Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Bezahlbarer Wohnraum durch Genossenschaften

"Eine bessere Wohnform als das kanadische Genossenschaftsmodell ist kaum vorstellbar"

Interview mit Constance Carr

MieterEcho (ME): du bist seit vielen Jahren Mitglied verschiedener Basisinitiativen, die sich im sozialen Wohnungsbau engagieren und außerdem arbeitest du in diesem Feld auch als Wissenschaftlerin. Was sind aus deiner Sicht heute die zentralen Herausforderungen für MieterInnen in Kanada? Constance Carr (CC): In den letzten Jahren war ich in den aktuellen Auseinandersetzungen nicht sehr stark involviert, daher kann ich dir nur von den Herausforderungen berichten, die sich in den 1990er Jahren in Ontario ergeben haben. In Ontario hat sich sowohl die Bundes- also auch die Provinzregierung vom sozialen Wohnungsbau verabschiedet und insofern ihr neoliberales Politikkonzept voll durchgezogen. Insgesamt gesehen gibt es nach meinem Kenntnisstand auch keine Pläne ein Wohnungsprogramm wieder aufzulegen - weder in Ontario, noch auf Bundesebene.

ME: Und davon sind alle gleich betroffen?

CC: Nein, man muss unterscheiden. Ich selbst unterscheide zwischen 'Mietern', 'Konsumenten', 'Mitgliedern' und natürlich 'Hausbesitzern'. Letztere fallen unter die Kategorie "Erster Sektor". Mieter werden in zwei Kategorien unterteilt: Wenn sie mit einem privaten Hausbesitzer Verträge - die übrigens bestimmten Regularien ähnlich wie in der Bundesrepublik folgen - haben, werden sie als "Zweiter Sektor" klassifiziert. 'Mieter', die in städtischen Wohnungen leben, also bei denen der Staat der Vermieter ist, fallen unter die Kategorie "Dritter Sektor/Sozialer Wohnungsbau". 'Konsumenten' sind diejenigen, die vorübergehend in Unterkünften leben müssen, Dienstleistungen in Anspruch nehmen, aber kein garantiertes Wohnrecht haben. Auch sie fallen unter die Kategorie "Dritter Sektor/Sozialer Wohnungs- bau". Die einzigen Ausnahmen sind selbst organisierte Unterkünfte. 'Mieter' in Genossenschaften nennen sich selbst "Mitglieder" und fallen in die selbe Kategorie. Die Vermietungsregeln von Genossenschaften sind in Nutzungsvereinbarungen (Operating Agreements) festgehalten, die es in unterschiedlichen Ausfertigungen gibt. Genossenschaftsmitglieder zahlen keine Mieten, sondern monatliche Beiträge.

Grundsätzlich besteht das Problem darin, dass die Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen keinen ausreichenden Zugang zu bezahlbarem Wohnraum haben. Die Mieten sind, insbesondere in Toronto, exorbitant hoch, Mieterrechte gibt es de facto nicht und Kündigungsschutz ist praktisch ein Fremdwort. Die städtischen Wohnungen sind in der Regel in einem schlechten Zustand und stellen Ghettos der armen Bevölkerungsteile dar. Genossenschaften, soweit sie überhaupt freien Wohnraum anbieten können, sind nicht in der Lage, Wohnungen anzubieten, deren Miethöhe an das Einkommen gekoppelt (Rent-Geared-To-Income) werden kann. (siehe unten).

ME: Wie hat sich die Situation in Toronto seit Anfang der 1990er Jahre verändert? CC: 1992 hat die Bundesregierung begonnen, den sozialen Wohnungsbau abzuschaffen und die Verantwortung für dieses Wohnungsmarktsegment auf die Provinzen übertragen. In Ontario hat der damalige Gouverneur Mike Harris im Rahmen seiner neoliberalen Sozialreformen sämtliche sozialen Dienstleistungen sowie die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau dann einfach an die Distrikte weitergereicht. Aber weil viele Distrikte diesen Anforderungen überhaupt nicht gewachsen waren, verließen viele Niedrigverdiener ihre Wohnorte und zogen ins verhältnismäßig reiche Toronto. Du kannst dir sicher vorstellen, was dann los war: Der Druck auf den Wohnungsmarkt verstärkte sich so nochmals, und schon 1997 musste die Stadtregierung mehr als 350 Mio. Kanadische Dollar (ca. 222 Mio. Euro) allein für den kommunalen Sozialwohnungsbau aufbringen.

ME: Mit dieser Situation musstet ihr euch auseinander setzen. Was habt ihr gemacht?

CC: Alle Organisationen, die im Dritten Sektor des Wohnungsmarkts aktiv sind, haben sich mit diesen Problemen auseinandergesetzt, während gleichzeitig der Erste Sektor an Bedeutung gewann, was sich am massiven Wachstum des Speckgürtels um Toronto und den Umwandlungen von alten Industriegebäuden und ehemals besetzten Häusern in Eigentumswohnungen (Condo Boom) seit Mitte der 1990er Jahre zeigte. Zu dieser Zeit habe ich in einem Zentrum gearbeitet, das für Wohnungslose Tagesunterkunft, Essen und medizinische Betreuung anbietet. Dorthin können Alkoholiker, Drogenabhängige, psychisch Kranke, aber auch Trebekids, geräumte Hausbesetzer sowie Arbeitslose mit ihren Kindern kommen. Zeitgleich war ich für ein Nachbarschaftshaus tätig, das Schlafplätze für bis zu 80 Personen pro Nacht anbietet. Beide Einrichtungen waren die direkte Reaktion auf das Scheitern der Stadtregierung von Toronto langfristigen Wohnraum bereitstellen zu können. Was an Geld überhaupt zur Verfügung stand, ist in die Schaffung von Notunterkünften geflossen. Diese waren schlecht ausgestattet, zum Teil gefährlich und die Wohnverhältnisse insgesamt sehr unhygienisch. Aber es gab nicht mehr Geld, weil so viele Leute wie möglich untergebracht werden mussten. ME: du selbst hast in einer Genossenschaft gelebt?

CC: Ja, ich bin in der Woodsworth Wohngenossenschaft (Woodsworth Housing Co-op bzw. Co-operative) im Stadtteil "St. Lawrence Market" im Stadtzentrum von Toronto groß geworden. Wenn du den Film "Bowling for Columbine" von Michael Moore gesehen hast, dann hast du auch den Ort gesehen, wo ich aufgewachsen bin. Woodsworth wurde zu dieser Zeit noch je zur Hälfte vom Bund und von der Provinz finanziert. In den 20 Jahren, die ich da gewohnt habe, bin ich in verschiedenen Funktionen in unterschiedlichen Komitees tätig gewesen. 1997 bin ich als Vertreterin unserer Genossenschaft zum bundesweiten Treffen der Genossenschaften Kanadas entsandt worden. Dieses Treffen findet jährlich statt um Erfahrungen und Herausforderungen auszutauschen. In den 1990er Jahren stand die Woodsworth-Genossenschaft durch die Reduzierung der Fördermittel vor dem Problem, dass sie zunehmend weniger in der Lage war NiedrigverdienerInnen bezahlbaren Wohnraum anbieten zu können. Bis zur zweiten Hälfte der 1990er Jahre hatten wir noch Gelder von der Provinz Ontario erhalten. Diese wurden uns dann aber gestrichen und wir haben versucht einen internen Fonds aufzubauen um diese Kosten aufzufangen, aber natürlich war die Summe minimal.

ME: Wie stehst du vor diesem Hintergrund zur Genossenschaftsbewegung in Kanada?

CC: Als ehemalige Bewohnerin und Sozialwissenschaftlerin kann ich trotz der beschriebenen Probleme kaum eine bessere Wohnform als das kanadische Genossenschaftsmodell erkennen. Große Worte, ich weiß, aber während meiner Forschungen habe ich mehr als 200 Mitglieder in drei unterschiedlichen Genossenschaften interviewt und dabei festgestellt, dass 95% der Befragten meine Position teilen. Meiner Ansicht nach bieten Genossenschaften viele Vorteile: Genossenschaftsmitglieder sind ihre eigenen Vermieter. Mit der Gründung der Genossenschaft werden gemeinsame Entscheidungsstrukturen geschaffen und die Genossenschaft wird selbst verwaltet. Genossenschaften bieten für alle Wohnungssuchenden Wohnraum, wenn man von Genossenschaften absieht, die spezielle Gruppen bedienen; bspw. gibt es Genossenschaften speziell für alte Menschen, Körperbehinderte, aber auch für SpanierInnen oder ChinesInnen und Lesben und Schwule. Um Mitglied zu werden, muss man kein Kapital in die Genossenschaft einbringen und wer die Genossenschaft verlässt, zieht auch kein Kapital ab.

Genossenschaften bieten den MieterInnen Sicherheit: Zum einen gibt es keinen Hausbesitzer, der einen aus der Wohnung schmeißt. Selbst im schlimmsten Fall, wie dass der Genosse die Miete nicht zahlen kann, wird entweder von allen MieterInnen gemeinsam oder vom Vorstand ein Finanzierungsplan aufgestellt, der die Mietzahlung storniert. Ist der Vorstand der Meinung, der Mieter eigne sich auch zukünftig nicht zum Genossenschaftsmitglied, muss dieser Vorschlag der Vollversammlung unterbreitet werden, wo er dann gemeinsam diskutiert wird. In der Regel sind das sehr emotionale und schwierige Diskussionen, die aber regelmäßig damit enden, dass der betreffende Genosse bleiben kann.

ME: Wie entwickeln sich die Kosten und die Strukturen der MieterInnen?

CC: Im Verlauf der Jahre sind die niedrigen Mieten in Genossenschaftswohnungen im Vergleich zum Ersten oder Zweiten Sektor so attraktiv geworden, dass sich viele der mittlerweile erwachsenen Kinder entscheiden, nun ebenfalls in der Genossenschaft eine Wohnung zu suchen. In Woodsworth etwa gibt es z.B. sogar zwei Familien, die mit vier Generationen in der Genossenschaft leben: Vor 20 Jahren zog die erste Familie mit Kindern ein, später entschieden sich auch deren Eltern dafür ebenfalls in die Genossenschaft zu ziehen. Mittlerweile sind die Kinder erwachsen und haben selbst Kinder. In Woodsworth können alle Generationen in direkter Nachbarschaft wohnen. Das gibt es sonst eigentlich nur in Eigentümerhaushalten. Genossenschaften sind keine Ghettos (wie Michael Moore sagen würde) von Niedrigverdienern oder anderen so genannten 'benachteiligten' Gruppen. Vielmehr wohnen in Genossenschaften häufig Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund und verschiedenen Einkommen. In Woodsworth z.B. wohnen Rechtsanwälte, Unternehmensvorstände, Politiker, Lehrer, Facharbeiter genauso wie so genannte 'benachteiligte' Menschen wie Alleinerziehende, Prostituierte, Flüchtlinge und Arbeitslose. Bedeutsam scheint mir auch noch zu sein, dass wenn neue Genossenschaften im Stadtteil entstehen, mit ihnen tatsächlich das entsteht, was ich als 'nachhaltige Entwicklung' bezeichnen würde. Woodsworth gehört mit seinen 450 Mitgliedern zu den größten Genossenschaften Kanadas. Insgesamt leben in Kanada ca. 250.000 Menschen in etwa 90.000 Haushalten in Genossenschaften, davon in Ontario etwa 45.000 Haushalte. Mehr Details hierzu findet man auf unserer Homepage www.chfc.ca. Dort haben wir ein ungeheures Potenzial an Wissen und Erfahrung zusammengestellt. ME: Ist nicht das Geld, also die Miethöhe, eigentlich der zentrale Punkt? CC: Klar. Natürlich ist es eigentlich das Wichtigste, dass Genossenschaften bezahlbaren Wohnraum bieten. Dies kann auf zwei Wegen realisiert werden: Entweder durch von der Regierung geförderte Programme, wie etwa solche, die den Mietzins an das Einkommen knüpfen (siehe Kasten). Oder aber die Verwaltung der Genossenschaft schafft das aus eigener Kraft. Im Vergleich zum offiziellen Mietwohnungsmarkt bieten Genossenschaften relativ günstige Konditionen. Weil die Mieten nur einmal pro Jahr ansteigen müssen, um die Betriebskosten der Genossenschaft zu decken (das ist eine Steigerung von etwa 1,5% im Jahr), sinkt die Miete relativ im Vergleich zu den anderen Wohnungsmärkten, wo die Mieten stärker steigen. So hat z.B. eine Vierzimmer-Genossenschaftswohnung mit Garten in einem Reihenhaus 1979 etwa 600 Kanadische Dollar (380 Euro) Miete gekostet; das war zu der Zeit etwas mehr als die durchschnittlichen Mietkosten in Toronto. Im Jahr 2000 kostete diese Wohnung lediglich 900 Kanadische Dollar (571 Euro) Miete. Für dieses Geld lässt sich auf dem heutigen Markt in Toronto keine auch nur annähernd vergleichbare Wohnung mehr mieten. Heutzutage muss man für eine Ein-Zimmer-Wohnung schon diese Miete aufbringen ME: Wie finanzieren Genossenschaften den Bau von Wohnungen?

CC: Genossenschaften finanzieren den Wohnungsbau nicht selbst, sondern die Regierung leiht sich für die Wohnungsbauförderung Geld bei den Banken. Diese Fördergelder will die Regierung übrigens nun nicht mehr austeilen. Wenn Gebäude fertiggebaut und bezogen sind, also wenn die Genossenschaften 'laufen', zahlen sie dieses Geld an die Banken zurück. Die Details für solche Vereinbarungen werden in Verträgen (Operating Agreements) festgehalten und Woodsworth z.B. hat einen Vertrag mit einer 50-jährigen Laufzeit zur Zurückzahlung vereinbart. Wenn der Kredit zurückbezahlt ist, gehören die Genossenschaftswohnungen der Genossenschaft als Träger, nicht den Individuen. Vor diesem Hintergrund wird es interessant, denn die Genossenschaften sind - durch die Bank weg, wie ein deutsches Sprichwort sagt - noch zu jung, als dass sie schon alles an die Banken zurückbezahlt hätten. Bisher ist noch keine einzige an diesem Punkt angelangt. Zudem war es bisher so, dass die Regierung zusätzlich Gelder bewilligt hat, damit Genossenschaften auch ärmere Haushalte aufnehmen können (s.o.). Diese Gelder sind nun ebenfalls gestrichen.

ME: Welche Rolle spielen Genossenschaften bei aktuellen politischen Auseinandersetzungen und im Hinblick auf demokratische Entscheidungsprozesse insgesamt?

CC: Genossenschaften schaffen aus meiner Sicht Demokratie. Ja, sie schaffen sogar PolitikerInnen. Man sagt, dass Genossenschaftsmitglieder die Vorteile demokratischer Beteiligung auf sehr direktem und persönlichem Weg schätzen lernen, unabhängig davon, ob es sich um das Anlegen von Gemeinschaftsgärten oder Kompostieranlagen oder um das gemeinsame Budget handelt, aus dem die verschiedensten Dinge finanziert werden wie z.B. Saunen, Laubengänge, Fitnessräume, neue Herde, Kühlschränke, Fenster, Heizkessel, neue Fußböden oder auch Stipendien für junge Schriftsteller oder Pflegekräfte für Ältere. Auf Grund dieser persönlichen Erfahrungen hat sich gezeigt, dass Genossenschaftsmitglieder auch eher als andere MieterInnen bereit sind, sich in darüber hinaus gehenden politischen Fragen zu engagieren, wie dies unlängst Professor Jack Craig von der York University of Toronto herausgefunden hat. Darüber hinaus ist durchschnittlich auch ihre Wahlbeteiligung höher, was den kanadischen Politikern durchaus bekannt ist.

ME: Das ist jetzt ein Plädoyer fürs Wählen?

CC: Darum geht es mir nicht zwingend, aber erstens führen diese Erfahrungen von Genossenschaften dazu, dass Einladungen zu deren Treffen von Politikern so gut wie nie abgelehnt werden. Zweitens ist Kanada in ca. 200 Wahlkreise (Ridings) aufgeteilt, die jeweils einen Repräsentanten in das Abgeordnetenhaus (House of Commons) entsenden. Der in Ontario liegende Rosedale Wahlkreis ist der Bezirk Kanadas mit der höchsten Dichte an Wohngenossenschaften, so dass sich Genos- senschaften zu einem spezifischen Thema zusammenschließen und Politiker zum Handeln zwingen können: Zugegebenermaßen handelt es sich dabei zumeist um Themen, die sich um das Thema Wohnen drehen. Aber wenn ein Politiker sich nicht an seinen Wählern orientiert, dann kann das sein Ende bedeuten und - anders als bei euch in der BRD - wird er nicht bis an sein Lebensende weiter bezahlt.

ME: Und was ist mit der CHFC?

CC: Die Co-operative Housing Federation of Canada (CHFC), also die Föderation der Genossenschaften in Kanada, ist die zentrale Lobby-Organisation der Genossenschaften. Sie repräsentiert zahlreiche MieterInneninitiativen und gibt zu verschiedenen Themen Stellungnahmen ab mit dem Ziel, dass diese Themen im Parlament behandelt werden. Mit diesen Mobilisierungen ist es der CHFC beispielsweise gelungen, die finanzielle Förderung des Bunds für einen Teil der Genossenschaften zu erhalten. Da sie eine Nonprofitorganisation ist, kann sie als Trägergesellschaft die finanziellen Mittel dieser verbliebenen Förderprogramme verwalten. Einerseits reduziert dies die Kosten für die Regierung, andererseits kann die CHFC die bestehenden Genossenschaften vor z.B. Privatisierungen schützen.

ME: Was sind die zentralen Herausforderungen, auf die aus deiner Sicht die kanadische Genossenschaftsbewegung reagieren muss?

CC: Es führt, denke ich, kein Weg daran vorbei, dass die mittleren und niedrigen Einkommensgruppen sich organisieren müssen, so dass sie bezahlbaren Wohnraum durchsetzen können. Bezahlbaren Wohnraum und nicht nur vorübergehende Unterkunft brauchen auch all diejenigen, die ich 'Konsumenten' genannt habe und andere Gruppen, die aus dem neoliberalen Wohnungsmarkt ausgestoßen worden sind. Für die Genossenschaftsbewegung sehe ich die größte Herausforderung darin, ihre Strukturen nicht nur zu stabilisieren, obwohl das gerade für die neuen Genossenschaften auf Provinzebene von herausragender Bedeutung ist, sondern in aktive Auseinandersetzung mit der Regierung zu treten. Die Voraussetzungen dafür sind nicht so schlecht, denn ohne Übertreibung kann den jeweiligen Regierungen klar gemacht werden, dass zumindest mit dem kanadischen Genossenschaftssystem auch aus Regierungsperspektive eine Win-Win-Situation - also eine Situation, von der beide Seiten profitieren, verbunden ist.

ME: Constance Carr, wir danken für dieses Gespräch.

Das Interview führte Volker Eick.

Constance Carr wurde 1970 in Kanada geboren und wuchs in Toronto auf. Sie war zwischen 1998 und 1999 Vorsitzende der Woodsworth Wohngenossenschaft in Toronto/Kanada und ist seit Jahren in verschiedenen Basisinitiativen in Kanada und der Bundesrepublik aktiv. Zur Zeit ist sie Doktorandin an der Humboldt Universität in Berlin und arbeitet zur politischen Ökonomie des Wohnungsmarkts. Einkommensabhängige Mieten (Rent-Geared-To-Income/ RGI): Um Wohnungen für NiedrigverdienerInnen bereitstellen zu können, förderte die Regierung mit dem RGI-Programm Genossenschaften, damit diese Wohnungen anbieten konnten, bei denen der monatliche Beitrag an das Einkommen des Genossen angepasst war. Je niedriger das Einkommen, desto niedriger war der Beitrag. Die Wohnungen standen entweder neuen Mitgliedern zur Verfügung oder sie konnten von langjährigen Genossen, die in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, in Anspruch genommen werden. Das Ziel war dabei nicht nur die Wohnraumversorgung allein, sondern auch die Integration von 'benachteiligten' Gruppen in die Mittelklasse, wodurch eine 'Ghettobildung' vermieden werden sollte. Nach dem Auslaufen bzw. der Abschaffung der Förderprogramme konnten die Genossenschaften diese vergleichsweise kostengünstigen Wohnungen mit den einkommensabhängigen Mieten nicht mehr anbieten.