MieterEcho
Nr. 290 - Mai 2002

Docklands an der Spree

 

 

Christoph Villinger

Zwischen Kreuzberg und Friedrichshain entsteht ein riesiges Medienquartier - doch ob alles was geplant ist, auch gebaut wird, steht in den Sternen

Wie Diamanten glitzern die Gebäude im Wasser. So stellt sich zumindest Gernot Moegelin, Geschäftsführer der KapHag AG und Mitglied der Standort-Entwicklungsgesellschaft "Media Spree", das "zentrale Berliner Medien- und Dienstleistungsviertel" in seinen Träumen vor. Der "Ankerplatz Zukunft" soll sich auf zwei Kilometer Länge entlang der Spree von der Jannowitzbrücke im Westen bis hinter die Oberbaumbrücke im Osten zwischen Kreuzberg und Friedrichshain erstrecken.

Das Gebiet umfasst 120 Hektar Grundfläche, immerhin das Achtfache des Potsdamer Platzes. Mindestens neun verschiedene Investoren wollen in den kommenden Jahren die Industriebranchen, auf denen sich in den letzten Jahren ein reges Kultur- und Clubleben entwickelte, bebauen. Allein die sechs Unternehmen, die sich zur besseren Vermarktung als "Media Spree" (www.media-spree.de) zusammengeschlossen haben, planen 1,3 Mio. qm Büroflächen, Läden, Lofts und Wohnungen. 2,5 Mrd. Euro wollen sie investieren und versprechen 30.000 neue Arbeitsplätze.

Abwicklung an der Spree
Diese Träume sehen bei einer Schlauchbootfahrt ab der Jannowitzbrücke Richtung Osten ungefähr wie folgt aus. Am Nordufer, gleich nach der Michaelbrücke, das "spreeurban" der Berliner Stadtreinigungsbetriebe, angepriesen als ein "urbanes Quartier mit Läden, Gastronomie, Büros, Hotels und Wohnungen direkt an der Spree." Daran schließt sich das "spreesinus" der KapHag AG an, "ein Ensemble mit Panoramablick an der Spree, bestehend aus einem Hauptgebäude als Büro- und Dienstleistungszentrum und einem Wohnturm". Das vom Architekten des Bundeskanzleramtes, Axel Schultes, entworfene "Signature-Building" erhebt sich mit einer eiskalten wellenförmigen Glasfassade aus der Spree. Der kleine Jachthafen vor dem Haus zeigt, an welche Art von Bewohner hier gedacht wird. Bis zur Schillingbrücke folgt noch das bereits gebaute Ibis-Hotel mit etlichen seit einem Jahr unverkäuflichen "Traumwohnungen".
Am Südufer möchten die HochTief AG und die Kilian Projektmanagement Berlin GmbH den "spreeport" entwickeln, "ein urbanes Quartier zum Arbeiten, Leben und Wohnen mit maritimen Charakter". Konkret wurde vor wenigen Wochen begonnen, Teile des riesigen Geländes baufrei zu machen. Deshalb ist auch bald mit der Räumung der direkt am Spreeufer angesiedelten Wagenburg "Schwarzer Kanal" zu rechnen. Denn bis 2004 soll die hier geplante neue Bundeszentrale der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bezugsfertig sein.
Nachdem man die Schillingbrücke passiert hat, sieht man am Nordufer vor dem Hintergrund des Ostbahnhofs, den Rohbau des EnergieForumBerlin. Bis zum November 2002 soll es fertiggestellt sein. In dem futuristisch anmutenden Gebäudekomplex will die R+V-Versicherung als Bauherr "die wichtigsten Unternehmen, Institutionen und Verbände, die im Bereich der alternativen und regenerativen Energien tätig sind unter einem Dach vereinen". Nur 20 % des Gebäudes sollen bisher vermietet sein. Schräg dahinter beginnt das "Postareal am Ostbahnhof", garniert von zwei Hochhäusern, über deren Höhe zwischen 118 und 70 Metern zur Zeit noch gestritten wird. Mit den bekannten Worten wird auch hier "ein neues Stadtquartier für Bürodienstleistungen, kreative Unternehmen, Wohnen, Hotel, Freizeit, Gastronomie und Einzelhandel in urbaner Nutzungsvielfalt" angepriesen. Dem dort beheimate Club "Maria am Ostbahnhof" ist schon lange gekündigt, das "Tempodrom" ist umgezogen und trotzdem ist von einem Baubeginn noch nichts bekannt.
Löcher im Denkmalschutz
Anders ist dies bei dem sich anschließenden Gelände des US-amerikanischen Unterhaltungskonzerns Anschutz Entertainment Group (AEG), das fast bis zur Höhe der Oberbaumbrücke reicht. Herzstück ist die 16.000 Zuschauer fassende Anschutz-Halle, in der nicht nur der Eishockeyverein "Berliner Eisbären" beheimatet sein wird, sondern auch etliche kommerzielle Großveranstaltungen stattfinden sollen. Als Baubeginn für die Halle peilt die AEG das Frühjahr 2003 an, im Jahr 2005 soll sie fertiggestellt sein. Rund um die Halle sind etliche Kinos und sonstiges "Entertainment" geplant, dazu das in den üblichen Worten beschriebene "urbane Wohnquartier" und direkt an der Warschauer Brücke ein 135 Meter hoher Büroturm. Allein die Planungen der AEG sehen fast die doppelte Geschossflächenzahl wie am Potsdamer Platz vor, Milliarden Euros sollen investiert werden.
Verkehrspolitisch wirft die Halle schon ihre Schatten voraus. Mit großer Mehrheit stemmte sich im Juni die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg gegen neu aufkommende Pläne, die Stadtautobahn A 100 doch vom Treptower Park über die Elsenbrücke und das Ostkreuz bis zur Frankfurter Allee zu verlängern. Natürlich dann mit entsprechender Stichstraße zur Halle und zur Mühlenstraße. Gegen die Auflagen des Denkmalschutzes wird die entlang der Mühlenstraße verlaufende East-Side-Gallery an mehreren Stellen aufgebrochen, aber zumindest in der Nähe der Halle ist der Uferbereich öffentlich. Nur kurz vor der Oberbaumbrücke sind noch einige Stadtvillen am Ufer geplant.
Gegenüber der East-Side-Gallery, am Südufer der Spree, möchten die Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe (BEHALA) den Viktoriaspeicher entwickeln: Um sich von den anderen Projekten zu unterscheiden, ist ein "einzigartiges Zusammenspiel von städtischem Kulturraum und Naturerlebnis am Wasser" geplant. Bei diesem Projekt sind allerdings noch nicht einmal die konkreten Quadratmeterzahlen klar. Kurz vor der in der Verlängerung der Manteuffelstraße über die Spree führenden neuen Brommybrücke plant die zu Tschibo gehörende "Polaris Immobilien Management GmbH" die Sanierung der alten Heeresbäckerei.

Reines Wunschdenken
der Medienindustrie?

Nach der Oberbaumbrücke folgt am Südufer der "Neue Spreespeicher - Cuvryhof", ein Ersatzbau für das inzwischen aufgrund des Widerstands aus der Bevölkerung abgeblasenen Einkaufscenters der Botag-Gruppe. Aber auch hier redet der Investor von einem Vier-Sterne-Hotel, Lofts und Offices am Wasser und versucht, die nicht vorhandenen Mieter sogar mit Wassertaxis anzulocken. Gegenüber am Nordufer der Spree befinden sich die zwei bereits von dem weltweit operierenden Medienkonzern Universal umgebauten und vor kurzem bezogenen Speicher. Zumindest 500 Arbeitsplätze sind damit von Hamburg nach Berlin umgezogen.
Bleibt die Frage, wer dies alles braucht. Im Augenblick, besonders angesichts der Krise in der Medienindustrie, wohl niemand. Und völlig übersehen wird von den Investoren, dass auch die Axel-Springer-AG rund um die Kochstraße ein "neues Medienviertel" im "alten Zeitungsviertel" hochzieht. Allerdings "bringt es auch wenig", wie Martin Reeh in der Jungle World schreibt, "darauf zu hoffen, dass sich die Projekte im Zuge des Niedergangs der New Economy nur als Luftblasen herausstellen". Scheitere ein Konzept, zieht eben der nächste Investor ein neues aus dem Hut. Aber die prinzipielle Baufreigabe im Planungsrecht ist längst erreicht. Auch über die Docklands in London wurde jahrelang als "das Pleiteprojekt der Thatcher-Regierung" gespöttelt, bis sie sich auf einmal doch zu einem attraktiven Standort mit den entsprechenden Mietpreisen entwickelten. Manchmal dauert es eben nur ein wenig länger.

 

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