Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Genossenschaft in Not

Märkische Baugenossenschaft weiterhin von Insolvenz bedroht

Joachim Oellerich

Am 30.06.2003 hat die jährliche Mitgliederversammlung der Märkischen Baugenossenschaft stattgefunden. Kein freudiges Ereignis, die Lage der Genossenschaft ist noch immer sehr kritisch (siehe MieterEcho Nr. 294), entsprechend gedrückt war die Stimmung der 243 Genossen und so verweigerten sie dem jetzigen Vorstand und dem Aufsichtsrat die Entlastung. Eine etwas späte und womöglich gegen die falschen Personen gerichtete Maßnahme.

Jahrelang - eher jahrzehntelang - hatte der Diplom-Politologe und Hauptmann a.D. Diethard Hasler die Genossenschaft geführt. Der rechtspopulistische Dreck, den er in seinen Jahresberichten über die Genossen auskübelte, verhalf ihm 1995 als bisher einzigem Berliner Genossenschaftsvorsitzenden zu einer Erwähnung in der "Chronologie antisemitischer Vorfälle". Eine Entlastung* durch die Mitgliederversammlung der Genossen wurde ihm aus diesem Grund aber seinerzeit ebenso wenig verweigert, wie wegen seiner hochspekulativen Geschäftspolitik. 1993 erwarb die Märkische unter seinem Vorsitz ein Grundstück jenseits der Grenzen Berlins in Glienicke und errichtete darauf eine Wohnanlage (inkl. üppigem Gewerbeanteil), für die kostendeckende Wohnungsmieten von über 30 DM/ qm kalkuliert wurden.

Die Nachfrage nach den teuren Wohnungen im Brandenburgischen hielt sich verständlicherweise in Grenzen und Gewerbemieter fanden dort lediglich einen Standort, an dem sie ihrer Pleite entgegen dösen konnten. Kurzum: das Unternehmen erwies sich als ein für die Genossenschaft katastrophaler Flop und droht sie nun in die Pleite zu ziehen. Warum sich eine sozialen Zielstellungen verpflichtete Genossenschaft berufen fühlt, die gemutmaßte Wohnungsnachfrage von Besserverdienenden zu bedienen, wurde nie diskutiert, auch nicht auf der diesjährigen Mitgliederversammlung. Ex-Vorstand Hasler, dem nicht die Genossen, sondern die kreditgebenden Banken das Vertrauen und damit auch das Amt entzogen hatten (wofür die Genossen den Banken Dank schulden), versuchte sich als Opfer der skandalträchtigen Bankgesellschaft darzustellen und bewies nur einmal mehr einen deutlich getrübten Realitätssinn. Die Genossen waren peinlich berührt. Sowohl in finanzieller als auch ideologischer Hinsicht muss die Genossenschaft ihre Vergangenheit bewältigen. Wir wünschen - bei allem Zweifel - viel Erfolg und wenden uns prophylaktisch den Folgen einer von Insolvenz bedrohten Genossenschaft zu. Die Mitglieder einer Genossenschaft sind Eigentümer und Mieter zugleich und auch wenn die Eigentümerrechte praktisch an den Vorstand abgetreten werden, verbleibt den Genossen die Haftung.

Haftung und Nachschusspflicht

"Für Verbindlichkeiten der Genossenschaft haftet den Gläubigern nur das Vermögen der Genossenschaft", sagt der § 2 des Genossenschaftsgesetzes (GenG). Zu dem Vermögen der Genossenschaft gehört das durch die Genossen in Form der Geschäftsanteile eingezahlte Eigenkapital. Geschäftsanteile sind den Aktien einer Aktiengesellschaft vergleichbar, jedoch können die Mitglieder einer Genossenschaft - und das unterscheidet sie u.a. von den Aktionären - im Falle eines Konkurses zu Nachschussleistungen verpflichtet werden.

Der § 6 GenG verlangt von der Satzung einer Genossenschaft zwingend: "Bestimmungen darüber, ob die Genossen für den Fall, dass die Gläubiger im Insolvenzfall nicht befriedigt werden, Nachschüsse zur Insolvenzmasse unbeschränkt, beschränkt auf eine bestimmte Summe (Haftsumme) oder überhaupt nicht zu leisten haben." Eine Genossenschaft hat also drei Gestaltungsmöglichkeiten:

  1. Die Satzung kann eine unbeschränkte Nachschusspflicht der Mitglieder vorschreiben.
  2. Sie kann die Haftung auf eine bestimmte Haftsumme beschränken. Diese darf allerdings nicht niedriger sein als ein Geschäftsanteil. Wenn ein Genosse mit mehr als einem Geschäftsanteil beteiligt ist, kann die Haftsumme auf einen Geschäftsanteil beschränkt werden.
  3. Die Satzung kann die Nachschusspflicht völlig ausschließen.

Die Satzung der Märkischen bestimmt im § 19: "Die Mitglieder haften der Genossenschaft mit den übernommenen Geschäftsanteilen. Sie haben beschränkt auf die Haftsumme Nachschüsse zur Konkursmasse zu leisten." Man könnte sagen, jedem Geschäftsanteil haftet als dunkle Seite die Verpflichtung an, im Falle der Insolvenz (und übrigens nur in diesem Fall) noch einmal so viel, wie er selbst gekostet hat, nachzuschießen. Über die Anzahl der Geschäftsanteile sagt die Satzung: "Jedes Mitglied verpflichtet sich, soviel Anteile zu übernehmen, wie zum Zeitpunkt seines Eintritts durch vorherigen Beschluss des Aufsichtsrats von ihm gefordert wird." Eine Ermächtigung des Aufsichtsrats, die Höhe der Einlagen von neueintretenden Genossen zu bestimmen, ist ungewöhnlich. Sie findet sich weder in den Satzungen anderer Baugenossenschaften noch im Gesetz. Solche Festlegungen durch den Aufsichtsrat schränken nicht nur den Entscheidungsraum der Mitglieder/Vertreterversammlung ein, sondern bergen auch die Gefahr, dass betriebswirtschaftliche Überlegungen völlig unangemessen die Aufnahmekriterien bestimmen. Wird Geld gebraucht, erhöht man die Zahl der zu übernehmenden Geschäftsanteile, droht Leerstand, senkt man sie. Genossenschaftliche Prinzipien der Gleichheit und der Demokratie spielen dabei in keinem Fall eine Rolle. Ein solches Verhalten wäre bei einem kommerziellen Anbieter selbstverständlich, aber nicht in einer Genossenschaft. Und nach kommerziellen Überlegungen ist auch in der Märkischen Baugenossenschaft verfahren worden. Mit Hasler im Vorstand hatte man keine Skrupel, zur Deckung der spekulativen Geschäfte 15 Geschäftsanteile à 400 DM (insgesamt 6000 DM) von eintretenden Genossen zu verlangen. Ihnen droht jetzt eine Nachschussverpflichtung in gleicher Höhe. Inzwischen ist die Anzahl der notwendigen Anteile gesenkt worden. Wer jetzt eintritt, muss nur noch vier Anteile zu insgesamt ca. 800 Euro übernehmen und im Bedarfsfall nachschießen. Viele Genossen wollen die Genossenschaft verlassen. Ihre Geschäftsanteile sind zwar faktisch wertlos, bei einer Auseinandersetzung hätten sie keine Rückerstattung zu erwarten, aber sie hoffen die Nachschussgefahr zu vermeiden.

(Dauer)Nutzungsvertrag oder Mietvertrag

Wohnungsbaugenossenschaften nennen die Verträge, die sie mit ihren Mitgliedern über die Überlassung von Wohnraum abschließen in der Regel nicht Mietverträge sondern (Dauer)Nutzungsverträge. Zu ihrer rechtlichen Bewertung hat das hat das OLG Karlsruhe ausgeführt: "Den wesentlichen Inhalt dieses Vertrags bildet die entgeltliche Überlassung von Wohnraum. Der gesamte Vertrag ist im wesentlichen genauso gestaltet wie jeder gewöhnliche Wohnraummietvertrag. Die abweichende Terminologie hinsichtlich seiner Bezeichnung hat keine rechtliche Bedeutung. (...) Die einzige grundlegende Abweichung von einem gewöhnlichen Wohnraummietvertrag liegt in der Bindung des Nutzungsrechts an die Mitgliedschaft in der Genossenschaft. (...) Diese Abrede (...) gibt dem Vertrag jedoch kein Gepräge, das ihn grundlegend von einem Mietverhältnis unterscheidet. Maßgebend für den Rechtscharakter eines Vertrags ist der seine Grundlage bildende Leistungsinhalt. Der Nutzungsvertrag begründet aber ausschließlich schuldrechtliche, für ein Mietverhältnis typische Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern." (OLG Karlsruhe [RE] WuM 1985,78).

Kurzum: Der Vertrag zwischen einer Genossenschaft und den Genossen ist ein Mietvertrag und für ihn gilt das Mietrecht, auch wenn er Nutzungsvertrag genannt wird. "Die einzige grundlegende Abweichung", von der im Rechtsentscheid gesprochen wird, "die Bindung des Nutzungsrechts an die Mitgliedschaft in der Genossenschaft", ist ebenfalls nicht außerhalb der mietrechtlichen Systematik angesiedelt.

Der § 573 des BGB regelt die ordentliche Kündigung der Vermieters:
"(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. (...)
(2) Ein besonderes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, (...)" wenn - verkürzt wiedergegeben:

Während es kommerzielle Vermieter in der Regel schwer haben, ein "berechtigtes Interesse" neben den gesondert aufgeführten Kündigungsgründen geltend zu machen, kann sich eine Genossenschaft bei beendeter Mitgliedschaft mitunter darauf berufen, dass Bedarf anderer Genossenschaftsmitglieder an der Wohnung besteht. Jedoch ist das Mietverhältnis nicht nur ein Anhängsel der Mitgliedschaft und endet nicht automatisch mit ihrer Auflösung. Wer die Genossenschaftsmitgliedschaft gekündigt hat, kündigt damit noch lange nicht die Wohnung. Manch ein Genossenschaftsvorstand mag zwar durchaus ein Interesse daran haben, gekündigten Mitgliedern die Wohnung zu entziehen, doch solches Interesse ist alles andere als "berechtigt". Die ehemaligen Genossen sind durch das Mietrecht ebenso geschützt wie andere Mieter. Der Unterschied besteht nur darin, dass ihr Vermieter als "berechtigtes Interesse" einen - quasi - "genossenschaftlichen Eigenbedarf" geltend machen kann, wenn andere Genossenschaftsmitglieder einen Bedarf an einer Wohnung haben und für sie keine andere zur Verfügung steht. Auch dann gelten die Regeln des Mietrechts weiterhin. Die Gründe sind in dem Kündigungsschreiben anzugeben und gegebenenfalls vor Gericht nachzuweisen. Dass die gesetzlichen Kündigungsfristen gelten, versteht sich von selbst.

Galten im 19. Jh. die Genossenschaften als soziale Einrichtungen, so sind ihre Errungenschaften inzwischen vom Mietrecht deutlich überholt worden und schützen jetzt auch die Genossen. Die Mitglieder der Märkischen Baugenossenschaft sind dabei, diese Erfahrung zu machen.

*) Am Ende des Geschäftsjahrs oder auch am Ende der Amtszeit wird üblicherweise der Vorstand durch die Mitglieder entlastet. Durch die Entlastung verzichtet der Verein auf die Geltendmachung von Schäden, die ihm in dem betreffenden Zeitraum durch Handlungen des Vorstands entstanden sind oder entstanden sein könnten. Dies betrifft ausschließlich diejenigen Schadenersatzansprüche, die bei Ausspruch der Enlastung der Mitgliederversammlung bekannt waren oder bei Prüfung der Unterlagen hätten bekannt sein können.