MieterEcho

MieterEcho 306/Oktober 2004

 TITEL

Hartz IV lässt die Verdrängungsfalle zuschnappen

Auswirkungen auf die Wohnungsversorgung am Beispiel Prenzlauer Berg

Andrej Holm

Der folgende Beitrag versucht zu klären, wie sich die geltenden Bemessungsgrenzen der Kosten zur Unterbringung auf die Situation in Berlin am Beispiel des gründerzeitlich geprägten Stadtteils Prenzlauer Berg auswirken würden. Gibt es überhaupt genügend kleine und preiswerte Wohnungen? Wohin müssen die Haushalte ziehen, die auf das ALG II angewiesen sind?

Die Ausgangspunkte der Überlegungen sind die massiven Aufwertungsprozesse der letzten Jahre und die verschiedenen politischen und administrativen Versuche, eine Verdrängung sozial schwacher Bewohner/innen zumindest einzuschränken. Der Verdrängungsschutz galt lange Zeit als das zentrale soziale Ziel der Stadterneuerung in Prenzlauer Berg.

Mietobergrenzen als Instrument gegen Verdrängung

Die Sozialstatistiken aus dem Gebiet zeigen, dass sich insbesondere in den noch unsanierten Altbaubeständen Haushalte mit geringeren Einkommen konzentrieren. Durch geförderte Modernisierungen und die Anwendung von Mietobergrenzen haben sich auch im Segment der modernisierten Wohnungen soziale Nischen etablieren können. Hartz IV könnte diese Momentaufnahme der verzögerten Verdrängung deutlich durcheinander bringen.

Im Gesamtbezirk sind von den unter Hartz IV zusammengefassten Gesetzesveränderungen etwa 12.000 Arbeitslose und 10.000 Sozialhilfeempfänger/innen betroffen. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Haushaltsgrößen und unter Einberechnung der Kinder und Jugendlichen, die auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind, sind das etwa 12.000 bis 14.000 betroffene Haushalte. Ein Großteil dieser Haushalte konnte sich seinen Wohnsitz bisher selbst aussuchen. Mit Hartz IV ist ein Instrument geschaffen, den Bewohner/innen Grenzen im Preis wie in der Wohnungsgröße zu diktieren.

Welche Auswirkungen haben die Neuregelungen auf die Wohnungsversorgung im Stadtteil? Zunächst werden dazu die drei relevanten Baualtersgruppen gegenübergestellt. Insbesondere die etwa 58.000 Gründerzeitwohnungen in den Altbauvierteln weisen wesentlich andere Grundschnitte und Wohnungsgrößen auf als die ca. 15.000 Wohnungen in den Siedlungsbauten der Zwischenkriegszeit oder die 15.000 Plattenwohnungen, die zu DDR-Zeiten errichtet wurden.

Ein Vergleich der Wohnungsgrößen nach Quadratmetern sowie nach der Zimmeranzahl zeigt den Trend: je jünger das Baualter, desto mehr Zimmer und desto kleiner die Wohnfläche. Stellen wir die jeweiligen Wohnungsgrößen den Bemessungsgrößen der Behörden gegenüber, wird deutlich, dass die durchschnittliche Gründerzeitwohnung nicht für ALG II-Beziehende geeignet erscheint. Lediglich die Plattenbauten scheinen sich von der Wohnungsgröße her in allen Kategorien für die Gesetzesänderung zu eignen.

Tabelle 1*
Wohnungsgrößen nach Räumen und Quadratmetern (gerundete Durchschnittswerte)

Bemessungsgrenze
Personen

Bemessungsgrenze
Flächen

Gründerzeit-
gebäude

Zwischenkriegs-
gebäude

DDR-Platten-
bauten

Gesamt

Räume

1

45-50 qm

52 qm

39 qm

36qm

49 qm

1

2

60 qm

73 qm

54 qm

49 qm

68 qm

2

3

70 qm

88 qm

71 qm

70 qm

85 qm

3

4+

+85 qm

110 qm

95 qm

86 qm

107 qm

4

Zu große Wohnungen im Bestand der Gründerzeitgebäude

Erst eine genauere Analyse der Bestandsgruppen zeigt, dass auch in den Gründerzeitquartieren kleinere Wohnungen vorhanden sind. Insbesondere ein Teil der Ein- und Zweiraumwohnungen entspricht den behördlichen Größenvorgaben. So sind etwa 47% aller Einraumwohnungen nicht größer als die geforderten 45 bis 50 qm. Bei den Zweiraumwohnungen beträgt dieser Anteil nur noch 36% und alle Wohnungen mit mehr Zimmern überschreiten die Bemessungsgrenzen deutlich. Insgesamt gibt es in den Gründerzeitbeständen fast 17.000 Wohnungen, die den engen Grenzen des Hartz IV Gesetzes genügen - das sind etwa 27% dieser Bestandsgruppe. Diese rein rechnerischen Überlegungen sagen jedoch noch nichts über die tatsächlichen Umzugsmöglichkeiten in den Altbaubeständen aus. Diese sind deutlich eingeschränkt, weil es nur noch geringe Leerstandsquoten gibt und nicht damit zu rechnen ist, dass andere Mieter/innen ihre Wohnung für eine Hartz IV-Einweisung räumen werden.

Tabelle 2*
Bemessungsgrenzen in den Gründerzeitwohnungen

Bemessungsgrenze
Personen

Bemessungsgrenze
Flächen

innerhalb der
Bemessungsgrenze

größer als
Bemessungsgrenze

Anzahl der
Wohnungen gesamt

1

Bemessungsgrenze
Flächen

innerhalb der
Bemessungsgrenze

größer als
Bemessungsgrenze

Anzahl der
Wohnungen gesamt

1

45-50 qm

8120

9280

17.400

2

60 qm

8874

15.602

24.476

3

70 qm

keine

12.238

12.238

4+

+85 qm

keine

3886

3886

gesamt

16.994 (27,6%)

41.006 (72,4%)

58.000

Versorgungslücke bei Singles

Die Struktur der beiden anderen Baualtersgruppen ist eine völlig andere. Bis auf wenige Ausnahmen weisen fast alle Wohnungen in allen denkbaren Zimmerschlüsseln die geforderten Größen auf. Einziges Problem - aus der Sicht einer amtsgerechten Wohnungsversorgung - sind hier die fehlenden Einraumwohnungen. Da die Wohnungen der beiden jüngeren Baualtersgruppen als Wohnungen für Kleinfamilien errichtet wurden, sind weniger als 9% in diesen Beständen für nur eine Person ausgelegt. Da Prenzlauer Berg den höchsten Anteil von Einpersonenhaushalten (53% im Jahr 2003) der Stadt auf-weist, wird auch in diesem Bereich eine Versorgungslücke deutlich. Auch für größere Familien bieten diese Baualtersgruppen ungenügend Angebote, weil weder in den Zwischenkriegssiedlungen noch in den Plattenbauten entsprechend große Wohnungen in ausreichender Zahl vorhanden sind.

Tabelle 3*
Anteilige Verteilung der Hartz IV-gerechten Wohnungen in den Baualtersgruppen
(Gesamt 88.000 Wohnungen)

Bemessungsgrenze
Personen

Bemessungsgrenze
Flächen

Gründerzeit-
gebäude

Zwischenkriegs-
gebäude

DDR-Platten-
bauten

1

45-50 qm

8120

737

1908

2

60 qm

8874

8381

6018

3

70 qm

keine

5291

5252

4+

+85 qm

keine

591

1736

zusammen

16.994

14.998

14.914

Gesamtbestand

58.000

15.000

15.000

Treppe des sozialen Abstiegs

Wie die Übersicht zeigt, sind in allen Segmenten des Wohnungsmarkts Wohnungen innerhalb der Bemessungsgrenzen gegeben. Sie konzentrieren sich jedoch auf verschiedene Zimmergrößen. Insbesondere die kleinen Haushalte werden eine ihnen gerechte Wohnungsgröße eher in den Altbaubeständen finden. Hier konzentrieren sich 75% der genügend kleinen Einraumwohnungen.

Sollten Zweipersonenhaushalte auf das ALG II angewiesen sein, so werden sie nur noch zu 38% eine passende Wohnung in den Gründerzeitvierteln finden. Insbesondere die Zwischenkriegssiedlungen bieten sich hier als Alternative an. Für Dreipersonenhaushalte gibt es nur noch die Wahl zwischen den Zwischenkriegssiedlungen und der Platte. Noch größere Haushalte werden letztlich fast nur noch in den Plattenbauten eine entsprechende Wohnung finden.

Einer Treppe des sozialen Abstiegs gleich werden die betroffenen Haushalte mit steigender Personenzahl über die Zwischenkriegssiedlungen an die Plattenbauwohnungen ‚durchgereicht'. Da das derzeitige Mietgefälle in negativer Kongruenz zum Baualter steht (je älter das Haus umso höher die Miete), ist die beschriebene Verteilung nicht auszuschließen.

Tabelle 4*
Anteilige Verteilung der Hartz IV gerechten Wohnungen in den Baualtersgruppen in Prozent

Bemessungsgrenze
Personen

Bemessungsgrenze
Flächen

Gründerzeit-
gebäude

Zwischenkriegs-
gebäude

DDR-Platten-
bauten

1

45-50 qm

75%

7%

18%

2

60 qm

38%

36%

26%

3

70 qm

0%

50%

50%

4+

+85 qm

0%

25%

75%

Anteil der Hartz IV-
kompatiblen Wohnungen

28%

30%

48%

Anteil Gesamt-
wohnungsbestand

66%

17%

17%

Aufschlussreich ist auch ein Vergleich der Verteilungsanteile des Gesamtwohnungsbestands und der bemessungsgrenzengerechten Wohnungen. Hier stehen zwei Drittel Altbaubestand lediglich 28% genügend kleiner Wohnungen gegenüber. Ganz anders die Plattenbauten: Dort konzentriert sich in gerade mal 17% des Gesamtbestands die Hälfte aller Hartz IV-kompatiblen Wohnungen. Die Wahrscheinlichkeit, dort eine entsprechend kleine Wohnung zu finden, ist also um ein Vielfaches höher als in den ohnehin nachgefragten Gründerzeitquartieren.

Umzüge sind zu erwarten

Bezogen auf die betroffenen 12.000 bis 14.000 Haushalte bedeutet dies, dass 8000 bis 9000 der Hartz IV-Betroffenen in Altbaubeständen wohnen. Von diesen müssten etwa 5000 in die anderen Quartiere ausweichen, wenn die Bemessungsgrenzen eingehalten werden sollen.

Mit der Einführung von Hartz IV wurde also ein Instrument geschaffen, das allen vergangenen Bemühungen um die Verhinderung und Einschränkung der Verdrängung aus den Sanierungs- und Milieuschutzgebieten entgegen steht. Die Forderung an den Bezirk kann nur lauten, auf die Anwendung der Bemessungsgrenzen zu verzichten und die gebietstypische Wohnungsstruktur durch erhöhte Wohngeldzahlungen zu berücksichtigen.

*) Quelle: Häußermann/Holm/Zunzer: Wohnungsmodernisierung und Stadterneuerung unter veränderten Bedingungen - Beispiel Ost-Berlin. Zwischenbericht. Unveröffentlichtes Manuskript. Berlin 1999.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 306