MieterEcho
Nr. 262 - Mai/Juni

Bezahlbare Wohnungen - das ist möglich und wirtschaftlich
Die Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft
hat ihre erste Immobilie erstanden

        

Eine fast klassische Geschichte eines Mietshauses und ein ganz anderer Verlauf. Das seit Anfang 1990 besetzte Haus in der Kreutziger Straße 23 steht zum Verkauf. Es gehört zu jenen Ostberliner Altbauten, die " nach Enteignung und Verfolgung der rechtmäßigen EigentümerInnen durch die Faschisten " bis 1990 von der Kommunalen Wohnungsverwaltung KWV betreut wurde. Gemäß Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR wurde diese Zwangsarisierung rückgängig gemacht und die Immobilie an die eigentlichen EigentümerInnen bzw. deren ErbInnen zurückgegeben.

Doch jetzt passiert etwas bemerkenswertes: Anstatt daß die in Haifa lebende Erbin sämtliche elf Wohnungen der Kreutziger Straße 23 mit Hilfe des Innensenats von Berlin und der Polizei räumen läßt, wie es die Eigentümergemeinschaft zwei Häuser weiter Ende letzten Jahres veranlaßte, verkauft sie die Immobilie an die Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft kurz SOG. Sie hatte mit den VertreterInnen der Genossenschaft, größtenteils eben diese BesetzerInnen, keine Probleme. Andreas Baier, Bewohner des Hauses und Gründungsmitglied der SOG, betont, daß die angekündigte Unterstützung von PolitikerInnen und die Verantwortlichen der Stadt leider ausblieb und sie Glück hatten, "daß der Vertreter der jüdischen Eigentümerin alternatives Leben an sich spannend und unterstützenswert fand." Im Gegensatz zu der EigentümerInnengemeinschaft des erwähnten Hauses in der Nachbarschaft. Diese Immobilie wurde mittlerweile an den ehemaligen Verwalter Tödter verkauft. Tödter muß genannt werden, weil er einige Friedrichshainer Häuser verwaltet, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt sind und er offensichtlich über gute Kontakte zum Innensenator Schönbohm verfügt, wenn es um die Durchsetzung seines Kaufinteresses geht. Gelang ihm doch vor Auslaufen der Frist, die die EigentümerInnen den BewohnerInnen der Kreuziger Straße 21 und den Genossenschaftsmitgliedern gestellt hatten, ganz nach "postberliner Linie" eine sofortige Räumung zu veranlassen. (ME 260)

Die erste Immobilie ist am schwersten

Aber zurück zur Kreutziger Straße 23. 390.000 Mark lautet der endgültige Kaufpreis, den die SOG am 1. März des Jahres für ihre erste Immobilie in Friedrichshain bezahlt. Das Kapital dazu wurde aufgenommen. 20 Prozent des Kaufpreises deckten niedrig verzinste Privatkredite oder zinslose Darlehen ab " von solidarischen Menschen, FreundInnen der Genossenschaft oder der BewohnerInnen selbst. Den größten Teil, also 80 Prozent, stellte die Gemeinschaftsbank Leihen und Schenken (GLS) zur Verfügung. Auch hier konnten günstige Konditionen ausgehandelt werden, da sich Menschen bereit erklärten, für die aufgenommene Summe gegenüber der Bank zu bürgen. Die Bedingungen sind auch deshalb so tragbar, da sich die GLS vor allem auf finanzielle und konzeptionelle Unterstützung von selbstverwalteten Betrieben und alternativen Projekten versteht. Sie hat sich seit Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik weit über ihre anthroposophische Herkunft einen Namen gemacht. Sie wird die SOG sicherlich auch beim Erwerb der nächsten Häuser beraten und unterstützen.

Das ist schon durchgerechnet

Schon sehr früh hatte die SOG Pläne entwickelt, wie die Kredite über die Mieteinnahmen gedeckt werden. Das endgültige Finanzierungskonzept wurde letztlich mit Hilfe der Bank gestaltet. Die Kreutziger Straße 23 wird bereits in siebzehn Jahren schuldenfrei sein. Bis dahin müssen die BewohnerInnen 2.50 DM pro m2 monatlich mehr zahlen, sogenannte Kapitalkosten. Bei einer Grundmiete von 2,40 DM/m2 und Betriebskosten von 1,50 DM/m2 errechnen sich 6,40 DM/m2 für die nächsten siebzehn Jahre.

In die Miete sind Kosten für notwendige Baumaßnahmen bereits einkalkuliert. Es sollen Stromleitungen gelegt und eine Zentralheizung und Bäder eingebaut werden. "Als wir das Haus noch besetzt hatten, mußten wir uns mit kaputten Glühbirne im Treppenhaus, dem Streß mit den Politikern, der Kriminalisierung gegenüber Hausbesetzung und der Konfrontation mit den grünen Männchen herumschlagen" erinnert sich Andreas Baier. Diese Belastung weicht jetzt der Verantwortung "was die Bausubstanz angeht, daß wir uns um das Haus kümmern müssen." Aufgrund der scharfen Kalkulation und umfassender Eigenleistungen bleibt die Miete auf lange Sicht so niedrig. Das ist ja gerade der große Unterschied gegenüber privaten VermieterInnen: Profitmaximierung spielt für Genossenschaften keine Rolle, gibt es doch keinen, der gewinnen möchte und also auch keine Gewinnspanne zwischen dem Eigentum und dem Besitz an Wohnraum.

Die Gründungsgenossinnen und -genossen haben dafür gesorgt, daß die elf Wohnungen in der Kreutziger Straße 23 langfristig dem Immobilienmarkt entzogen bleiben. Ganz im Sinne des traditionellen Genossenschaftsgedankens kann nur die absolute Mehrheit also 2/3 aller GenossInnen über den Verkauf von genossenschaftseigenen Häusern befinden. Kein Aufsichtsrat oder Vorstand allein, aber auch keine Hausgemeinschaft. Insofern hält Veronika Gottmann, ebenfalls Gründungsmitglied der SOG, andere sogenannte bewohnernahe Genossenschaften eher für Zwischenerwerber. Deren niedrige Hürde beim Verkauf von genossenschaftlichem Wohnraum legt für sie den Sprengsatz an das wirtschaftliche Gebäude einer Genossenschaft.

Beteiligung der BewohnerInnen basisdemokratisch

Jedes Mitglied, unabhängig davon, wieviele Anteile es erworben hat, verfügt in der SOG über eine Stimme in der Mitgliedervollversammlung. Aber die Besonderheit sind die Wohngruppen in den Häusern, die autonom darüber entscheiden können, wer bei ihnen mit einzieht. Auch bleibt es dem Plenum dieser Hausgemeinschaft überlassen, wie die Wohn- und Gemeinschaftsräume jeweils genutzt oder in welchem Umfang Sanierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. So haben die Bewohnerinnen und Bewohner den Umfang ihrer Miete in der Hand. Die ehemaligen BesetzerInnen bleiben konkret für "ihr Haus" verantwortlich. So mußten auch mindestens 3/4 aller in der Kreutziger Straße 23 lebenden BesetzerInnen den Ankauf unterstützen, damit sich die SOG überhaupt um das Haus bemühte " das haben die GenossenschaftsgründerInnenn mit der Satzung festgelegt. Mittlerweile sind sogar 15 der 20 BewohnerInnen Mitglied der Genossenschaft geworden.

Übergang schwierig

Sicherlich, der Übergang vom Besetzer- zum Mieterstatus geht nicht reibungslos und ist für manche BewohnerInnen der Kreutziger Straße 23 unüberwindbar. Der Kitzel, in einem besetzten Haus zu wohnen, etwas legitimes jedoch mietrechtlich nicht legales zu tun, weicht einem eher bürgerlich anmutenden Alltag. Und als GenossenschaftlerIn ist seit dem 1. März jede leckende Dachrinne ein Instandsetzungsproblem und eben kein Mietminderungsgrund mehr.

Die SOG könnte ein Beispiel sein

Doch mit der SOG entzieht in Berlin eine Gemeinschaft auf Grundlage des Genossenschaftsmodells dem Immobilienmarkt Restitutionshäuser. Ein Beispiel, das für andere Häuser Schule machen kann. Die SOG verhandelt bereits für weitere Häuser, die BewohnerInnen unterstützen mehrheitlich die Kaufabsichten und es gilt nur noch grünes Licht von den VerkäuferInnen und dann von den jeweiligen KreditgeberInnen zu bekommen. Vorausgesetzt daß die BewohnerInnen nicht doch noch vorher geräumt werden. Sicher ist, daß die schwerste Hürde, der Erwerb der ersten Immobilie, genommen wurde. Die SOG tritt den Beweis an, daß Wohnungsbewirtschaftung und Wohnraumspekualtion nicht unbedingt zusammengehören müssen. Genossenschaft heißt, daß immer nur gemeinschaftlicher Besitz gebildet wird, die Verfügungsgewalt über die Wohnung besteht nur solange sie bewohnt bzw. genutzt wird. Wer auszieht gibt die Wohnung an die Genossenschaft zurück und tauscht sie gegen eine andere zum Bewohnen und Nutzen. Und wer Austritt erhält nur seinen Genossenschaftsanteil zurück.

wj


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