MieterEcho
Nr. 284 - März/April 2001

Sparvereine, Genossenschaften und Gemeinwirtschaft

 

Eine Antwort an Barbara König - Julia Oppermann

Der "Wohnbund" hat die Ausgabe 2/2000 seiner "Informationen" dem Schwerpunktthema "Neue Genossenschaften" gewidmet. Er beschreibt am Beispiel Hamburgs drei unterschiedliche neue Genossenschaftstypen und führt dann weiter aus: "Man könnte auch eine vierte Variante dazu zählen: die eigentumsorientierte Wohnungsbaugenossenschaft. Ihr geht es um die Abschöpfung steuerlicher Förderung unter genossenschaftlicher Rechtsform mit einer zwingend vorgeschriebenen Orientierung hin auf Einzeleigentum. Diese Genossenschaftsform soll hier nicht weiter betrachtet werden, da sie in Hamburg sowohl innerhalb der Genossenschaftsszene als auch von Seiten der Wohnungspolitik wegen der Eigentumsorientierung und der damit verbundenen Konterkarierung des Genossenschaftsgedankens keine Unterstützung findet."

Berlin ist nicht Hamburg. In Berlin konterkariert man so leidenschaftlich gerne, dass man diese Stadt, wenn man an all die meinungsmachenden Größen im Umfeld der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und deren periodischen mentalen Exhibitionismus in der Hochglanzbroschüre FOYER denkt, getrost als Konterkarierung einer Hauptstadt ansehen könnte. So versetzt es auch nicht ins Staunen, dass ausgerechnet in Berlin die eigentumsorientierte Genossenschaft, die "Konterkarierung des Genossenschaftsgedankens", von allen politischen Parteien gesponsert, fröhliche Urständ' feiert. Dabei kommt es den Protagonisten: Peter Strieder, Franziska Eichstädt-Bohlig und Co. überhaupt nicht auf die Prinzipien der Genossenschaft (siehe ME 283, S. 6) an, sondern auf die Eigentumsorientierung. Die Berliner Politik leistet sich trotz permanent beschworener leerer Haushaltskassen im erbitterten Kampf gegen die Mieterstadt den exorbitanten Luxus einer "Eigentumsstrategie" mit einem finanziellen Aufwand, als wäre der Fernsehturm ein Bohrturm über Erdölreserven von saudiarabischer Größenordnung und die Berliner Bevölkerung genossenschaftlicher Shareholder solchen Reichtums.

Sparvereine...

Wohnungsbaugenossenschaften, das beweist nicht nur die Geschichte sondern auch die betriebswirtschaftliche Rationalität, sind auf finanzielle Förderungen angewiesen. Gefördert wird in Berlin nur noch und dies mehr als anderswo: Eigentum! Eigentum!! Eigentum!!! Folgerichtig versteht sich die "Richtlinie zur Förderung eigentumsorientierter Wohnungsgenossenschaften in Berlin" vom 1.12.2000 als "Beitrag zur Bildung von Wohneigentum und Vermögen privater Haushalte".

Dass man dem "genossenschaftlichen" Gruppeneigentum von Seiten der Politik dennoch nicht recht zu trauen scheint, zeigt sich daran, dass die Förderung von Einzeleigentum wesentlich üppiger ausfällt. Für die begünstigten Genossenschaftler ist das bedauerlich. Es macht aber die "eigentumsorientierten Genossenschaften" in ihrer Substanz noch lange nicht zu Genossenschaften. Sie sind - wie auch vom Altschuldenhilfegesetz, dessen Umsetzungsschwierigkeiten sie ihre Existenz verdanken, vorgegeben: Sparvereine zum Zwecke des kollektiven Erwerbs von individuellem Wohneigentum; Sparvereine getarnt als Genossenschaften.

Warum gerade diese Sparvereine, die sich die lästigen, weil marodesten Bestände von Wohnungsunternehmen mit lang- bzw. mittelfristiger Orientierung auf den eigenen Börsengang bzw. die Hingabe an irgendwelche "investierenden" Spekulanten, aufschwatzen lassen, für "eher prädestiniert" gehalten werden "sozial ausgerichtet (zu) sein und sich kontinuierlich bewohnerfreundlich (zu) entwickeln" ist ein Geheimnis, das sich leider nicht ohne weiteres enthüllt.

Denn eigentlich muss man unbedingt noch einen Schritt weiter gehen und fragen, warum sollten denn gerade sie "dauerhaft den Zielen einer ‚sozia-
len Stadtentwicklung' dienen? Wenn diese eigentumsorientierten Genossenschaften mit ihren über und über problembelasteten Beständen und ohne die finanziellen Polster einer normalen Wohnungsbaugesellschaft so einigermaßen über die Runden der ersten fünf bis zehn Jahre kommen wollen, dann haben sie wirklich genug zu tun, und nebenbei gesagt, sollte ihnen das gelingen, auch genug geleistet. Wenn sie sich danach in Einzeleigentum auflösen, kann das dem einen oder anderen Freund des "dritten Weges" allenfalls Anlass sein, wieder einmal über den verlorengegangenen Genossenschaftsgedanken zu lamentieren. Aber ein Vorwurf, dass diese "Kinder der Not" (Klaus Novy) dann nicht die Folgen einer vollkommen unsozialen und volkswirtschaftlich verfehlten Wohnungspolitik korrigiert hätten, wäre einfach lächerlich. Diese ihnen völlig unangemessene Aufgabe sollten die Sparvereine, "Eigentumsorientierte Genossenschaften", von vornherein mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Und sei es nur der politischen Ehrlichkeit halber.

...Genossenschaften...

Der Genossenschaftsgedanke ist ein seltsamer Kauz. Er lässt sich mit Vorliebe auf den Schultern von Nichtgenossen nieder und flötet ihnen allerlei Emanzipationverheißendes ins Ohr. Innerhalb der Genossenschaften findet er nur ausnahmsweise das nötige Gehör. Das mag bei den "alten zum Teil seit mehr als hundert Jahren bestehenden Wohnungsgenossenschaften", aber nicht nur bei ihnen, durchaus an den "versteinerten, hauptsächlich dem Selbstzweck dienenden Strukturen" liegen, beantwortet aber nicht, wie es zu diesen Strukturen kam und immer wieder kommt. Dabei ist das so einfach.

Genossenschaften, und dafür bieten bereits die Urväter, die Pioniere von Rochdale, das prägende Vorbild, sind eine Reaktion auf schlechte gesellschaftliche Verhältnisse und zwar eine Reaktion, die auf eine Lösung innerhalb dieser Verhältnisse und unter ihren Bedingungen ausgerichtet ist. Allenfalls verstehen sie sich, und das ist schon sehr viel, als gegengesellschaftliche Freiräume. Die Verhältnisse selbst wurden und werden dabei nie ernsthaft in Frage gestellt. Bei all den mittelständischen Genossenschaften des 19.Jahrhunderts, die sich in dem von Schultze-Delitzsch geschaffenen Genossenschaftsverband zusammengeschlossen haben, wäre das auch sinnlos gewesen. Hier ging es um das Überleben der Handwerkerbetriebe, als sich die überlegene industrielle Produktionsweise herausgebildet hatte. Von dieser Position konnte sich realistischerweise kein romantisch-reaktionär verklärter Kampf gegen die Industrie entwickeln, schon gar nicht mehr seit dem historischen Misserfolg der Weberaufstände.

Bei den späten (siehe ME 283), kleinbürgerlichen, sich auf eine Beamten- und Angestelltenschaft stützenden Wohnungsbaugenossenschaften Huberscher Prägung verzichtete man auf die gesellschaftskritische Perspektive sowieso.

Ausschlaggebend für das Schicksal dieser Genossenschaften ist in jedem Fall: Wenn die ökonomische Einbettung des genossenschaftlichen Anliegens in die gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgreich war, wurden die inneren demokratisch-fortschrittlichen Triebkräfte überflüssig. Sie hatten ihre Rechtfertigung nur solange der äußere gesellschaftliche Zwang zur Defensive die solidarisch-demokratische Gegenkraft notwendig machte. Durch den Erfolg zu einem Ballast geworden, trug diese Kraft zur Versteinerung der Genossenschaften in dem Maße bei, in dem es nicht gelang, das innere Demokratieprinzip mit einer äußeren systemoppositionellen Perspektive zu verbinden. Das ist der Grund, warum sich die Genossenschaften schon frühzeitig in "ihren Entscheidungen kaum noch von rein kommerziellen Anbietern" unterschieden haben.

...Gemeinwirtschaft

Unmöglich wäre das nicht gewesen, denn die Konsumgenossenschaften bewiesen es beispielhaft: Ihnen gelang bereits um 1900 das Zusammengehen mit der Gewerkschaftsbewegung. Und damit wurden sie neben den Gewerkschaften und den Arbeiterparteien zu einer der drei Säulen der Arbeiterbewegung. Ganz sicher, die Genossenschaften sind nicht der Arbeiterbewegung entsprungen, und "diese Mär" soll auch hier nicht verbreitet werden. Wer könnte denn so naiv sein, Schultze-Delitzsch, Raiffeisen oder Huber für Angehörige der Arbeiterbewegung zu halten. Wo aber die Verbindung mit der Arbeiterbewegung stattfand, resultierten daraus "Löcher im Spekulationskuchen" (Simone Hain, ME 279, S. 14) und noch mehr "verwirklichte Träume von der neuen Welt" (Simone Hain).

Über die Baugenossenschaften schreibt Klaus Novy: "Der faszinierende Aufbruch der Bauarbeiter (in Bauproduktivgenossenschaften) und Wohnungssuchenden (in Baugenossenschaften) nach dem ersten Weltkrieg erfolgte nach der Enttäuschung über das Fiasko mit der staatlichen Sozialisierungspolitik."

Wenn man unbedingt will, kann man auch in diesem Zusammenhang eine Selbsthilfemotivation erkennen. Aber wie unterscheidet sie sich von der bornierten Selbsthilfe der besitzindividualistischen mittelständischen Genossenschaften?

Der Gildensozialismus eines Martin Wagner war auf die aktuelle Realität einer konkreten Utopie ausgerichtet. Über die Leistung der auf Wagners Initiative zurückgehenden DEWOG schreibt Novy: "In 10 Jahren wurden 100.000 Wohnungen errichtet, davon die überwiegende Zahl für ‚eigene' Bauherren, also gewerkschaftliche Wohnungsbaugenossenschaften oder DEWOG-Töchter.

Dabei entstanden die zahlreichen, teilweise berühmten ‚roten' Siedlungen der zwanziger Jahre, die für die politische Kultur am Ort so bedeutend waren. Das Bündnis der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaftsbewegung mit den Avantgarde-Architekten des ‚Neuen Bauens', vor allem der berühmten Kunstschule ‚Das Bauhaus', machte diese Siedlungen (z.B. Hufeisensiedlung in Berlin-Britz) auch international zum Vorbild."

Und welch eine unvergleichliche politische Kultur rankte sich um sie herum. Eine Reform der Wohnungswirtschaft war auch Reform der Wohnkultur: In den gesellschaftlichen Räumen der Gemeinwirtschaft war eine Politisierung des Alltags unmittelbar und selbstverständlich. In diesem politisierten Alltag wurde dem 19. Jahrhundert der Garaus gemacht und die Architekten schufen das Ambiente der Moderne.
1933 übernahmen die Nazis die Gemeinwirtschaft und neutralisierten sie politisch.

Nach 1945 wurde auf den Versuch, sie politisch wiederzubeleben, verzichtet.

Jetzt erleben wir ihren ökonomischen Ausverkauf. Dabei ist der eigentliche Skandal nicht nur, dass diese noch immer bedeutenden Bestände auf dem Markt verramscht werden, sondern dass erneut Geschichte in großem Stil entsorgt wird. Diesmal nicht realsozialistische Geschichte, sondern sozialdemokratische. Und was den Skandal perfekt macht: die Verantwortung dafür übernehmen sozial-
demokratische Spitzenpolitiker, denen eine sozialdemokratische Basis, die noch immer zu einem großen Teil in den gemeinwirtschaftlichen Beständen beheimatet ist, einen nur ganz geringen Widerstand entgegensetzt.

Aber man hat ja einen Ausgleich! Das sind die kleinen "eigentumsorientierten Genossenschaften" mit verschrumpelten und ruinierten Altbaubeständen, die zwar trotz großem Enthusiasmus ihrer Gründer verzweifelt um ihre Existenz zu kämpfen, aber hochgejubelt werden, als seien sie die Träger künftigen gesellschaftlichen Fortschritts.

Wir verlassen die kleine Betrachtung, auf dem Wege, auf dem wir gekommen sind, durch das FOYER der Stadtentwicklung. Wir tun das sehr schnell, denn der piefkehafte Mief der hier publizierenden Aufsteiger mit Verachtung für alles Soziale ist nur schwer erträglich. Hier wird tonnenweise Ideologie des eigentumsorientierten Bürgertums (Petite-Bourgeois, die sich gerne für Citoyen halten) produziert. Urheber sind Zeitgeister vom Schlage eines Theologen, der mit großem merkantilen Geschick seine angewandte Philosophie über das Universalprinzip der Parzelle vermarktet und ebenso gewinnträchtig in Fragen des Denkmalschutzes dilettiert, eines Redakteurs einer bürgerlichen Wochenzeitung, der meint, eine Hegemonie der Sozialpolitik über die Stadtentwicklung ausmachen zu müssen, um dann die Sozialpolitik als Ursache für etwas, was er - welch ein Sensibelchen - als urbanistisches Desaster erleidet, diffamieren zu können sowie viele Gleichgesinnten, die als Kronzeugen für die Niederlage der 68er im Kampf gegen den Notstand politischer Bildung benennbar wären. All das ist lästig. Doch man muss es zur Kenntnis nehmen, denn ohne dieses hier und andernorts hergestellten ideologischen Gleitmittel ließe sich der Ausverkauf der sozialen Moderne weit weniger reibungslos vollziehen.

Zur Lektüre empfohlen:

NOVY, Klaus (1983): Genossenschafts-Bewegung. Zur Geschichte und Zukunft der Wohnreform. Berlin

 

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