MieterEcho 312/Oktober 2005: Ein wohnungspolitisches Entwicklungsland

MieterEcho

MieterEcho 312/Oktober 2005

 TITEL

Ein wohnungspolitisches Entwicklungsland

Keine Nachhaltigkeit beim Sozialen Wohnungsbau der Bundesrepublik Deutschland

Julia Oppermann

Als 1990 die Mieter/innen der DDR-Plattenbausiedlungen mit westlichem Mietrecht konfrontiert wurden, stand für viele von ihnen fest, dass ihre Wohnungen zum Sozialen Wohnungsbau gehören. Es fiel nicht immer leicht, diesen Irrtum zu korrigieren. Denn eigentlich hatten sie Recht. Fast alle in der DDR gebauten Wohnungen stellten - wenn man so will - einen "sozialeren Wohnungsbau" dar als der mit öffentlichen Mitteln geförderte, aber dennoch in privatem Eigentum befindliche der BRD. Auch war der Wohnungsbau der DDR kein schlechterer Sozialer Wohnungsbau als der lokalstaatliche Wohnungsbau in England (Council Housing), der städtische Wohnungsbau in Wien oder der Soziale Wohnungsbau in den Niederlanden, um nur einige Beispiele aus anderen europäischen Ländern zu nennen.

So unterschiedlich die gesetzlichen Regulierungen des Sozialen Wohnungsbaus in den verschiedenen europäischen Ländern auch waren und noch immer sind, allen gemeinsam ist die Absicht, die ungehinderte Wohnraumverwertung auf dem Markt zu Gunsten einer sozial gerechteren Verteilung einzuschränken. Diese Zielstellung war - daran kann kein Zweifel bestehen - auch Bestandteil der wohnungspolitischen Agenda der DDR. Wenn der staatliche Wohnungsbau der DDR aber dennoch nicht zum Sozialen Wohnungsbau in der heutigen BRD zählt, zeigt sich ein Widerspruch, zu dessen Erklärung ein kurzer Blick in die Vergangenheit erforderlich ist.

Wohnungsnot im 19. Jahrhundert - die Herausbildung der Wohnungsfrage

Die industrielle Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte die Städte aller europäischen Länder fundamental. Sie erzwang die Deregulierung der Ständeordnung, zog verarmte Arbeitskräfte vom Land in die Städte und schuf ein städtisches Proletariat, dessen Existenzbedingungen katastrophal waren.

Das Statistische Büro der Stadt Berlin stellt noch 1872 in seinem Bericht fest: "Mit dem massenhaften Anwachsen seiner Bevölkerung geht Berlin Zuständen entgegen, welche der Gesundheit des Leibes und der Seele gefährlich zu werden drohen. Mehr und mehr beginnt die Wohnungsnoth einen erheblichen Theil der Bürgerschaft auf eine niedrigere Lebensstufe herabzudrücken, ja dem größten Elend preiszugeben, und Gesundheit und Sittlichkeit zu bedrohen. - Die Häuser sind voll, übervoll, aber der Strom der Einwanderung läßt nicht nach, sondern fährt fort, das Bedürfnis schneller zu steigern, als es befriedigt werden kann."

Mietverträge wurden für ein halbes Jahr geschlossen, Mieterschutz existierte gar nicht und zum 1. April und 1. Oktober waren viele Berliner Arbeiter mit Umzugskarren unterwegs. Wer keine Unterkunft gefunden hatte, war auf Lösungen, wie sie der Bericht beschreibt, angewiesen: "Nachdem bekannt geworden, daß das Gebäude Nr. 43 und 44 in der Mohrenstraße erst am 1. Juli zum Abbruch gelangen sollte, wurden sämmtliche noch disponible Räumlichkeiten von obdachlosen Familien bezogen - In dem Hause befand sich ein gewölbter Keller, ca. 40 Fuß lang, 9 Fuß breit, und in der Mitte sechs Fuß hoch. In demselben wohnten vier Familien ohne Licht und Luft, Kopf an Kopf auf der feuchten Erde gebettet, in der Gesellschaft von zahllosen Ratten. In einer Stellmacher-Werkstatt hatten drei, in einer Tischler-Werkstatt eine, und in einem Billard-Zimmer ebenfalls eine Familie Platz genommen. Selbst ein Pferdestall des Hauses war bezogen."

Der Bericht gibt auch wieder, wem die politische Sorge gilt: "Die Wohnungsnoth drückt natürlich auf alle Kreise, am Empfindlichsten aber trifft sie wohl den niederen Beamtenstand. Dieser Stand verdient mehr als der Arbeiterstand Berücksichtigung, denn er ist unschuldig an der allgemeinen Theuerung der Wohnungen." Die Arbeiter, so der Bericht weiter, hätten durch Streiks ihr Elend selbst verschuldet. Dennoch fühlte sich die (gut-)bürgerliche Gesellschaft gerade von der Seuchengefahr, die von den furchtbaren Wohnverhältnissen der Arbeiter ausging, am stärksten bedroht und wegen dieser unter dem Begriff soziale Hygiene verorteten Gefahr gewann die "Wohnungsfrage" als Teil der im 19. Jh. weit diskutierten "Sozialen Frage" an großer Dringlichkeit.

Es gerieten - vereinfacht gesagt - zwei Lösungen in den Blick: für die unteren mittelständischen Kreise, d.h. die Beamten, Angestellten und die so genannte Arbeiteraristokratie die genossenschaftliche Selbsthilfe und für zahlungsfähige proletarische Schichten der philanthropisch motivierte gemeinnützige Wohnungsbau. Philanthropisch bedeutete nicht, dass Wohltaten verteilt werden sollten, es wurde lediglich auf die sonst in diesem Wirtschaftszweig üblichen Spekulationsgewinne zu Gunsten einer sichereren Rendite von 4% verzichtet.

Doch praktische Maßnahmen privater Akteure in Form gemeinnütziger Wohnungsbauunternehmen sowie Selbsthilfeprojekte von Genossenschaften stießen auf Schwierigkeiten. Ihre Wirksamkeit wurde durch die Rentabilität des eingesetzten Kapitals oder die Zahlungsfähigkeit der beteiligten Wohnungssuchenden beschränkt.

Erst zögerlich und gegen den Widerstand der überstarken Hausbesitzerfraktion in den Stadtparlamenten setzte stellenweise kommunale Förderung ein, insbesondere durch Zweithypotheken von den Rentenanstalten und zinsverbilligte Darlehen der Sozialversicherungsanstalten. An eine staatliche Wohnungspolitik aber wurde trotz der Notlagen nicht gedacht. Die Meinung der liberalen Öffentlichkeit spiegelt sich in der offiziellen Meinung der Hausbesitzerverbände wieder: "Die Wohnungsfürsorge ist keine staatliche Aufgabe. Unternehmen für den Bau von Wohnungen sind privater Natur und ihre Unterstützung ist nicht durch das Staatsinteresse geboten noch auch mit einer gesunden Volkswirtschaft in Einklang zu bringen."

Sozialer Wohnungsbau nach dem ersten Weltkrieg: Wohnungsbau als öffentliche Angelegenheit Ansatzweise hatten sich Strukturen des sozialen Wohnungsbaus bereits vor dem Ersten Weltkrieg herausgebildet, aber noch fehlte ihnen als Fundament eine Wohnungspolitik und eine staatliche Wohnungsbauförderung. Das System der Träger des Sozialen Wohnungsbaus entwickelte sich sehr schnell unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, wie an einigen Beispielen gezeigt werden soll. Nach 1918 wurden acht städtische Wohnungsbauunternehmen in Berlin gegründet, die bis 1936, als sie zur GSW zusammengeschlossen wurden, selbstständig arbeiteten.

Eine wichtige Rolle spielte die von den Angestelltengewerkschaften 1919 gegründete Gagfah, die sich mit besonderer Unterstützung der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in der Hauszinssteuerperiode zum größten Unternehmen ihrer Art entwickelte.

1924 initiierte Martin Wagner im Rahmen gildensozialistisch orientierter Konzepte die Gründung der DEWOG/GEHAG durch verschiedene Gewerkschaften. Im gleichen Jahr nahm die Gemeinnützige Heimstättenbaugesellschaft der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) ihre Arbeit auf.

Als am 01.04.1924 das Hauszinssteuergesetz in Kraft trat, wurden endlich ausreichende Mittel für die öffentliche Wohnungsbauförderung verfügbar gemacht. Die Vergabe dieser Mittel übernahm in Berlin ein eigenes öffentliches Spezialinstitut: die Wohnungsfürsorgeanstalt Berlin. Ausgereicht wurden vor allem zinsverbilligte Darlehen gegen hypothekarische Sicherung und städtische Zusatzhypotheken zu einer Verzinsung von 2%. In Deutschland hatte sich damit ein System des Sozialen Wohnungsbaus etabliert, das sich mit dem anderer europäischer Länder durchaus vergleichen ließ. Zwar enthielt es im Unterschied z.B. zu England und Österreich keinen direkten staatlichen Wohnungsbau, dafür gründeten jedoch einige Kommunen eigene öffentliche Wohnungsbauunternehmen, so dass auch dieser Sektor nicht gänzlich entfiel. Der größte Teil des Sozialen Wohnungsbaus wurde durch die gemeinnützigen Unternehmen sowie die Genossenschaften abgewickelt. Diese Träger waren durch die verschiedenen Verordnungen zur Gemeinnützigkeit sowie durch das Genossenschaftsgesetz gebunden und erhielten im Gegenzug staatliche Unterstützung. Wohnungsbauträger, politisch festgesetzte Mieten, ein klar definierter Begünstigtenkreis sowie Regelungen der Gemeinnützigkeit und daran gebundene staatliche Mittel bildeten eine Einheit.

Wohnungsbauförderung in der Bundesrepublik Deutschland

Das System des Sozialen Wohnungsbaus in der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg bekam einen gänzlich anderen Charakter. Die politisch-ideologische Ausrichtung war konservativ bis reaktionär.

Der § 1 des 2. Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) erklärt die Wohnungsbauförderung als öffentliche Aufgabe, die das Ziel hat, den Wohnungsmangel zu beseitigen und "zugleich weite Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum, besonders in der Form von Familienheimen, mit dem Grund und Boden zu verbinden. Sparwille und Tatkraft aller Schichten des Volkes sollen hierzu angeregt werden. In ausreichendem Maße sind solche Wohnungen zu fördern, die die Entfaltung eines gesunden Familienlebens, namentlich für kinderreiche Familien, gewährleisten."

§ 2 listet den zu fördernden Wohnraum in folgender Reihenfolge auf: Familienheime in der Form von Eigenheimen, Kaufeigenheimen und Kleinsiedlungen, Eigentumswohnungen und Kaufeigentumswohnungen und Genossenschaftswohnungen. Erst danach werden die Mietwohnungen genannt.

Tatsächlich wurden auch kräftig Eigenheime gefördert, u.a. mit dem Ergebnis, dass die Städte breiig in die Landschaft zerflossen und einen exzessiven Straßenbau erforderlich machten. Wenn der Mietwohnungsanteil mit rund 60% dennoch immer höher als die Wohneigentumsquote blieb, waren der große Wohnungsbedarf und die begrenzte Zahlungsfähigkeit der von der Förderung angesprochenen "Schichten des Volkes" die Ursache.

Folgenreicher als die Eigentumsorientierung war der Verzicht auf die Bindung der Förderung an die soziale Ausrichtung der Träger. Der § 26 Absatz 3 II. WoBauG formuliert: "Bei der Bewilligung der öffentlichen Mittel sind förderungsfähige Bauvorhaben von privaten Bauherren, Wohnungsunternehmen, Gemeinden, Gemeindeverbänden, anderer Körperschaften öffentlichen Rechts und sonstigen Bauherren in gleicher Weise ohne Bevorzugung bestimmter Gruppen von Bauherren zu berücksichtigen."

Der soziale Charakter, d.h. Bereitstellung für einen definierten Begünstigtenkreis, die Bindungen der Miethöhe sowie der Einfluss der Kommunen auf die Verfügung über die Wohnungen, war von den Trägern abgelöst und mit den Wohnungen nur so lange verbunden, bis die öffentlichen Mittel getilgt wurden. Christian Donner1, Experte für EU-Wohnungspolitik, bezeichnet diese Art des Sozialen Wohnungsbaus treffend als Wohnungsbauförderung mit sozialer Zwischennutzung.

Bundesrepublik Deutschland: Ein wohnungspolitisches Entwicklungsland

Vergleichbare temporäre Modelle sozialen Wohnungsbaus sind in anderen europäischen Ländern überhaupt nicht oder nur sehr marginal angewandt worden. Der klassische soziale Wohnungsbau ist hier immer an den Wohnungsbauträger gebunden, der ein öffentlicher oder gemeinnütziger sein kann. Es liegt auf der Hand, dass die europäische Normalität eine deutlich stärkere Nachhaltigkeit des Sozialwohnungsbestands erzeugt. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen sind mittlerweile die Bestände des Sozialen Wohnungsbaus bis auf geringe Reste abgeschmolzen. Im Jahr 2001 waren noch ca. 9% des gesamten Wohnungsbestands Sozialwohnungen. Inzwischen sind weiter Wohnungen aus der Bindung gefallen, sodass sich der Anteil des Sozialen Wohnungsbaus auf aktuell 6% des Wohnungsbestands verringert hat.

Tabelle Social Housing

Die klassische Form des Sozialen Wohnungsbaus hatte in den gesetzlichen Regelungen über die Gemeinnützigkeit nur ein Schattendasein gefristet. Dass aber gerade diese gemeinnützigen Unternehmen einen großen Teil des öffentlich geförderten Wohnungsbaus errichteten, war ihrer bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erworbenen Eignung zu verdanken.

1990 wurde ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen. Seither agieren sie ohne soziale Beschränkungen als private Wohnungsanbieter auf dem Markt und teilen damit das Schicksal der noch in öffentlicher Hand befindlichen Unternehmen.

Die ehemaligen kommunalen Wohnungsverwaltungen der DDR sind inzwischen ebenfalls aller sozialen Aufgaben entbunden, betriebswirtschaftlich ausgerichtet und stehen, wenn es nach dem Willen vieler politischer Repräsentanten dieser Stadt geht, genauso wie ihre westlichen Kollegen als Kaufobjekte für die Private Equity Fonds der Firmen Cerberus, Apellas, Lone Star, Fortress und Konsorten zur Verfügung.

Über deren Erwartungen schreibt Jens Friedemann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift "Wohnungsspekulanten":

"Da der Wohnungsbau in Deutschland - abgesehen vom Eigenheimbau - regelrecht eingebrochen ist, beginnt sich in den bevorzugten Ballungszentren, den attraktiven Gemeinden und den Universitätsstädten allmählich wieder Wohnungsmangel aufzustauen. Und der wird - so die Erwartungen - die Mieten und Preise in die Höhe treiben, sobald sich die Binnenkonjunktur belebt und die Kaufkraft wieder zunimmt."

Zweites Wohnungsbaugesetz

Das Zweite Wohnungsbaugesetz (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz - II. WoBauG) trat 1956 in Kraft und wurde am 01.01.2002 vom Wohnraumförderungsgesetz abgelöst.

§ 1

(1) Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände haben den Wohnungsbau unter besonderer Bevorzugung des Baues von Wohnungen, die nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für die breiten Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind (sozialer Wohnungsbau), als vordringliche Aufgabe zu fördern.

(2) Die Förderung des Wohnungsbaues hat das Ziel, den Wohnungsmangel zu beseitigen und für weite Kreise der Bevölkerung breitgestreutes Eigentum zu schaffen. Die Förderung soll eine ausreichende Wohnungsversorgung aller Bevölkerungsschichten entsprechend den unterschiedlichen Wohnbedürfnissen ermöglichen und diese namentlich für diejenigen Wohnungssuchenden sicherstellen, die hierzu selbst nicht in der Lage sind.

In ausreichendem Maße sind solche Wohnungen zu fördern, die die Entfaltung eines gesunden Familienlebens, namentlich für kinderreiche Familien, gewährleisten.

Die Förderung des Wohnungsbaues soll überwiegend der Bildung von Einzeleigentum (Familienheimen und eigengenutzten Eigentumswohnungen) dienen.

Zur Schaffung von Einzeleigentum sollen Sparwille und Bereitschaft zur Selbsthilfe angeregt werden."

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 312