Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 301   Dezember 2003

Geschichte wird gemacht

oder wie auch heute noch abgezockt wird

Stefan Zackenfels

Mittwochs bis sonntags von 12 bis 18 Uhr ist sie zu besichtigen: Im Kreuzberg Museum findet zur Zeit eine kenntnisvolle Ausstellung mit dem Titel "Geschichte wird gemacht, Berlin am Kottbusser Tor - eine Ausstellung über vierzig Jahre Stadtsanierung und Protestbewegung in Kreuzberg" statt. Die Ausstellung ist sehenswert, das Thema (leider) aktuell. Noch immer ist es am so genannten Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) nicht zum Abschluss eines Mietvertrags mit dem Kaufhaus Kreuzberg gekommen. In der ersten Etage im hässlichen Vorbau dieses Steuerabschreibungsobjekts war bisher die Möbel Oase zu finden. Ein pfiffiges und erfahrenes Team um den ehemaligen SO36 Klub Betreiber Richard Stein hat dort nach dem Vorbild ähnlicher und erfolgreicher Häuser in Manchester oder Lissabon die Idee eines Messekaufhauses mit vielen kleinen schrulligen, alternativen und bunten Ständen entwickelt. Auch eine Bierterrasse soll es geben - eine genussvolle Vision. Zunächst erfolgversprechende Gespräche mit dem Eigentümer sind inzwischen zu einem regelrechten Alptraum geworden. Rechtsanwaltsschreiben gehen hin und her und sowohl Drohungen als auch Vermittlungsbemühungen gibt es noch und nöcher. Die Nebenkostenabrechnungen der Mieter stimmen übrigens auch nicht mehr und der Mieterbeirat beklagt sich bitter - auch deswegen gibt es Rechtsanwaltsschreiben. Vieles spricht dafür, dass die ‚wahrhaft graue Eminenz’ des Gebäudes, Rechtsanwalt Ackermann, die Insolvenz anstrebt, denn 2004 läuft die Wohnanschlussförderung aus und dann dürfte sich das alles sowieso nicht mehr tragen. Die Summe staatlicher Mittel, die bisher in diesen Bau geflossen sind, muss noch aufaddiert werden. Heute schuldet die NKZ GmbH & Co. KG der Investitionsbank Berlin (IBB) ungefähr 43 Mio. Euro.

Da es dem armen Eigentümer aber so schlecht geht, hat man im April noch mal schnell die Konditionen verändert, damit die Tilgung gestreckt und die Zinsen gemindert werden. Der Eigentümer dankt es mit erfolgreichem Leerstand. Wer durch die Häuser dort geht, blickt in gähnende Leere unvermieteter Läden. Warum lieber leer lassen, als z.B. an das Kaufhaus Kreuzberg vermieten? Weil sichtbar unvermietete Gewerberäume im Falle der Insolvenz billiger zu kaufen sind? Das sind die Fragen, die man dem SPD-Genossen Ackermann stellen muss. Gerissener Halunke am Tropf staatlicher Gelder, der still und heimlich den Konkurs vorbereitet, seine ins Trockene gebrachten Schäfchen dabei immer fest im Blick oder wahrhafter Visionär eines neuen NKZ? Aber wie neu? Wie visionär? Her mit den Konzepten, den Gestaltungsvorstellungen, dem privaten Risikokapital! Wer soll da rein, wer soll da raus? Und die IBB, aber auch andere, müssen sich fragen lassen: Wollt ihr da wirklich noch Geld reinstecken, für Umbauten und für "Attraktivierung", damit der Insolvenzerwerber auch noch schön von renovierten Ständen profitiert? Erst Inhalte, dann Diskussion, dann staatliches Geld, nicht alte Freundschaftsdienste auf Kosten der Allgemeinheit.

Stefan Zackenfels,
geb. 1965 in Offenbach/Main, studierte Wirtschaftswissenschaften in Paris und Boston.
Seit 1998 arbeitet er als selbständiger Steuerberater.
Er ist Mitglied der SPD mit diversen Funktionen, u.a. 1999 bis 2002 Vorsitzender der SPD Friedrichshain-Kreuzberg. Seit dem 29.11.2001 ist er Mitglied des Abgeordnetenhauses.