MieterEcho
Nr. 283 - Januar/Februar 2001

Das Prinzip Genossenschaft oder wie man Eigentümer schafft

 

von Julia Oppermann

Genossenschaften werden als Kinder der Not bezeichnet. Tatsächlich verdanken sie ihr Entstehen einem doppelten Versagen: dem des Marktes und dem des Staates. Man hat auch sie deshalb - wie so vieles andere - als dritten Weg bezeichnet. Ein Weg zwischen Markt- und Planwirtschaft. Doch die genossenschaftliche Selbstversorgung bedarf noch anderer Voraussetzungen. "Genossenschaften und andere Formen der Selbsthilfe entstanden meist dann, wenn andere, vertrautere Aktionsformen - wie der Kampf um die politische Macht im Staat oder der gewerkschaftliche Zusammenschluss gegen die Übermacht des Privatkapitals - gescheitert oder zumindest auf Probleme gestoßen waren und des Ersatzes oder der Ergänzung bedurften."(1) Sollten die Genossenschaften deshalb auch heute wieder zu Ehren kommen, in einer Zeit in der von sozialen Bewegungen kaum noch etwas wahrgenommen werden kann? Die Antwort wäre sicherlich ebenso naheliegend wie vorschnell. Anziehungskraft haben Genossenschaften immer ausgeübt, weil sie auf eine sehr friedliche Weise Gegensätze zu vereinen scheinen. Bereits die "redlichen Pioniere von Rochdale" hatten 1844 in der von ihnen gegründeten, der ersten modernen Genossenschaft, die Prinzipien für ihren Zusammenschluss formuliert, die auch noch heute in Festreden gefeiert werden.

  1. Das Identitätsprinzip
    Es besagt, dass die Mitglieder eine Doppelrolle spielen. Sie sind zugleich Eigentümer und Nutzer der genossenschaftlichen Dienstleistungen, d.h. je nach der konkreten Gegebenheit Vermieter und Mieter, Händler und Kunde, Kreditgeber und Kreditnehmer, Versicherungsgeber und Versicherungsnehmer usw.

  2. Das Förderprinzip
    Es verspricht den Mitgliedern die Förderung ihrer eigenen Interessen durch den genossenschaftlichen Zusammenschluss. An erster Stelle werden das wirtschaftliche Interessen sein, aber auch politische, kulturelle und emanzipatorische Ziele können hier gemeint sein. Sie treten bei sozial orientierten Genossenschaften selbstverständlich stärker in den Vordergrund.

  3. Das Demokratieprinzip
    Dieses Prinzip entkoppelt die wirtschaftlichen Potentiale und den Einfluss, indem es das Stimmrecht eines jeden Genossen unabhängig von der Höhe seiner Anteile auf eine Stimme begrenzt.

Das Förderprinzip sollte die wirtschaftliche Zielstellung der Genossenschaften bestimmen. Anders als privatwirtschaftliche Unternehmen sind sie nämlich nicht darauf ausgerichtet, möglichst hohen Profit zu erzielen, sondern den Nutzen der Mitglieder zu fördern. Doch gerade dieses genossenschaftliche Prinzip erscheint als hohle Festtagsphrase, wenn man die Bemühungen der Charlottenburger Baugenossenschaft u. a. um die Angleichung der Höhe ihrer Nutzungsgebühren an das Niveau des Mietspiegels sieht. Das Interesse der Genossen wird nämlich durch niedrige Mieten (Nutzungsgebühren) befriedigt und nicht durch hohe Profite einer Organisation, die die genossenschaftlichen Einlagen ohnehin nur mit vier Prozent verzinst. Doch derartige Auffassungen scheinen keine Konjunktur zu haben. Ganz im Gegensatz zu dem Interesse, das die zur Zeit gegründeten Wohnungsgenossenschaften als Träger kollektiven und jederzeit individualisierbaren Eigentums allerorten und bei allen politischen Parteien genießen. Diese sogenannten eigentumsorientierten Genossenschaften stellen eine genossenschaftliche Variante dar, die in diametralem Gegensatz zu der ursprünglichen genossenschaftlichen Idee steht. Doch gerade das scheint sie für die aktuelle Politik so interessant zu machen. Sie sieht darin ein Instrument einkommensschwächeren Kreisen über hochgefördertes Gruppeneigentum zu Individualeigentum zu verhelfen. Wahrlich, eine pfiffige Idee der Eigentumsfreunde über sämtliche Grenzen der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien hinweg!

Aber nur eine Idee, noch dazu eine, die das klare Denken verkleistert. Tatsache ist, der Erwerb von Eigentum erzeugt Wohnkosten, die wesentlich über denen für eine Mietwohnung liegen. Genossenschaftliches Gruppeneigentum bildet dabei keine Ausnahme. Es sei denn, diese Art Eigentumserwerb wird noch höher gefördert, als es bei dem individuellen bisher schon geschieht. Und genau das können wir bei den genossenschaftlichen Neugründungen zur Zeit mit allergrößtem Erstaunen beobachten. Wir neiden den Begünstigten aus der "Bremer Höhe" und dem "Wöhlertgarten" ganz gewiss nicht die üppigen staatlichen Zuwendungen. Wir müssen aber feststellen, dass es geradezu ein Hohn ist, die Privatisierung der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zu forcieren und dies mit leeren Haushaltskassen zu begründen. Aus eben diesen leeren Haushaltskassen werden nämlich zu Lasten der Sanierungsgebiete und des sozialen Wohnungsbaus für Erwerb und Sanierung der Genossenschaftsimmobilie Fördermittel gezaubert, die ein Mehrfaches der durch den Verkauf erzielten Einnahmen betragen.

Aber Eigentum muss wohl sein, koste es was es wolle.

(1) Novy, Klaus; Prinz, Michael: Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Berlin, 1985, S. 12)

 

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