MieterEcho 309/April 2005: Motto Unmündigkeit: Die "demografische Falle"

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MieterEcho 309/April 2005

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Motto: Es ist so bequem, unmündig zu sein

Die "demografische Falle" und ihre Hintergründe

Donnerstagskreis der Berliner SPD

Wolfgang Clement behandelte auf dem Landesparteitag der SPD-Berlin am 04.12.2004 in 90 Minuten alle wichtigen Probleme unserer Zeit aus der Sicht deutscher Politik. Er betrachtete sie nicht aus sozialdemokratischer Sicht, was kaum verwundert. Alle Parteien finden sich in der Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse traulich vereint. Man ist sich einig über die aktuellen Probleme, man ist sich einig über deren Stellenwert und man ist sich verblüffend einig über deren Lösung. Die Parteien unterscheiden sich nur noch in dem Grad der Radikalität, mit der sie die Solidarsysteme schleifen wollen.

Wenn Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft ihr Unvermögen rechtfertigen, die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen, fehlen in ihren Begründungen nie: Die "Globalisierung" und die "demografische Entwicklung". "Neu" seien diese Probleme und nur unter gewaltigen sozialen Opfern der Bevölkerung zu lösen. Und wenn die vorgeschlagenen Mittel in der Realität versagen, dann waren die Opfer eben nicht groß genug. Es muss "nachgelegt" werden, also auf zum nächsten Opfergang.

Aber sind die Probleme wirklich neu? Sind sie so übermächtig, dass man sie nur unter Opferung des Sozialstaats meistern kann? Dient dieses Opfer der Problemlösung? Werden Schwierigkeiten nur aufgeblasen, weil ganz andere Ziele verfolgt werden? Untersuchen wir zunächst die so genannte "demografische Falle."

Die öffentliche Darstellung

"Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit die drohende Überalterung unserer Gesellschaft verschlafen. Jetzt sind wir aufgewacht. Unsere Antwort heißt: Agenda 2010! Die Demografie macht den Umbau unserer Sozialsysteme zwingend notwendig" (Franz Müntefering). Natürlich stammen diese "Erkenntnisse" nicht aus der Feder der Sozialdemokratie: Die Süssmuth-Kommission, die Herzog-Kommission und die Rürup-Kommission haben "vorgelegt". Der "Spiegel" schrieb eine Titelgeschichte: "Der letzte Deutsche". Der Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, schrieb ein ganzes Buch: "Das Methusalem-Komplott". Gabor Steingart vom "Spiegel" malte in seinem Buch "Deutschland - der Abstieg eines Superstars" das Menetekel des sterbenden Deutschlands. Die jungen Bundestagsabgeordneten der Oppositionsparteien wehren sich in einem - von der Bertelsmann-Stiftung gesponserten - "Memorandum", weil ihrer Generation "die Zukunft gestohlen wird". Der neue Bundespräsident hat in der demografischen Entwicklung ein neues "Megathema" entdeckt. Dann muss es ja stimmen.

Das Problem

Die Untergangsszenarien basieren auf zwei Tatsachen: Es werden "immer weniger" Kinder geboren und die Menschen werden "immer älter". Die Daten stammen vom Statistischen Bundesamt. Dieses hat die bisher vorliegenden Zahlen "fortgeschrieben" bis in das Jahr 2050. Das sind Dimensionen, in denen man plant, wenn es um Renten und Sozialsysteme geht. Das Statistische Bundesamt hat klargestellt, dass es sich um "Modellrechnungen" handelt, die auf den heutigen Bedingungen beruhen. Und man hat neun Varianten durchgerechnet.

In der öffentlichen Diskussion wird immer nur die ungünstigste Variante zitiert. Und sie wird als "unabänderlich" dargestellt. Seriöse Planer gehen von der mittleren Variante aus. Und auch die muss nach allen bisherigen Erfahrungen alle vier Jahre korrigiert werden. Aber diese Variante war Schirrmacher und seinen Freunden anscheinend nicht dramatisch genug. Sie wollen, dass es in 50 Jahren 17 Mio. weniger Deutsche gibt und dann jeder Arbeitsfähige mehr als einen Rentner "mitzuernähren" habe. Wenn man jedoch die Zahlen des Jahres 1950 in gleicher Weise fortgeschrieben hätte, wie man die heutigen Zahlen fortschreibt, wäre man ebenso zu Ergebnissen gelangt, die nichts mit der heutigen Realität zu tun hätten.

Das Ziel

Nehmen wir an, unsere professionellen Schwarzseher behielten Recht: Welche Fragen würden sich dann einem verantwortungsbewussten Politiker angesichts solcher Zahlen stellen? Ist es tatsächlich so schlimm, wenn es "weniger Deutsche" gibt? Wenn ja, wie könnte man die Geburtenrate steigern? Welche Probleme entstehen dadurch, dass die Menschen immer älter werden und immer weniger Kinder heranwachsen? Ist die medizinische Versorgung und die Betreuung der Alten sichergestellt? Kann die Volkswirtschaft diesen Aderlass verschmerzen? Erstaunlicherweise werden diese Fragen kaum gestellt, sondern es beherrscht eine Randfrage die Diskussion: Müssen wir uns von dem solidarischen Rentensystem verabschieden und in die private Vorsorge gehen? Und die Antwort wird seit Jahren in riesigen Anzeigen der Versicherungen gegeben: Ja, so die Versicherer, denn es werden zu wenig Menschen in die Solidarsysteme einzahlen, um der heute jungen Generation ihre Rente zu sichern. Daher müsse man sich privat versichern, um im Alter ein gesichertes Einkommen zu erzielen.

Könnte es sein, dass mit der "demografischen Falle" ein Popanz aufgebaut wird, um die Geschäfte der Versicherungen und Banken zu beleben? Immerhin geht es um die Verteilung eines Kuchens von mehr als 150 Mrd. Euro jährlich. Da lohnt es sich schon, in Wissenschaftler, Stiftungen, Politiker und Medien einige Millionen Euro zu investieren.

Also widmen wir uns der Frage: Gibt es die "demografische Falle" wirklich oder ist es nur die Falle für Dumme und sind Nepper, Schlepper, Bauerfänger am Werk?

Die Ängste

Sind die Deutschen ein "sterbendes Volk"? Es bedarf nur weniger Daten, um die Ideologie zu entlarven:

Die Zahlen machen die Beliebigkeit dieser ideologischen Spielereien deutlich. 1939 haben in einem größeren Staatsgebiet fast 20 Mio. weniger Menschen gelebt als heute. Und sie ließen sich einreden, beengt zu leben und mehr "Raum" zu brauchen. Jetzt, bei einer erheblich höheren Bevölkerungsdichte, redet man ihnen ein, in leeren Räumen zu leben.

Aber wie "leer" ist der "deutsche Raum" denn tatsächlich?

Es ist also eher so, dass es um den "deutschen Raum" nicht schlecht stünde, ein wenig leerer zu werden. Die Theorie vom "sterbenden Volk" und vom "Volk ohne Raum" ist in Wahrheit ein gefährliches Spiel mit den Ängsten der Menschen.

Die Geburtenrate

Und wie steht es mit den Geburtenraten? Auch hier Daten statt Ideologie:

Anzahl Kind pro Frau
Jahr
Alte Bundesländer
Neue Bundesländer
1950 2,10  
1960 2,37  
1970 2,02  
1980 1,44  
1985 1,28  
1990 1,45 1,52
1991 1,42 0,98
1992 1,40 0,83
1993 1,39 0,77
1997 1,44 1,04
2000 1,41 1,21

Wenn diese Tabelle eines deutlich macht, dann die Unmöglichkeit einer verlässlichen Prognose. Und sie zeigt, wie schnell sich alles ändern kann. Innerhalb von drei Jahren hat sich die Geburtenrate in den neuen Bundesländern zwischen 1990 und 1993 halbiert. Es liegt dabei auf der Hand, dass Zukunftsangst und Selbstverwirklichung die Menschen aus der solidarischen Gesellschaft treiben.

Das statistische Bundesamt geht davon aus, dass sich die Geburtenrate um die 1,4 einpendelt. Je intensiver die Diskussion um die Eigensicherung der Rente geführt wird, je mehr Zukunftsangst geschürt wird, je weniger man sich auf die Hilfe der Gemeinschaft verlassen kann, je mehr man auf sich selbst verwiesen wird, desto sicherer fallen Kinder aus der Lebensplanung.

Wenn es eines Beweises bedürfte, die Diskussion um das demografische Problem als zielgerichtete, neoliberale Veranstaltung zu erkennen, dann diese Tatsache: Der Mensch soll glauben, dass nur private Vorsorge ein gesichertes Alter ermöglicht. Dann muss er sich aber hüten, Kinder zu haben. Die Masse der Arbeitnehmer kann sich nicht beides leisten: Kinder und private Alterssicherung. Hier wird also eine "Lösung" angeboten, die in Wahrheit das Problem der geringen Geburtenziffer noch verschärft. Aber, so wird berichtet, Deutschland steht mit der Geburtenrate auf Platz 170 der Weltrangliste. Abgesehen davon, dass man dies angesichts der oben aufgeführten Zahlen wohl nur als wohltuend bezeichnen kann, liegt die Geburtenrate Deutschlands vor der vieler anderer europäischer Länder wie zum Beispiel Spanien. Auch liegt sie vor der Geburtenrate der osteuropäischen Länder. Selbst das katholische Polen hat mit 1,3 eine geringere Geburtenrate als Deutschland. Auch in diesen Ländern beschäftigt man sich nach Einbruch der neoliberalen Ideologie lieber damit, reich zu werden, als mit dem Reichtum, den Kinder für Eltern und Gesellschaft darstellen. Ganz vorn in der Geburtenstatistik liegen übrigens Staaten wie Niger und Kongo. Ein Vorbild sind diese Staaten wohl nicht. Und Frankreich beweist übrigens, dass man mit den Mitteln der Politik die Geburtenrate positiv beeinflussen kann, wenn man das will. Aber davon hört man in Deutschland nichts.

Ob man Kinder haben will oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung. Der Staat hat bei dieser individuellen Entscheidung nur eine Funktion: Er hat dafür zu sorgen, dass die, die sich für Kinder entscheiden, nicht in Armut gestürzt werden und vor allem dürfen Kinder nicht ohne finanzielle Sicherung aufwachsen. Dennoch leben in Berlin fast 100.000 Kinder und Jugendliche in Armut.

Die 'räuberischen Alten'

Es könnte aber trotz allem so sein, dass die Alten am Ende eine so große Belastung der Jungen werden, dass bei einem Beharren auf den Solidarsystemen in der Gesundheits- und Altenversorgung die Ressourcen nicht mehr ausreichen und die Jungen unter der Last der Altenversorgung zusammenbrechen. Könnte es dann nicht sinnvoll sein, sich zusätzlich privat zu versichern? Sind die - wenngleich selbstsüchtigen - Bemühungen der Versicherer nicht doch sinnvoll?

Die geschichtliche Dimension

In der jüngeren Geschichte hat es Phasen gegeben, in denen die Gesellschaft deutlicher "vergreiste" als jetzt. Im Jahr 1900 haben 12,4 Menschen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren für einen Alten sorgen müssen. Im Jahr 1960 mussten 4,3 Menschen diese Aufgabe ausführen. Das war eine Verringerung um mehr als 66%, d.h. jeder Arbeitsfähige hatte 1960 dreimal mehr Alte zu versorgen als 60 Jahre zuvor. Dennoch hat 1960 niemand darüber geklagt oder die dadurch aufgebürdeten Lasten für untragbar gehalten. Auch sind die Sozialsysteme nicht zusammengebrochen.

Im Zeitraum zwischen 1960 und 2000 hat sich diese Zahl nur von 4,3 auf 4,1 verringert. Nach den Prognosen wird sich diese Zahl bis 2020 auf 3,0 verändern - und auch das ist keine erschütternde Verringerung.

Das Problem der Versorgung der Gesellschaft durch die arbeitende Bevölkerung beschränkt sich nämlich nicht auf die Alten. Auch Kinder müssen versorgt werden. Und deren Versorgung ist nicht weniger aufwändig.

Wenn man die Prognosen des Statistischen Bundesamts ernst nimmt, ergibt sich Folgendes: 2001 kommen auf 100 arbeitsfähige Menschen 44 Alte und 38 Junge, sodass 100 Menschen im erwerbstätigen Alter 82 andere (Alte und Junge) zu versorgen haben. 2050 werden 100 Erwerbstätige 78 Alte und 34 Junge zu versorgen haben, also insgesamt 112.

Das ist keine gravierende Steigerung, wie sich aus folgender Tatsache ergibt: Im Jahr 1970 hatten 100 Arbeitsfähige 60 Junge und 40 Alte zu versorgen, also insgesamt 100 Personen, ohne dass damals jemand auf die Idee kam, diese Bürde sei nicht zu meistern. Seit 1970 hat sich die Produktivität mehr als verdoppelt.

Und da soll es nicht möglich sein, im Jahr 2050 eine Steigerung um 12% zu verkraften?

Warum hat die Gesellschaft im Jahr 1970 bei vergleichsweise geringem Bruttosozialprodukt nicht über die gewaltigen Lasten für Alte und Junge geklagt? Warum sind die Sozialsysteme damals nicht zusammengebrochen? Weil Vollbeschäftigung und Beteiligung der Arbeitnehmer an dem wachsenden gesellschaftlichen Reichtum dafür gesorgt haben, diese "Lasten" zu tragen.

Die tatsächlichen Probleme

Nicht in der demografischen, sondern in der wirtschaftlichen Entwicklung liegen die tatsächlichen Probleme. Die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten nimmt gegenwärtig dramatisch ab. Und ein Arbeitsloser zahlt nicht in die Solidarsysteme, zu denen übrigens die Steuer gehört, weshalb eine Abwägung über steuer- oder beitragsfinanzierte Sozialsysteme an dieser Stelle müßig ist. Selbst wenn die Bevölkerung nur aus Menschen im arbeitsfähigen Alter bestünde: Wenn diese keine Arbeit hätten und keine Steuern und Abgaben leisteten, würde jedes Solidarsystem zusammenbrechen.

Nun könnte man entgegnen: Es kann noch so viel Arbeit vorhanden sein, aber wenn nur noch arbeitsunfähige Greise vorhanden sind, brechen die Sozialsysteme auch zusammen. Das scheint logisch, ist aber nicht richtig, denn die so genannten "Greise" sind nicht zwangsläufig arbeitsunfähig. Die Justizsenatorin kennt viele Richter, die gern über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten möchten, aber zwangspensioniert werden. Da gehen wertvolle Wissenspotenziale verloren. Wer von den ungeheuren Fortschritten der Medizin und deren lebensverlängernden Wirkungen spricht, sollte nicht so tun, als würden hier nur dahinvegetierende und ständiger Fürsorge bedürftige Schattenwesen vor dem überfälligen Hinscheiden bewahrt.

Wir hatten oben festgestellt, dass gegenwärtig 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter 82 Kinder und Rentner versorgen müssen. Im Jahr 2050 würde die Zahl der zu Versorgenden auf 112 ansteigen.

Wenn man aber das tatsächliche Rentenalter auf durchschnittlich 65 Jahre erhöht, würde sich diese Zahl auf 85 verringern und es wären nur drei Menschen auf 100 Erwerbstätige mehr zu versorgen als jetzt. Warum diese Steigerung nicht möglich sein sollte, ist bei den medizinischen Fortschritten und dem immer geringer werdenden Anteil an schwerer körperlicher Arbeit gar nicht einzusehen. Hinzu kommt: Selbst bei einer sehr niedrigen Produktivitätssteigerung von nur 1,25 %, die in Deutschland stets übertroffen wurde, wäre die errechnete Last von 112 Versorgungsempfängern leicht zu schultern. Die Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass den Arbeitnehmern die Steigerung ihrer Produktivität auch tatsächlich zugute kommt, was aber seit 1970 nicht mehr der Fall ist. Seit 20 Jahren stagnieren die Löhne und Gehälter, obgleich die Gewinne - auch infolge der Produktivitätssteigerungen - gewaltig gewachsen sind.

Fazit: Es ist eine zielgerechnete Propaganda, dass die "Vergreisung" die Gesellschaft vor Aufgaben stellt, die nicht gemeistert werden könnten.

Die Denkfehler

Den gravierendsten Propaganda-Trick haben wir bereits entlarvt. Nicht der Anteil Junger und Alter zählt, sondern die Zahl der Erwerbstätigen. Ein so grundsätzlich gedanklicher Fehler darf aber nicht passieren. Wer der Frühpensionierung das Wort redet, hätte merken müssen, dass er die Zahl der Alten erhöht, die zu versorgen sind. Und er hätte erkennen müssen, dass er falsch denkt, wenn er das Alter und nicht die Beschäftigung als relevanten Umstand für die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Versorgung betrachtet.

Der zweite Denkfehler ist noch schlimmer, denn die Abkehr von einer solidarischen Altersversorgung ändert an der Aufgabe überhaupt nichts: Die Alten und die Jungen müssen versorgt werden. Und da sich immer weniger Menschen eine private Altersversorgung leisten können, bleibt diese Aufgabe auch immer eine Gemeinschaftsaufgabe.

Und wer die Angst schürt, die Alten könnten - wegen ihrer hohen Zahl - in der Demokratie ihre Interessen gegen die Jungen durchsetzen, spielt mit dem Feuer. Zu Ende gedacht propagiert er die Abschaffung des gleichen Wahlrechts - und damit der Demokratie.

Die Interessenten

Der ganze statistische und wissenschaftlich aufgemotzte Hokuspokus dient einem Ziel: Würden die "Erfinder" der "demografischen Falle" an die angeblich schrecklichen Folgen ihrer Entdeckung glauben, dann würden sie forschen und vorschlagen, wie die Gesellschaft zu mehr Kindern kommt. Das würde zwar das Versorgungsproblem nicht verringern, denn man müsste neben der steigenden Zahl der Alten auch noch die wachsende Zahl von Kindern versorgen, aber man würde das Problem wenigstens "grundlegend" angehen. Davon hört man aber gar nichts. Darum geht es den Neoliberalen auch gar nicht. Die kümmert das "sterbende deutsche Volk" in Wahrheit auch gar nicht. Neoliberale vertreten ihre eigenen Interessen und wollen nichts an andere abgeben. Diese Rechnung geht nur auf, wenn man von den Leistungen für die Solidarsysteme herunterkommt. Und da diejenigen, die in Wirtschaft und Politik etwas zu sagen haben, auch ein sehr gutes Einkommen haben oder auf ein solches hoffen, wollen sie möglichst viel beiseite schaffen und möglichst wenig für die Gemeinschaft zahlen. Folglich argumentieren sie mit dem Ziel, die Gemeinschaftsausgaben abzuschaffen. Jeder soll für sich selbst sorgen: Weg mit dem Umlageverfahren, her mit der privaten Vorsorge. Und natürlich stehen hinter den Forderungen die Banken und Versicherer, die dabei 150 Mrd. Euro im Auge haben.

Dennoch verblüfft, mit welchen dummen, unhistorischen, unlogischen und irrealen Argumenten so viele Menschen hinters Licht geführt werden können. Wie kann es angesichts lächerlich einfacher Erkenntnisse zu solchen kollektiven Irrationalitäten kommen?

Die Antwort ist einfach: Der Unsinn von der "demografischen Falle" verfolgt ein Ziel, das denen dient, die immer reicher werden. Mit zu bewundernder Strategie, Konsequenz und Hundertausenden von Euros haben sie mit "Think-Tanks", also "Denkfabriken", die Vernunft überrollt. Hier hilft nur Aufklärung. "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, heißt also der Wahlspruch der Aufklärung", sagt Kant. Und weiter: "Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen hat, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben. Und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen." Faulheit und vor allem Feigheit sowie Opportunismus gilt es zu überwinden. Eine große Aufgabe - nicht nur in der SPD. Aber nur so können die "Vormünder" als eigensüchtig und ohne jedes Interesse am Wohl des Volkes enttarnt werden.

Donnerstagskreis

Der Donnerstagskreis ist ein Zusammenschluss der Parteilinken der Berliner SPD. Zu ihren Sprecher/innen gehören H.-G. Lorenz, Dr. Konstanze Kube, Jan Flach, Gerlinde Schermer und Thomas Rudek.

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