MieterEcho
Nr. 259 - November/Dezember 96

Milieuschutz gegen Verdrängung
Fünf Jahre Milieuschutzsatzung im Moabiter Stephankiez

Eigentlich ist der Stephankiez in Moabit ein ganz normales Gründerzeitquartier. Rund 11.000 Bewohner, ein Viertel davon ausländischer Herkunft, leben in den 5.300 Wohnungen des Gebiets, das von der Quitzowstraße im Norden, der Perleberger Straße im Osten und der Putlitzstraße im Westen begrenzt ist. Daß der Stephankiez als traditionelles Kleine-Leute-Viertel weit über die Moabiter Grenzen hinaus bekannt geworden ist, verdankt er einem anderen Umstand: Als erstes Berliner Altbauquartier wurde der Kiez rund um den Stephanplatz im November 1991 als Milieuschutzgebiet ausgewiesen, um die Bewohner/innen vor der Verdrängung durch Luxusmodernisierungen zu schützen.
 
1991: Hausbesitzer sehen "Modernisierung hinter Gittern"
 
Mit Kritik hatten die Gegner einer solchen "Zwangsmaßnahme" vor fünf Jahren nicht gespart. So luden zum Beispiel die Hauseigentümer zu einer Veranstaltung unter dem Titel "Wohnungsmodernisierung hinter Gittern". Aber auch in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die für die förmliche Festlegung der Milieuschutzgebiete verantwortlich ist, war man skeptisch. Was im Baugesetzbuch zum Schutz vor negativen städtebaulichen Entwicklungen vorgesehen ist und in München und Nürnberg erfolgreich angewendet worden war, betrachtete man im seinerzeitigen Hause Hassemer als "investitionshemmende Käseglocke".
 
1996: "Investitionshemmung" hat nicht stattgefunden
 
Heute, fünf Jahre später, sind freilich alle zufrieden: das Bezirksamt als Genehmigungsbehörde, der Sanierungsträger, der Senat und selbst die Hauseigentümer. Von Investitionsblockade jedenfalls kann keine Rede sein. 169 Bauanträge wurden allein in den ersten drei Jahren nach dem Aufstellungsbeschluß und der Bestätigung durch den Senat eingereicht. Bei einem knappen Drittel davon handelte es sich um Modernisierungsanträge, 25 Prozent wollten lediglich Instandsetzungsmaßnahmen durchführen, 19 Prozent beantragten den Dachgeschoßausbau und schließlich acht Prozent eine Zweckentfremdung. Daß die Vorstellungen der Hauseigentümer mit den städtebaulichen Zielen des Bezirks zumeist in Übereinkunft standen, belegt die hohe Quote an Genehmigungen: 84 Prozent der Bauanträge wurden vom Stadtplanungsamt genehmigt, 46 Prozent davon uneingeschränkt und 32 Prozent nach "Modifizierung".
 
Signal gegen Luxusmodernisierung
 
Hinter diesem scheinbar undurchdringlichen Zahlendickicht verbirgt sich nach Auffassung von Gerald Schäfer vom Moabiter Sanierungsträger S.T.E.R.N. allerdings die ganze Philosophie der Milieuschutzgebiete. "Die letzten Jahre haben uns gelehrt", sagte Schäfer, "daß Milieuschutzverordnungen vor allem eine Signalfunktion gegenüber Eigentümern haben, daß nicht alles möglich ist". Die hohe Genehmigungsquote ist dennoch nicht Beleg dafür, daß die Gilde Berliner Hausbesitzer plötzlich ihr soziales Gewissen entdeckt hat, sie ist vielmehr Ergebnis zäher Verhandlungen im Vorfeld einer Modernisierungsmaßnahme, bei denen dem Eigentümer bewußt gemacht wird, daß ein Bauantrag nur Aussicht auf Genehmigung hat, wenn die Maßnahme auch sozialverträglich ist.
 
Mietobergrenzen gegen Vertreibung
 
Dreh- und Angelpunkt der Milieuschutzsatzung ist dabei die Festlegung von Mietobergrenzen. Mit diesem gebietstypischen "Mietspiegel" soll exakt jene Grenze abgesteckt werden, deren Überschreitung zwangsläufig mit dem Auszug eines Mieters enden würde. Ein Wundermittel gegen Vertreibung und für den Erhalt der für die Gründerzeitquartiere so typischen "Berliner Mischung" der Wohnbevölkerung ist der Milieuschutz allerdings nicht. "Insbesondere bei den Gewerbemietern", sagt der Baustadtrat von Tiergarten, Horst Porath (SPD), "können wir nicht verhindern, daß die Miete in die Höhe getrieben wird. Was der Bezirk verhindern kann, ist einzig, daß ein Bäckerladen in einen Videoshop umgewandelt wird."
 
Auch Horst Porath, der sich von Anfang an für das Experiment mit dem Milieuschutz stark gemacht hat, ist heute zufrieden. "Eine Verdrängung der Bewohner", sagt er, "ist im großen und ganzen ausgeblieben". Im Vergleich zu anderen Kiezen wie etwa in Prenzlauer Berg, wo einer Studie von Topos zufolge über 40 Prozent der Hausbewohner nach Privatmodernisierung ausziehen mußten, ist das durchaus ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. Vor allem, wenn man berücksichtigt, daß aufgrund der Haushaltslage auch im Stephankiez vorwiegend mit privaten Mitteln modernisiert wird.
 
Milieuschutz auch in Ex-Sanierungsgebieten
 
Das Moabiter Beispiel hat mittlerweile Schule gemacht. Milieuschutzgebiete gibt es nun auch im Kreuzberger Graefe-Kiez und der Luisenstadt, der Schillerpromenade in Neukölln und dem Beussel- und Huttenkiez in Moabit. In zahlreichen anderen Gebieten vor allem im Osten der Stadt haben die Bezirksverordnetenversammlungen bereits Aufstellungsbeschlüsse gefaßt. Vor allem in den Kiezen, die außerhalb der festgelegten Sanierungsgebiete liegen, soll die Bevölkerung so vor Verdrängung geschützt werden. Darüber hinaus ist an eine Festlegung von Milieuschutzsatzungen auch für diejenigen Quartiere in Westberlin gedacht, die vor zehn oder 15 Jahren als Sanierungsgebiete ausgewiesen waren und deren Abwicklung (soll heißen Reprivatisierung, weil in diesen Gebieten viele Grundstücke zwecks Sanierung vom Land Berlin seinerzeit erworben worden waren) nun bevorsteht.
 
Daß das "dämpfende Instrument gegen unkontrollierte Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse" (S.T.E.R.N.) mittlerweile auch in der Stadtentwicklungsverwaltung auf offene Ohren stößt, ergibt sich aus dem Umstand, daß diese Senatsverwaltung nun den Bezirken bei der Ausweisung von Milieuschutzgebieten mehr Mitspracherechte einräumt.
 
Baurecht unzureichend für den Schutz der Sozialstruktur
 
Weiterhin problematisch bleibe allerdings, sagt der Stadtforscher Siegmar Gude vom Institut Topos, die städtebauliche Begründung. Im Baugesetzbuch ist nämlich ausdrücklich nicht der Erhalt der sozialen Struktur, sondern die Verhinderung negativer städtebaulicher Folgen vorgesehen. Vor allem beim "Pilotprojekt" Stephankiez mußte daher 1991 erst einmal nachgewiesen werden, daß das Kind vielerorts bereits in den Brunnen gefallen war, das heißt, daß die negativen Folgen der Vertreibung - etwa eine veränderte Gebietsbindung - bereits Realität ist. Inzwischen haben aber auch die Gerichte signalisiert, daß sie die Vorgaben der Milieuschutzgebiete weitgehend akzeptieren.
 
München: Milieuschutz auch als Schutz vor Umwandlung
 
Gleichwohl kann in Berlin noch keine Rede davon sein, München als Milieuschutzhauptstadt abgelöst zu haben. Während in Berlin seit der Entscheidung der Karlsruher Gerichte *) die Welle von Umwandlungen in Eigentumswohnungen weitergeht, hat das Münchener Stadtplanungsamt damit begonnen, in den 21 Milieuschutzgebieten der Stadt auch den Kampf gegen die Umwandlung aufzunehmen. Insbesondere das im Baugesetz vorgesehene Vorkaufsrecht der Gemeinde ermöglicht es, so der Münchener Planungsreferent Helmut Auernhammer, von den Eigentümern eine "Abwendungserklärung" zu verlangen. Im Klartext: Die Eigentümer sollen erklären, daß sie nicht umwandeln, ansonsten kauft ihnen die Gemeinde ihr Grundstück zum Verkehrswert vor der Nase weg, um es anschließend an einen "abwendungswilligen" Käufer zu veräußern. In Berlin freilich ist man von diesem offensiven Vorgehen zum Schutz der Mieter/innen noch weit entfernt.
 
Uwe Rada
 
Anmerkung
*) Entscheidung vom 1.7.92 zur erleichterten Ausstellung von Abgeschlossenheitsbescheinigungen für Wohnungen; solche Bescheinigung ist die Voraussetzung für die Umwandlung

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