für den unerwartet hohen Kaufpreis von 405 Millionen Euro an den US-Investor Cerberus, der auch die 1,8 Milliarden Schulden der GSW übernahm, wollen SPD und PDS keine Wohnungsbaugesellschaft mehr verkaufen. Sarrazin sieht das anders" (11.11. 2004).

Was man wirklich sehen kann, mögen die Leser/innen anhand einer Tabelle selbst entscheiden. In dem genannten Kaufpreis von 2105 Millionen Euro ist die "Schuldenlast" der GSW enthalten. Der Erlös war von allen vergleichbaren Verkäufen - deutlich erkennbar - der bei weitem niedrigste.

Nicht vergleichbar mit dem Verkauf der GSW ist der Verkauf der 27.000 Viterra-Wohnungen 2004 an KGAL/Mira, da diese als nicht mehr modernisierungsfähig galten. Insofern gilt für den Verkauf der GSW: Billiger geht's nimmer. Deswegen hat sich Herr Sarrazin, die für Politiker seines Ranges übliche Anwartschaft auf einen gut bezahlten Job bei seinem Geschäftspartner nach Auslaufen seiner Amtszeit mehr als verdient.

Durch diesen Handel ist, der "Welt" zufolge "die Zinslast für Schulden des Landes um 16 Millionen Euro pro Jahr gesunken."

Auch hier sind die Tatsachen verdreht. Wenn die GSW mit Fremdkapital arbeitet, was ihr immer als Verschuldung vorgeworfen wird, dann sind dafür Zinsen zu bezahlen. Das ist in keinem Geschäftszweig anders. Diese Zinsen zahlt aber nicht das Land, sondern die GSW, die dafür auch mit diesem Kapital arbeitet. Diesem vollkommen normalen Schicksal kann kein Unternehmen ausweichen, nur bei der GSW wird daraus eine Belastung des Landes.

"Der beißt nicht, der will nur spielen."

In einem ganz besonders launigen Beitrag wird den Mietern die Grundlosigkeit ihrer Verunsicherung erklärt:

"Auch die Stadt Berlin hat so gerade erst 405 Millionen Euro eingenommen, als sie die Wohnungsgesellschaft GSW an eine US-Firma mit dem reizenden Namen Cerberus verkaufte. Alle ob des höllenhundigen Titels irritierte Mieter konnte sie beruhigen: Der beißt nicht, der will nur spielen. Und damit er sich es nicht anders überlegt, haben wir ihm für die nächsten zehn Jahre einen Maulkorb umgebunden. Denn der potenziell kürzeste Weg, um aus Mietskasernen eine Extra-Rendite herauszuschlagen (Mieter rauswerfen, Umwandlung in Eigentumswohnungen, Luxussanierung, J.O.) ist sowohl Fortress als auch Cerberus auf diese Zeit vertraglich verbaut."

Dieser Beitrag, der unter der Überschrift: "Wenn amerikanische Investoren die deutsche Rente retten" am 17.07.2004 erschien, ist zwar besonders dummdreist und entspricht nicht dem gewohnten anspruchsvollen journalistischen Niveau der Welt, macht aber die üblichen Argumentationsmuster deutlich: Der - wie gehabt - harmlose Investor engagiert sich langfristig. Die Mieter/innen, die offenbar in der Vorstellung des Autors eine Art von Freiwild sind, genießen dank der Sorgfalt der politisch Verantwortlichen und der Freundlichkeit der Investoren den Schutz der vertraglichen Vereinbarungen.

So oder ähnlich wird nicht nur in der Welt, sondern auch in anderen Medien zugesichert:

Im Übrigen sichert man die Gültigkeit der bestehenden Mietverträge zu.

Das Mietrecht

Diesem Blödsinn begegnet man auf Schritt und Tritt. Der ganze Krempel an Zusicherungen geht nicht einen Millimeter über das Gesetz - also das Mietrecht, welches die Rechte aller Mieter/innen regelt - hinaus:

Hinter dem gänzlichen Ignorieren von Mieterrechten steckt Absicht und die verstimmt gewaltig. Die rechtlichen Selbstverständlichkeiten werden zur Ausnahme, die nur der private "Geierfonds" und die neoliberalen politischen Verkäufer garantieren. Die Privatisierung ist sozialverträglich, so die Botschaft. So werden nicht nur die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert, in einem Abwasch erscheint auch gleich das Mietrecht als Angelegenheit privater Investoren.

Die "sozialen" Fonds

In letzter Zeit wird die Berichterstattung um eine neue Dimension erweitert:

"Schüler der Charlottenburger Ernst-Adolf-Eschke-Schule für Gehörlose haben sich gestern über zwei besonders schöne Nikolaus-Geschenke gefreut. Die Wohnungsbaugesellschaft GSW hat der Schule einen 3000-Euro-Scheck übergeben. Mit dem Geld ist das heiltherapeutische Reiten für das nächste Jahr gesichert. Außerdem durften 20 Mädchen und Jungen mit Zoo-Lehrerin Sabine Bah im Zoologischen Garten eine Polarexkursion zu den Pinguinen unternehmen." (07.12.2005)

"Dr. Gerald R. Uhlich, kaufmännischer Vorstand des Zoologischen Gartens, lobte das Engagement der GSW: ,Sie ermöglicht es uns seit Mai, dass wir in der wiedereröffneten Zooschule die Bildung weiterbetreiben können.' (...) Sie musste 2002 geschlossen werden, weil das Land die Stellen der Zoopädagogen gestrichen hatte." (07.12.2005)

Die Cerberus-GSW wird zur Hüterin des Sozialen

Der soziale Wohnungsbau wurde im 19. Jahrhundert zwingend notwendig, weil der Markt die Wohnungsversorgung nicht gewährleisten konnte. Jede soziale Leistung - und nicht nur die Bereitstellung von Wohnraum - schränkt den Markt ein, ist ein Stück politischer Autonomie und befreit von den Zwängen des Wettbewerbs.

Die Privatisierung der ehemals sozialen, noch immer kommunalen Wohnungsunternehmen, die Überführung ihrer Bestände auf den Markt und die vollständige Verwandlung der Wohnungen in eine uneingeschränkte Ware durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bildet dazu das direkte Gegenteil.

Werbewirksame kleine Zuwendungen aus der Portokasse sind nicht sozial. Sie machen nur deutlich, wie weit die Privatisierung des öffentlichen Lebens bereits fortgeschritten ist. Es ist höchste Zeit zur Umkehr.

Alle Zitate aus "Die Welt".

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