Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 294/ 2002

Marsch durchs Unterholz

Brief von Cornelia Köster zum MieterEcho Nr. 293

Mit meinem Beitrag "Kampf den Bemessungsgrenzen. Höchstbeträge, Richtflächen, Existenzminimum - aus der Praxis der sozialen Marktwirtschaft" für das MieterEcho Nr. 293, der stark gekürzt unter der Überschrift "Widerspruch in sich" erschienen ist, sollten die Katakomben unseres Sozialstaats ausgeleuchtet werden. Mit der Zusammenschau der verschiedenen Beträge aus Wohngeld-, Sozialhilfe- und Steuerrecht im Vergleich zu den statistischen Durchschnittsgrößen wollte ich darüber aufklären, was der Staat einem hierzulande an Mindeststandards zugesteht. Aufgrund der redaktionellen Kürzung ist von der beabsichtigten Synopse kaum was geblieben. Ebenso sollte deutlich werden, dass die einzelnen Beträge nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Schlussfolgerung sollte jeder selbst ziehen, nämlich dass diejenigen, die sich hierzulande "ganz unten" befinden, mit verschiedenen fiktiven Sätzen immer noch weiter heruntergeschraubt werden.

Der Artikel sollte erstmals in das Dickicht der verschiedenen Orts geltenden Bemessungsgrenzen einführen und einen Marsch durchs Unterholz des sog. Sozialstaats antreten. Da ich festgestellt habe, dass über diese Problematik so gut wie keine Publizität besteht, sah ich mich veranlasst, Grundlagenforschung zu betreiben - mit der unerquicklichen Folge, sämtliches Zahlenmaterial mitzuliefern.

Da von der jetzt wiedergewählten Regierung zu erwarten ist, dass sie die jahrelang betriebene wirklichkeitsferne Herabstufung der Existenzsicherungssätze weiter fortsetzen wird, sollte mit der Offenlegung der dazugehörigen Bestimmungen das Material an die Hand gegeben werden, wogegen es zu streiten gilt. Der Sozialstaat verteidigt sich nicht von selber. Dass diejenigen, die in ihm zerrieben werden sollen, meist nicht genügend Kraft haben, sich zu wehren, ist bekannt. Darum sollten, indem hierzu die Zahlen vorliegen, sich auch diejenigen angesprochen fühlen, die das Glück haben, nicht von Bemessungsgrenzen eingekeilt zu sein.

Dass der überlange Artikel jetzt den redaktionellen Bemessungsgrenzen des MieterEchos zum Opfer fiel, mag wie eine ironische Wendung aufs ungeliebte Thema wirken. Die Beschäftigung mit Bemessungsgrenzen ist alles andere als lustvoll, es handelt sich, keine Frage, um ein knochentrockenes Sujet. Dass das Unterholz nicht noch weiter ausdörrt (auf dass es umso besser abgebrannt werden kann), vielmehr betrachtet, aussortiert und abgetragen gehört, damit anschließend neu aufgeforstet werden kann: zu dieser bodenständigen Bestandspflegearbeit wollte ich aufrufen. Mehr Förster braucht das Land!