Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 298   Juli 2003

NACHRUF

Bernd Holtfreter stand für den kurzen Aufschwung der Ostberliner Mieterbewegung

Peter Nowak

Anfang Mai starb nach schwerer Krankheit der wohnungspolitische Sprecher der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus Bernd Holtfreter. Mit seinem Namen ist die kurze Phase des Ostberliner Mieterwiderstands Anfang der 1990er Jahre verbunden.

Auf der größten Demonstration zogen im Sommer 1992 mehr als 20.000 Menschen vom Alexander- zum Wittenbergplatz. Diese Aktion unterschied sich in vielerlei Hinsicht von ähnlichen Protestaktionen, wie sie in Berlin vorher und nachher immer wieder stattfanden. Das drückte schon die Wahl der Route aus: es war die erste soziale Bewegung, die im Wesentlichen vom Ostteil der Stadt ausgegangen war. 1992 hatte der kapitalistische Alltag in den Ostbezirken Berlins endgültig Einzug gehalten. Berlin war Hauptstadt geworden und die wilden Jahre nach der Wende waren endgültig vorbei. Die Politik der Runden Tische gehörte der Vergangenheit an. Alteigentümer und Neukapitalisten aus dem Westen sorgten für Verunsicherung bei den Ostmietern. Existenzangst machte sich breit. An Kneipentischen wie in Mieterberatungsstellen wurde immer öfter davon geredet, dass man eigentlich auf die Straße gehen müsste. Aber kaum niemand hielt eine große Mobilisierung tatsächlich für möglich. Deswegen waren neben den Medien auch die Organisatoren selbst über die Resonanz auf ihren Aufruf erstaunt.

"Wir bleiben alle"

Drei Wörter waren es, die damals Tausende mobilisierten: "Wir bleiben alle“ (WBA). Das Kürzel sollte bald viele Häuserwände in allen Teilen Berlins zieren. Doch nur im Osten wird man den Ursprung der drei Buchstaben begriffen haben. In der DDR stand die Abkürzung WBA für Wohnbezirksausschuss. Es war ein Organ mit Doppelcharakter: ein Stück nationale Front auf Häuserebene oder eine Rätestruktur, auf der die Belange der Bewohner zur Sprache kommen konnten. Der linke DDR-Kritiker Holtfreter nutzte den WBA im letzteren Sinn. Er ließ sich zum Vorsitzenden des WBA in der Oderbergerstraße wählen und verhinderte den Mitte der 1980er Jahre den Abriss vieler der Gründerzeithäuser und des Hirschhofs, auf dem neben viel Wiese und alten Bäumen auch eine alte Bühne für Theateraufführungen vor der Vernichtung gerettet wurde. Die erfolgreichen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht Ost hatte die Bewohner in der Straße und der Umgebung zusammengeschweißt. Die Menschen im Kiez machten auch nach dem Umbruch von 1989 schnell deutlich, dass sie vor den neuen Herren nicht klein beigeben wollten. Der WBA hatte sich innerhalb kurzer Zeit auf die neuen Verhältnisse eingestellt und begann den Protest zu organisieren, während in anderen Teilen Berlins und der ehemaligen DDR noch Rat- und Hilflosigkeit herrschte. Der WBA in der Oderbergerstraße hatte so für kurze Zeit eine Vorbildfunktion und Holtfreter verstand es, die Anliegen in die Medien zu bringen. Die Bezeichnung Kiezfürst verstand er durchaus als Kompliment.

Doch oft geriet dabei in Vergessenheit, dass hinter dem WBA und seinen Erfolgen viele namenlose Menschen standen, die mobilisierten, plakatierten und Überzeugungsarbeit leisteten. Das sollte der Bewegung bald auf die Füße fallen. Denn der erhoffte Massenwiderstand auf dem Mietersektor blieb aus. Je häufiger das Kürzel WBA zu sehen war, desto weniger ließ sich damit mobilisieren. Schon 1995 war der WBA-Oderbergerstraße geschrumpft und in sich zerstritten. Die Auseinandersetzungen wurden anlässlich von Holtfreters Kandidatur für das Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 1995 sogar öffentlich ausgetragen. "Wählt diesen Mann, dann sind wir ihn endlich los“, stand unter einem kleinen Schwarz-Weiss-Plakat unter Holtfreters Konterfei. Ein Teil seiner ehemaligen politischen Freunde sah in ihm den Hauptverantwortlichen für den schnellen Niedergang des WBA. Holtfreter wehrte sich immer dagegen. Doch zu einer tieferen Analyse des kurzen Mieterwiderstands kam es bei beiden Kontrahenten nicht. (Siehe MieterEcho Nr. 291/2002, P.N.) Im Rückblick von mehr als zehn Jahren muss man die Proteste als letztes Aufbäumen der linken DDR-Opposition gegen die neuen kapitalistischen Verhältnisse interpretieren. Danach war die DDR-Opposition nur noch im Zusammenhang mit der Stasi-Aufarbeitung in den Medien ein Thema. Als Faktor des Widerstands hingegen fiel sie weitgehend aus.

Die WBA-Bewegung wurde schließlich selbst zum Opfer der Mechanismen, gegen die sie ankämpfte. Die Umstrukturierung hat die Oderbergerstraße ab Mitte der 1990er Jahre so richtig erfasst. Auch ein Großteil des harten Kerns der WBA-Aktivisten konnte dem Druck nicht mehr standhalten und zog weg. Ebenso trachtete ein Großteil der Mieter den Modernisierungsmaßnahmen durch Wegzug auszuweichen und beteiligte sich nicht mehr an den Protesten.

Ob sich der Niedergang durch eine andere Politik des WBA hätte aufhalten lassen, ist fraglich. Tatsächlich ist aber festzustellen, dass es kaum gelang, Zugezogene aus dem Westen in die Organisationsarbeit einzubinden. Das war fatal in einer Zeit, wo die Spaltungslinien auch in den Ostbezirken bald nicht mehr nur zwischen Westeigentümern und Ostmietern verliefen. Nicht wenige Westberliner, die kurz nach der Wende wegen der erschwinglicheren Mieten in den Osten zogen, waren ebenso von der neuen Entwicklung betroffen. Hier wurden ganz entschieden falsche Fronten aufgebaut.

Zu dieser Zeit hatte Holtfreter schon längst mit dem Kapitel WBA abgeschlossen.

Kampf gegen Verdrängung

Als Parlamentarier war er wohnungspolitischer Sprecher der Berliner PDS. Der TAZ-Mietenexperte und Kenner der WBA-Szene Uwe Rada hat dem ehemaligen Kiezaktivisten bescheinigt, sich bis zum Schluss "für die Belange der Mieter“ eingesetzt zu haben.

Einmal noch trat Holtfreter vor wenigen Monaten an die Öffentlichkeit. Es ging um die erfolgreiche Gründung einer Genossenschaft, die das alte Bad in der Oderbergerstraße vor dem Abriss und der Privatisierung bewahren sollte. Es war eines jener Projekte, die Holtfreter zunächst im Rahmen des WBA, später allein unbeirrt verfolgte. Doch selbst der scheinbar späte Sieg muss mit Fragezeichen versehen werden. Denn aus dem Projekt "Stadtbad für Alle“ ist jetzt ein Kulturbad für die im Kiez neu entstandene Mittelschicht geworden. Anfang der 1990er Jahre war noch die Bereitstellung von billigen Duschen für die Anwohner ohne eigenes Bad in dem Neubau geplant. Heute geht die Diskussion um Kultur, Event und Spaß. So könnte das Bad am Ende die sowieso schon weit fortgeschrittene Verdrängung ärmerer Teile der Bevölkerung noch forcieren.

Genau dagegen haben die WBA und Holtfreter aber immer gekämpft.

Bernd HoltfreterAm 29.04.1951 in Rostock geboren, ab 1970 in Berlin. Beruf: Landvermesser. 2 Kinder.

Seit Anfang 1980er in der Bürgerinitiative Hirschhof tätig, 1987 zum WBA-Vorsitzenden gewählt. 1991 Neugründung des WBA als Initiative "Wir Bleiben Alle“. Als Parteiloser für die PDS 1995 und 1999 direkt in das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Dort baupolitischer Sprecher der Fraktion und Mitglied im Untersuchungsausschuss Bankgesellschaft Berlin. Im Wahlkreis aktiv in der Betroffenenvertretung Teutoburger Platz und im Sanierungsbeirat, im Genossenschaftsbeirat Bremer Höhe und im Vorstand der Genossenschaft Stadtbad.

Er starb am 04.05.2003.