MieterEcho 313/Dezember 2005: Alles muss raus

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Alles muss raus

Die Berliner Bezirke melden alle nicht selbst genutzten Grundstücke und Immobilien an den Liegenschaftsfonds - ab Sommer 2006 darf dieser sie dann vermarkten

Christoph Villinger

Der Ausverkauf von Berlins öffentlichen Eigentum geht munter weiter. Nun sind die zwölf Bezirke an der Reihe. In diesen Wochen stellen die bezirklichen Grundstücksämter abschließende Listen zusammen, die alle Grundstücke und Immobilien benennen, die der Bezirk zwar besitzt, aber nicht direkt für Kindertagesstätten oder Schulen benutzt. In der Sprache der Finanzverwaltungen heißt dies, dass diese "nicht einem Fachvermögen zugeordnet sind". Insgesamt 3000 weitere Gebäude und Grundstücke zusätzlich zu seinem bisherigen Bestand von 5000 Objekten erwartet deshalb der Liegenschaftsfonds Berlin GmbH & Co. KG. Nach der endgültigen Übertragung im nächsten Sommer kann er sie dann verkaufen.

Der Hintergrund ist ein einstimmig von allen Parteien einschließlich CDU und Bündnis 90/Die Grünen verabschiedeter Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses vom November 2004. In zwei so genannten Tranchen soll "das gesamte Finanzvermögen und nicht mehr benötigtes Fachvermögen" der Bezirke und des Landes an den Liegenschaftsfonds gehen. "Die erste Tranche ist so gut wie über die Bühne", sagt Irina Dähne, Pressesprecherin des Liegenschaftsfonds. Dazu gehörten zum Beispiel in Friedrichshain-Kreuzberg die inzwischen an einen Restaurantbetreiber verkaufte "Villa Kreuzberg" oder die zeitweise als "Soziales Zentrum" besetzte ehemalige Kita in der Glogauer Straße 16.

In der jetzt über den Tisch gehenden zweiten Tranche befinden sich die Gebäude, "die nach Marktlage und Qualität auf die Schnelle nicht zu verkaufen sind", so Dähne. Darunter fallen dann zum Beispiel in Kreuzberg das Bethanien einschließlich fast aller Nebengebäude wie das "Georg-von-Rauch-Haus" oder auch das Nachbarschaftsheim in der Urbanstraße.

Auftrag: möglichst schneller Verkauf

"Nur die Bewirtschaftung des Nachbarschaftsheims geht an den Liegenschaftsfonds", versucht der zuständige Kreuzberger Wirtschaftsstadtrat Lorenz Postler (SPD) zu beruhigen. So steht es auch in der vom Bezirksamt den Bezirksabgeordneten zur Kenntnisnahme vorgelegten Liste und vom Liegenschaftsfonds will man sich "die dauerhafte Sicherstellung der jetzigen Nutzung" sogar "schriftlich bestätigen" lassen. Doch diesem frommen Wunsch widerspricht eindeutig Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds: "Wir haben laut Satzung den Auftrag, so schnell wie möglich und zu einem möglichst hohen Ertrag für das Land Berlin zu verkaufen". Nur wenn dies nicht gelinge, werde der Liegenschaftsfonds die Gebäude eben verwalten.

Kurzfristige Zwischennutzung

"Kurzfristige Zwischennutzung" nennt dies der Liegenschaftsfonds in seiner Neukonzeption. Für die Übernahme der Betriebskosten zuzüglich eventuell einer geringen Miete können Gebäude an gemeinnützige Gruppen oder Personen zwischenvermietet werden. Gleichzeitig hat der Liegenschaftsfonds nun aber auch neue Instrumente zur Verfügung, um die Gebäude zu vermarkten, so zum Beispiel die "Kaufpreisbildung durch bedingungsfreies Bieterverfahren". Nicht der Verkehrswert bestimmt den Preis, sondern der Höchstbietende. Und wenn dies immer noch nicht hilft, dann "qualifiziert" der Liegenschaftsfonds das Grundstück gemeinsam mit dem weiterhin für das Planungsrecht zuständigen Bezirken. Aber ein Recht, dass ein Bezirk ein Gebäude jederzeit bei Bedarf "zurückrufen" könne, sieht Dähne nicht. Entscheidungen fälle dann der Steuerungsausschuss des Liegenschaftsfonds, bei dem neben den betroffenen Bezirken auch die Senatsverwaltungen für Wirtschaft, Finanzen und Stadtentwicklung am Tisch sitzen.

Nicht ganz so dramatisch sieht Oliver Schruoffeneger die Entwicklung. Für den Berliner Haushaltsexperten von Bündnis 90/Die Grünen "macht es einfach keinen Sinn, wenn jeder Bezirk seine Immobilien selbst zu vermarkten versucht". Aber durch den Druck auf ihre Haushalte versuchen nun die Bezirke, die ihnen lästigen Immobilien an den Liegenschaftsfonds abzugeben, wie zum Beispiel Schruoffenegers Heimatbezirk Reinickendorf das Hannah-Höch-Haus. Viel hänge daran, in welcher "Art und Weise" der Liegenschaftsfonds und die Bezirke in Zukunft miteinander umgehen. An dieser Stelle stimmt auch Irina Dähne vom Liegenschaftsfonds zu und will "bei Problemimmobilien neue Vermarktungskonzepte probieren".

Doch ob in Zukunft dabei lokale Initiativen eine Chance gegenüber so genannten Investoren bekommen, ist schwer zu glauben. Zumindest in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg ging ein Schulgelände trotz eines vorgelegten Konzepts von Anwohner/innen an eine kommerzielle Sprachenschule (MieterEcho Nr. 309 berichtete), ebenso wie in Weißensee ein ehemaliges Klinikgelände nicht an lokale Akteure verkauft wurde. So realisieren die meisten Betroffenen erst langsam, was für den Stadtteil eine Übertragung an den Liegenschaftsfonds - wie zum Beispiel bei dem von etlichen Kitas und sonstigen sozialen Einrichtungen belegten Bethanien - bedeuten würde. Die stillen Verwaltungsakte der Bürokratie sind nicht ihre Welt, und wenn sie aufwachen, ist es meist schon zu spät. Zumindest in Friedrichshain-Kreuzberg ist aber der glatte Durchmarsch der Verwaltung bei der Übertragung von Bezirksbesitz an das Land vorerst gestoppt und wird nun in den Ausschüssen der Bezirksverordnetenversammlung beraten.

Alternative: Fachvermögen für "große Kultureinrichtungen"

Dabei entwickelte der Bezirk Marzahn-Hellersdorf sogar eine Alternative. Dort wurde das mit dem Bethanien vergleichbare und etwa 12.000 Quadratmeter große Freizeitforum Marzahn in ein gesondertes Fachvermögen für "große Kultureinrichtungen" übertragen. Das Gebäude mit einer Mischnutzung von der Stadtbibliothek bis zur Bowlingbahn wird nun von der gemeinnützigen GSE (Gesellschaft für Stadtentwicklung) bewirtschaftet - "auf eigene Rechnung und für den Bezirk kostenneutral", sagt Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS). Mit dieser Lösung ist er "sehr zufrieden". Deshalb wird das Freizeitforum Marzahn auch nicht an den Liegenschaftsfonds gemeldet. "Und", so Uwe Klett weiter, "diese Option hat jeder Bezirk".

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