MieterEcho
Nr. 267 - März/April 1998

Privatisierung - Erst das Wasser, dann die Luft?

In Berlin werden immer mehr senatseigene Betriebe privatisiert. Dies ist Teil einer großen Umstrukturierungspolitik des Senats, die als finanzpolitische Notwendigkeit firmiert. Im Rahmen dieser Politik trennt sich der Senat von seinem sog. Tafelsilber, wie BEWAG, GASAG und Wasserbetriebe, um die Verschuldung seines Haushalts abzubauen. Den in diesen Betrieben Beschäftigten und der Bevölkerung bleibt offenbar nichts anderes übrig, als die Folgen der Verschlechterungen in Kauf zu nehmen. Bleibt uns wirklich nichts?

Doch zunächst eine Kurzgeschichte der Privatisierung in Berlin:

1993 wurde die Kommerzialisierung der städtischen Eigenbetriebe von Senatspolitikern gegenüber den Beschäftigten mit der Argumentation verkauft, man wolle Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen erhalten. Dazu müßten sie wettbewerbsfähig werden. Dies ginge nur unter der Voraussetzung, profitabel zu arbeiten:

Berlins Eigenbetriebe wurden zu Anstalten Öffentlichen Rechts. Das Mißtrauen der Beschäftigten - einer damals noch geschlossenen Front der Eigenbetriebe - war durch eine Vereinbarung der ÖTV mit dem Senat gedämpft worden. Nach der der Umwandlung sollten

  1. die Tarifverträge ihre Gültigkeit behalten,
  2. die Zusatzrente VBL erhalten bleiben und
  3. die Mitarbeiter im Privatisierungsfall ein Rückehrrecht in den Öffentlichen Dienst haben.

Doch was ist geschehen?

Die Privatisierung ist vorangeschritten.

  • Die BEWAG ist privatisiert.
  • Nachdem von der GASAG bereits 1994 49% an Strom- und Gaskonzerne (Ruhrgas, RWE, VEBA, BEWAG) gegangen sind, hat der Senat jetzt auch den Mehrheitsanteil an die private Gas de France/BEWAG verkauft.
  • Bei der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) sind sich CDU und SPD nur über das WIE der Umwandlung noch immer nicht einig.

Die CDU möchte den, in eine Anstalt Öffentlichen Rechts transformierten Betrieb in eine Aktiengesellschaft umwandeln und dann zu 75 % verkaufen, die SPD zieht, nach für sie peinlichen Protesten vieler ÖTVler vor ihrem Landesparteitag vor, nur 49 % als Aktien an die Börse zu bringen (Holdingmodell), um - so wird gesagt, "den privaten Einfluß herabzusetzen" und "die soziale Sicherung der Beschäftigten zu garantieren". Also Positionen, die eigenartigerweise von ihren Senatsmitgliedern bei den anderen ehemaligen Eigenbetrieben als völlig ungefährdet angesehen wurden. Die CDU/SPD-Koalition ließ sich allerdings, einem gemeinsamen Beschluß zufolge, bereist eine Milliarde DM aus dem Stammkapital an den Haushalt zur Defizitverringerung überweisen. - Der Stadtreinigung BSR und dem Hafenbetrieb BEHALA droht das gleiche Schicksal.

Doch damit noch nicht genug:
  • Die Unternehmensberatung BOSSARD kam in einem Gutachten für den Senat zu dem Ergebnis, auch für die BVG sei eine private Rechtsform nötig, um sie mit der S- Bahn, der bereits privatisierten Bahn AG, verbinden zu können. Natürlich zu den schlechteren Bedingungen des Tarifrechts der S-Bahn und zu Lasten der Einkommen und Arbeitsbedingungen der BVG-Beschäftigten. Anschließend sollen der entstandene Betrieb und die Beschäftigten in fünf rechtlich selbständige Unternehmen (Bus, U-, und S-Bahn, Straßenbahn und Zentrale Dienste) aufgespalten werden.
  • Das Bundesarbeitsgericht hat inzwischen das "Rückkehrrecht" in den öffentlichen Dienst gekippt, und damit ist die Vereinbarung zwischen Senat und ÖTV nur noch Makulatur.

Für die Bevölkerung allerdings ist schon jetzt klar, daß sie in jedem Privatisierungsfall die Lasten zu tragen hat. Beispielsweise werden dann die Mehrwertsteuer auf die Wasserpreise umgelegt werden müssen, sicherlich nicht ohne Konsequenzen für die Wasserpreise, bzw. die Betriebskosten.

Warum ist angeblich zuwenig Geld in den Öffentlichen Kassen?

Bevor die Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen gegen die Beschäftigten durchgesetzt werden konnten, wurden sie mit den Argumenten die Kassen der Stadt seien leer und es würden dringend Milliarden gebraucht, um die Zinslast zu senken, unter Druck gesetzt. Die "unrentablen" Eigenbetriebe müßten privatisiert werden, weil sie der Stadt auf der Tasche lägen, die "rentablen", weil die Stadt den Verkaufserlös bräuchte. Grund genug zu fragen, woher das Haushaltsdefitzit kommt?

Einnahmeverluste:

  • Die Steuereinnahmen, die mittlerweile zum allergrößten Teil Arbeitnehmerhaushalte bestreiten, sinken mit steigender Erwerbslosigkeit.
  • Die Mehrzahl der großen Unternehmen hat sich real, z.B. über Abschreibungen oder Kapitaltransfers ins Ausland, als Steuerzahler verabschiedet. Würden die Unternehmer und Zinsempfänger nur unter den gleichen Bedingungen wie 1980 besteuert, dann wären in den öffentlichen Haushalten bereits im Jahre 1994 ca. 70 Mrd. DM mehr vorhanden gewesen.
  • Die staatlichen Einnahmen aus Steuern von Unternehmens-, Kapital- und Vermögensbesitzern, die überhaupt noch eingehen, wurden in den letzten Jahren in nie dagewesenem Ausmaß gesenkt (z.B. Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und Vermögenssteuer mit der Folge von 8 bzw. 9 Milliarden DM Einnahmeverlusten)

Ausgabensteigerungen:

  • Banken erhalten jährlich große Summen Steuergelder aus staatlichen Zins- und Tilgungszahlungen.
  • Die Ausgaben der Sozialversicherungen steigen. Durch die Massenarbeitslosigkeit nimmt die Zahl der Leistungsempfänger zu und die der Einzahlenden ab. (Obwohl der einzelne Leistungsempänger durch die Verschärfung der Bezugskriterien gleichzeitig weniger erhält).

Der Druck, den die Unternehmens- und Kapitalseite auf den Staat ausübt, hat seinen Hintergrund im härter werdenden internationalen Kampf um Absatzmärkte. Durch die sinkenden Lohnquoten schrumpfen diese Märkte zusätzlich, denn die Kaufkraft der Erwerbstätigen nimmt immer weiter ab. Investitionen zur Errichtung neuer Arbeitsplätze unterbleiben in vielen Fällen, weil sie keinen Maximalprofit mehr versprechen oder werden in Billiglohnländern vorgenommen. Als Folge wachsen Erwerbslosigkeit und internationale Spekulation.

Das Loch in den Kassen ist das Ergebnis einer staatlichen Politik, die diesen "Sachzwängen" einer Wirtschaftsordnung die letztlich nur den besitzenden 10 Prozent unserer Gesellschaft nutzt, nichts entgegen zu setzen vermag.

Wie es insgesamt unter diesen Bedingungen weitergehen soll, macht die sächsisch bayrische Zukunftskommission deutlich:" "Staatliche Leistungen können und müssen stärker privatisiert ... und zum Teil auch eingeschränkt und eingestellt werden. ...Die Grundversorgung kann und muß dem Einzelnen und seiner Familie obliegen." Die Kommission erklärt, daß die Mehrheit der Bevölkerung "... ohne Verzicht auf individuellen Konsum bei gleichzeitigem Aufbau substantieller eigener Vermögen leicht zum Verlierer der sich ändernden Produktionsverhältnisse werden kann" (Frankfurter Rundschau; 2. 12. 97).

Wie gegen Privatisierung, Rationalisierung kämpfen?

Die ÖTV Bezirksverwaltung Berlin entwickelte ein Konzept zum Kampf "gegen" Privatisierungen und Leistungskürzungen, in dem sie weitgehend dem als Sparprogramm bezeichneten Sozialabbau des Senats Rechnung trug: Sie ist bereit Kürzungen dort zu akzeptieren, "wo Dienstleistungen und Verwaltungsaufgaben teurer oder besser ausgestattet sind als in vergleichbaren Ballungszentren" (ÖTV Dialog 1/97) und sie beschränkte ihren Protest auf den "Totalverkauf der Bewag" (Alternativen zum Haushaltsentwurf 1997, ÖTV Bezirksverwaltung Berlin). Dabei dürfte der bezirklichen Chefetage der Gewerkschaft durchaus bewußt gewesen sein, daß selbst gemäßigte Rationalisierungen und Privatisierungen direkt oder indirekt zu Entlassungen führen bzw. in Zukunft führen werden.

Der Staat macht in jedem Fall "seine" Betriebe durch Entlassungen, Steigerung der Arbeitsleistungen, Gebührenerhöhungen einerseits zu Lasten der beschäftigten Kollegen und mit Hilfe von ungeheuren Investitionsmitteln aus Steuergeldern und mit der Zusage, Verluste zu tragen, zu Lasten der Steuerzahler andrerseits "börsenreif". Er arbeitet damit allein den interessierten Anlegerkreisen in die Hände (so geschehen bei der Bahn, der Post/Telekom, der Lufthansa etc.). Die eigentliche, die soziale Versorgungsaufgabe des Staates bzw. der staatlichen Betriebe wird immer weiter eingeschränkt und verteuert. Im Vordergrund steht der Profit des anlagesuchenden Kapitals.

Warum ist der Kampf gegen die Privatisierung öffentlicher Betriebe ein schwieriger Abwehrkampf? Die Privatisierung und Zerstückelung der staatlichen Vermögens führt einen wichtigen Schlag gegen die Kampfmöglichkeiten der ArbeiterInnen, Angestellten und einfachen Beamten. Sie stehen nicht mehr gemeinsam einem einzigen Arbeitgeber gegenüber. Sie verlieren die Möglichkeit, gewerkschaftliche Forderungen durch zusätzlichen politischen Druck zu unterstützen, der sich daraus ergibt, daß der Staat durch gewählte Vertreter repräsentiert wird. Den Beschäftigten wie auch der Mehrheit der Bevölkerung wird jetzt mit Hilfe eines täglichen Trommelfeuers von Seiten des Staates und der Kapitalisten eingeredet, sie müßten immer weitere Opfer erbringen, um wenigstens einen minimalen Versorgungsstandard zu retten und der Kampf für die eigenen "priviligierten" Lebensinteressen besonders im Öffentlichen Dienst sei Schmarotzertum. In dieser Situation hätte es einer Gewerkschaft bedurft, die diesem Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten entschieden entgegengetreten wäre, die die unsoziale Kürzungspolitik insgesamt ablehnt und den Widerstand entschieden organisiert.

Die ÖTV Bezirksverwaltung hingegen sieht sich nicht im Widerspruch zu den Interessen des Staates und der Verkehrs- und Energiekonzerne. Im Gegenteil. ZB. wechselte der Berliner ÖTV-Chef Lange kürzlich in den Vorstand der Bewag und die ÖTV Bezirksverwaltung trug mit ihrer Linie der scheinbar schonenden, gemäßigten Rationalisierung und Privatisierung wesentlich dazu bei, daß der Widerstand in den Betrieben relativ gering blieb: Viele Kolleginnen und Kollegen harren still aus und hoffen, daß sie zu der Mehrheit derjenigen gehören, die von Entlassungen auch in Zukunft verschont bleiben werden.

Niemand wird sagen können, der Kampf gegen Privatisierung und Sozialabbau und die mit ihnen verbundenen Stellenstreichungen, Entlassungen, Lohnkürzungen und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sei einfach. Der Druck in den Betrieben und Verwaltungen auf die Beschäftigten ist sehr groß. Erfolge oder wenigstens wichtige Zugeständnisse lassen sich aber keinesfalls auf der Linie der ÖTV-Bezirksverwaltung erzielen. Sie können nur erreicht werden, wenn wir entschlossen sagen: wir lassen uns den Angriff auf unsere unmittelbaren Arbeits- und Lebensbedingungen nicht gefallen, wenn wir jeder Rationalisierung und Privatisierung auf Kosten der ArbeiterInnen, Angestellten und einfachen Beamten unsere Zustimmung verweigern, sie bekämpfen und ihre Durchsetzung so schwer wie möglich machen. Dieser Kampf benötigt nicht nur die Mobilisierung möglichst vieler Kolleginnen und Kollegen, er erfordert auch die Unterstützung derjenigen, die von erhöhten Gebühren und gekürzten Leistungen betroffen sind. Um ihre Solidarität zu erlangen, ist es notwendig, daß sich die Beschäftigten besonders in den Verwaltungen von den täglichen Schikanen distanzieren, denen insbesondere Erwerbslose, Sozialhilfeempfänger oder Flüchtlinge durch Gesetze und Verwaltungsverordnungen ausgesetzt sind.

Das Beispiel der Auseinandersetzung um den Erhalt des Hafenkrankenhauses in Hamburg macht das deutlich: Beschäftigte und betroffene ArbeiterInnen sowie BewohnerInnen des Stadtviertels protestierten Seite an Seite gegen die Schließungspläne des Senats.

Bündnis kritischer Gewerkschafter

 
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