Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 300   Oktober 2003

Zwischen (Selbst-)Kritik und Selbstmitleid

Aktuelle Positionen zur Bürgerbeteiligung und Quartiersmanagement

Volker Eick

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat erneut einen über 320 Seiten umfassenden Hochglanzbericht zum Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" vorgelegt, der sich diesmal bemüht, auch problematische Seiten des Quartiersmanagements zur Sprache zu bringen.

Der Bericht fasst unter anderem die Ergebnisse einer Befragung von am Programm beteiligten Verwaltungsmitarbeitern zusammen: "'Verbesserte Beteiligungsmöglichkeiten für die Bewohnerschaft' sind mit Nennungen für 90% der Gebiete der wichtigste Erfolg, der aus Sicht der Verwaltung dem Programm zugeschrieben wird", heißt es in dem im Juni 2003 erschienenen Band. Doch, so schränken Heidede Becker und Rolf-Peter Löhr vom Difu ein, seien "aufgrund der vertieften Untersuchungen in den Modellgebieten Zweifel angebracht, inwieweit die Quartiersbevölkerung (...) wirklich erreicht wird". Zudem, so die AutorInnen weiter, "müssen Bemühungen um die Aktivierung der Quartiersbevölkerung offensichtlich noch weiter verstärkt und innovativer gestaltet werden. Manche Bevölkerungsgruppen sind kaum erreicht worden (Menschen mit Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslose, alte Menschen). (...) Teilweise bleiben Beteiligungsangebote und -strategien mittelschichtsorientiert".

Deutlich schärfer formuliert dies eine Gruppe von SozialwissenschaftlerInnen zur Praxis der Bürgerbeteiligung in einem Band, der sich mit Sozial- und Stadtteilarbeit sowie Quartiersmanagementgebieten beschäftigt und sich diese im Ruhrgebiet genauer angesehen hat: Die AutorInnen von "Soziale Stadt - Sozialraumentwicklung - Quartiersmanagement" schreiben dort, wenn auch über weite Strecken recht holprig, "Echte Bürgerbeteiligung steht zwar auf dem Papier, wird in (der) Praxis aber oft kaum oder alibihaft angewandt. Die Sonderinteressen von Teilgruppen der Stadtteilbewohner richten sich oft gegen andere Minderheitengruppen (jugendliche 'Störergruppen', Suchtabhängige und Ausländer), sie bezwecken oft deren Ausgrenzung/Vertreibung oder 'Nicht-Sichtbarkeit' im Stadtteilleben."

Widersprüchliche Angaben zu Erfolgen

In ihrer kürzlich veröffentlichten Doktorarbeit setzt sich die Soziologin Anja Stichs mit dem Sanierungsgebiet Köpenick-Oberschöneweide auseinander. Sie geht dabei der Frage nach, welche Implikationen der Erneuerungsprozess in einem "defizitären Wohngebiet" für die Bewohnerschaft hat und welche Rolle Beteiligungsmöglichkeiten der Quartiersbevölkerung spielen. Sie hebt dabei auf Informationsstände und Befragungen "von fast 460 Haushalten" ebenso ab, wie auf Veranstaltungen und die "institutionalisierte Betroffenenvertretung". Stichs, derzeit an der Universität Bielefeld tätig, kommt dabei weitgehend zu positiven Ergebnissen, fragt allerdings auch kaum nach etwaigen Konfliktlinien und Ausgrenzungsprozessen im Rahmen der professionalisierten Bürgerbeteiligung. Die Autorin behandelt nur am Rande das im Gebiet installierte Quartiersmanagement, dessen Rolle wird aber kritisch gewürdigt. Es müsse zumindest gefragt werden, ob die Quartiersmanager nicht "die Bemühungen von interessierten Bewohnern und Gewerbetreibenden, sich eigeninitiativ mit den gebietlichen Entwicklungen auseinander zu setzen und für Verbesserungen einzutreten, untergraben" haben, als sie deren Aktivierungskonzepte "aufgegriffen und professionalisiert" haben; Kritik, die insbesondere in der Anfangszeit des Quartiersmanagements von verschiedenen Seiten geäußert wurde.

Das Difu wiederum betont, dass die "überdurchschnittlich hoch ausgestatteten Quartiers- und Aktionsfonds in Berlin" für die Aktivitäten der Bewohnerschaft "kräftige Impulse" geben konnten. Allerdings zeige die Befragung der Verwaltungskräfte, dass "weiter Vorbehalte gegenüber der Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die lokale Ebene" bestünden und "Angst vor Machtverlust, was Blockaden und Rückfall in autoritäres Politikverständnis hat" herrsche - eine Feststellung, die verschiedene Quartiersmanager, wenn auch meist hinter vorgehaltener Hand, immer wieder bestätigen.

Keine Verbesserung der Lage in Sicht

Die AutorInnen von "Soziale Stadt - Sozialraumentwicklung - Quartiersmanagement" zeigen sich überzeugt, dass sich vor dem Hintergrund der zur Zeit verfügbaren Daten die Lage in den Städten der Bundesrepublik, aber auch in anderen europäischen Städten deutlich verschlechtern werde. Problematisch sei dabei insbesondere, dass die Verschärfung der "Sozialspaltung der Städte" damit einhergehe, dass "sich der Wohlfahrtsstaat immer weniger als ein aktiv kompensatorisch eingreifender Staat denn als Strippenzieher vielfältig agierender und sich selbst aus dem Sumpf ziehender zivilgesellschaftlicher Akteure sieht." Vor diesem Hintergrund stellen sie daher die "Ernsthaftigkeit, mit der politische und administrative Verantwortungsträger das Thema in Zukunft zu betreiben gedenken", in Frage.

Auch das Difu sieht mit der "weiteren Liberalisierung von Wohnungsmärkten und dem Abbau der Belegungsbindungen" die Gefahr, dass sich "die räumliche Konzentration belasteter Haushalte weiter verschärfen" wird und dass sich zukünftig "Konflikte, Konkurrenz und Fremdenfeindlichkeit verstärken" werden. Bestätigt wird auch die Einschätzung, dass der Staat nicht mehr Regie führt, "sondern weckt, aktiviert, motiviert", wie die Sozialwissenschaftlerin Erika Spiegel zustimmend zitiert wird. Klar sei insgesamt, dass eine "nachhaltige Verbesserung der Lebenslagen und

-perspektiven (...) mit dem gebietsbezogenen Ansatz kaum erreicht werden", aber ein verstetigtes und integriert handelndes Quartiersmanagement könne die Lage der Bewohnerschaft dann verbessern, wenn "der neue Politikansatz in Städten und Gemeinden offensiv praktiziert wird" und "die gebietsbezogene Politik von den notwendigen gesamtstaatlichen Reformen begleitet wird." Leider bleibt im Dunkeln, was sich das Difu unter "notwendigen gesamtstaatlichen Reformen" vorstellt; (vgl. aber unser Interview mit dem stellvertretenden Institutsleiter des Difu, Rolf-Peter Löhr). Was derzeit mit Hartz I bis IV und der Agenda 2010 auf uns zukommt, wird die Arbeit in den Quartieren wohl eher nicht erleichtern, den Umbau des Sozialstaats und die Ökonomisierung des Sozialen allerdings massiv vorantreiben.

Nachlese:
- Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) Strategien für die Soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven. Berlin, 2003: Selbstverlag, vergriffen (zum download im Internet unter: http://www.sozialestadt.de).
- Krummacher, M./Kulbach, R./Waltz, V./Wohlfahrt, N.: Soziale Stadt - Sozialraumentwicklung -Quartiersmanagement. Herausforderungen für Politik, Raumplanung und soziale Arbeit. Opladen, 2003:
Leske + Budrich, 279 S., 16,90 Euro. - Stichs, Anja: Wohngebietserneuerung unter Einbindung der Bewohner. Veränderungsprozesse in dem Berliner Sanierungsgebiet Köpenick-Oberschöneweide. Opladen, 2003: Leske + Budrich, 213 S., 24,90 Euro.