MieterEcho 312/Oktober 2005: Zu verkaufen für einen Euro - aber nicht an jeden!

MieterEcho

MieterEcho 312/Oktober 2005

 BERLIN

Zu verkaufen für einen Euro - aber nicht an jeden!

Die Initiative Zukunft Bethanien startet ein Bürgerbegehren gegen die Privatisierung

Christoph Villinger

Weil im Bethanien staatliche Projekte jahrelang weder Miete noch Betriebskosten zahlten, fehlt dem Bezirk das Geld für die Instandsetzung. Jetzt dient dieses Missmanagement als Legitimation für die Privatisierung. Um dies zu verhindern, startet die Initiative Zukunft Bethanien ein Bürgerbegehren. Verkauft der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ohne Not das Hauptgebäude des Bethanien an einen so genannten Investor? Dies vermutet die Initiative Zukunft Bethanien, nachdem sie die bezirklichen Unterlagen zu dem ehemaligen Krankenhauskomplex am Kreuzberger Mariannenplatz ausgewertet hat. Offizielle Begründung für den Verkauf ist der hohe Instandsetzungsbedarf und ein angebliches jährliches Minus von rund 600.000 Euro beim Betrieb des Gebäudes. Im leerstehenden Seitenflügel des Hauses eröffneten Mitte Juni die ehemaligen Bewohner/innen der Yorckstraße 59 ihr "New Yorck".

Um den vom Bezirksamt gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen im Dezember 2002 beschlossenen Verkauf doch noch zu verhindern, setzt die Initiative nun auf einen seit August diesen Jahres möglichen Bürgerentscheid. Inzwischen ist das Bürgerbegehren offiziell angemeldet sowie die vorgeschriebene Rechtsberatung absolviert. Und schon zeigen sich die ersten Erfolge: Der für den Betrieb und den Verkauf des Bethanien zuständige Wirtschaftsstadtrat Lorenz Postler (SPD) bestätigte gegenüber dem MieterEcho, dass für die Dauer des Bürgerbegehrens alle Verhandlungen mit der Kulturmanagementfirma M & R Arend GmbH als so genannter Investor "pausieren". Doch manche Mitstreiter/innen der Initiative befürchten, dass der Bezirk das Gebäude einfach zum Jahresende in den Liegenschaftsfonds des Landes abschiebt und sich damit aus der Verantwortung stiehlt.

In diese Richtung deutet auch der veränderte Ton gegenüber den Besetzer/innen des "New Yorck", den das Bezirksamt ab Anfang Juli einschlug. War kurz nach der Besetzung im Juni noch von einem unbefristeten Duldungsvertrag die Rede, der nur durch den möglichen Verkauf an einen Investor begrenzt sein sollte, forderte das Bezirksamt immer engere zeitliche Begrenzungen: Erst zum 31.05.2006, schließlich war gar vom 31.03.2006 die Rede. Damit der angeblich unbewohnbare Seitenflügel für wenige Wochen während der Fußball-Weltmeisterschaft an Street-Fußballer vermietet werden kann und danach wieder leer steht. Mitte August erklärte Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) die Verhandlungen gar für gescheitert. Ob überhaupt noch ein Vertrag zu Stande kommt, ist inzwischen fraglich.

6000 Unterschriften sind nötig

Doch umgekehrt setzt das Bürgerbegehren allein durch seine Existenz den Privatisierungsplänen des Bezirksamts Grenzen. Sobald die Unterschriften zusammen sind, darf das Bezirksamt "keine dem Bürgerbegehren entgegenstehenden Entscheidungen treffen oder umsetzen". Aber noch sucht die Initiative nach der richtigen mit "Ja" oder "Nein" zu beantwortenden Frage zur Privatisierung des Bethaniens. Ist diese gefunden, hat der Bezirk einen Monat Zeit, die rechtliche Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu prüfen. "Vielleicht können wir schon bald nach der Bundestagswahl mit der Unterschriftensammlung beginnen", hofft Wolfgang Lenk von der Inititative. Innerhalb von sechs Monaten müssen dann etwa 6000 Unterschriften gesammelt werden. "Allerdings dürfen offiziell nur EU-Bürger/innen unterschreiben", bedauert Stephanie Tkorz, "damit ist quasi die Hälfte der Anwohner/innen von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen". Aber unterschreiben sollen erst mal alle Bewohner/innen - welche Unterschrift anerkannt wird, sei dann Problem des Bezirks. Sind genügend gültige Unterschriften zusammen, kann sich das Bezirksamt einfach dem Anliegen anschließen - gewonnen! Oder innerhalb der nächsten vier Monate kommt es an einem Sonntag zu einer Volksabstimmung, die Mindestbeteiligung muss 15 % der Wahlberechtigten betragen.

Keine Beute für Investoren

In den kommenden Monaten will die Initiative "ein ausgearbeitetes Konzept für ein Bethanien der Künste, der Soziokultur und des sozialen Lebens" vorlegen, kündigt Wolfgang Lenk an. Darin wollen sie das Bethanien "nicht neu erfinden", sondern das Hauptgebäude soll sich wieder mit "öffentlichem Gebrauch" füllen, anstatt zur Beute von Investoren zu werden. Mit Platz für die Ateliers der internationalen Künstler/innen im Rahmen des Kunsthauses Bethanien bis hin zu den Besetzer/innen des "New Yorck" mit ihren Projekten wie der Antirassistischen Initiative oder der Druz?Bar.

Doch im Augenblick arbeitet seine Mitstreiterin Claudia Kessel die wirtschaftliche Vergangenheit des Bethaniens auf und sitzt kopfschüttelnd vor den Unterlagen des Bezirksamts. Jahrelang wurde von senats- und bezirkseigenen Projekten keine Miete bezahlt, was so ja durchaus politisch gewollt sein kann. Aber ohne ausgleichende Senatszuschüsse unterblieb ein großer Teil der Instandhaltung. Jetzt fehlt das Geld, und der Bezirk "muss" verkaufen. Aber bei einem privaten Investor ist dann auf einmal Geld für die Miete der Projekte da. Auf den Berliner Gesamthaushalt betrachtet, bedeutet dies nur eine Umschichtung von Haushaltsposten, letztlich wird es sogar teurer. Nur versandet das Geld nicht mehr im fehlenden Gebäudemanagement des Bezirks, sondern fließt nun in die Taschen eines privaten Investors. Und der Bezirk verliert so nebenbei den Zugriff auf eines der letzten großen öffentlichen Gebäude in Kreuzberg.

Betriebskostenabrechnung wirft Fragen auf

Auch andere Zahlen sehen nicht gerade professionell aus. "Warum werden sämtliche Strom- und Personalkosten zu den Betriebskosten gezählt?", wundert sich Kessel. Nicht nur die Treppenhausbeleuchtung, sondern der gesamte Stromverbrauch im Haus. Die Löhne für Hausmeister, Wachschutz und Pförtner machen etwa die Hälfte der Betriebskosten aus, aber gehören nicht der überwiegende Teil ihrer Tätigkeiten zu den umlagefähigen Betriebskosten? Seit Jahren jammern die Bezirkspolitiker/innen über die "viel zu hohen Heizkosten" im Bethanien. Wegen der sechs Meter hohen Decken erscheint dies erst mal einleuchtend. Doch laut der Abrechnung betragen die Heizkosten 0,62 Euro/qm, was zwar teuer ist, sich aber laut neustem Berliner Mietspiegel noch im Mittelbereich bewegt. Dort liegt die Obergrenze bei 0,81 Euro/qm ohne Warmwasser und sonstige warme Betriebskosten wie z.B. Wartung der Heizung. "Wird hier nicht bewusst mit falschen Tatsachen gearbeitet, um das Gebäude für eine Privatisierung sturmreif zu schießen?", fragt sich nicht nur Claudia Kessel.

Mit den Zahlen konfrontiert zeigte sich Wirtschaftsstadtrat Postler erstaunt. Da er sich "noch nicht so genau mit der Materie beschäftigt habe", verwies er auf eine Mitarbeiterin. Diese bestätigt, dass die Gesamtkosten für Strom und Heizung einfach nach Quadratmetern umgelegt werden, "sonst müssten wir alles neu verkabeln".

Inzwischen rudert Postler an anderer Stelle zurück. Wohl um nicht kapitalkräftige Bewerber abzuschrecken, ist in den Ausschreibungsunterlagen von einem Modernisierungsbedarf von bis zu 30 Mio. Euro die Rede. Jetzt reichen auch drei Mio. Euro. Doch die Konsequenzen möchte er noch nicht ziehen. Gesetzt, das Bezirksamt überträgt das Gebäude für einen Euro an eine bezirkseigene Stiftung oder GmbH, würde diese Summe gerade eine Monatsmiete von einem Euro pro Quadratmeter bedeuten. Dies plus die Betriebskosten wäre aber für viele nichtkommerzielle Projekte und Initiativen bezahlbar.

Mit so einem Angebot kurbelt man eine "öffentliche Wunschproduktion" an, sagt Wolfgang Lenk. Und Simone Kypke, ebenfalls von der Initiative, betont: "Wir wollen, dass sich die umliegende Bevölkerung mit einbringen kann, und keine aufgesetzten 'internationalen' Konzepte, die allerorten nicht funktionieren." Um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen, trifft sich die Initiative Zukunft Bethanien meist mittwochs um 19 Uhr im Casino des Bethanien.

Bürgerbegehren/Bürgerbescheid

Als letztes Bundesland hat Berlin Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Bezirken eingeführt. Mitte Juli war vom Abgeordnetenhaus die entsprechende Gesetzesänderung beschlossen worden.

Dem Bürgerentscheid hat ein Bürgerbegehren mit einer mit "Ja" oder "Nein" zu beantwortenden Frage vorauszugehen. Die Initiatoren haben ein Recht auf Beratung durch das Bezirksamt, welches eine rechtliche Vorprüfung durchführt und die Kosten schätzt. Nach Anzeige des Bürgerbegehrens prüft das Bezirksamt innerhalb eines Monats die rechtliche Zulässigkeit.

Die Initiatoren haben sechs Monate Zeit, um unterstützende Unterschriften von mindestens 3% der Wahlberechtigten zu sammeln. Anschließend prüft das Bezirksamt innerhalb eines Monats, ob genügend gültige Unterschriften vorliegen. Wenn ja, dürfen BVV und Bezirksamt bis zur Durchführung des Bürgerentscheids keine dem Bürgerbegehren zuwiderlaufenden Beschlüsse mehr fassen.

Der Bürgerentscheid muss spätestens vier Monate nach Zustandekommen des Bürgerbegehrens stattfinden. Auf dem Stimmzettel müssen sie sich dann zwischen dem Anliegen des Bürgerbegehrens und ggf. der Alternativvorlage der BVV entscheiden. Am Bürgerentscheid müssen sich mindestens 15% der Wahlberechtigten beteiligen.

Weitere Infos:

Mehr Demokratie e.V.
Landesverband Berlin
Tel.: 030-42082370
http://www.mehr-demokratie.de

Informationsstelle Bürgerbegehren
http://www.buergerbegehren.de

Initiative Zukunft Bethanien:

http://www.bethanien.info
Kiezpalaver: Meist mittwochs um 19 Uhr im Casino Bethanien (vorher Termin erfragen bzw. der Website entnehmen)

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