MieterEcho
Nr. 270 - August/September 1998

Blockwarte am "Runden Tisch"
Kriminalprävention als kommunales Quartiersmanagement?

Der Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Hans-Jörg Albrecht, rief unlängst einige Fakten in Erinnerung (Kury 1997): "Die Sicherheitslage der Städte einzuschätzen" sei äusserst schwierig, denn "verlässliche Indikatoren hierzu gibt es nicht", objektiv gebe es in den letzten zehn Jahren wenig Bewegung in den Kriminalitätsraten der Grossstädte, subjektiv rangiere "innere Sicherheit, verstanden als Meinungen über Kriminalität," in den hinteren Rängen, "wenn in Befragungen die Probleme nicht vorgegeben werden". Dann stehen vielmehr Angst vor Arbeitslosigkeit, steigenden Lebenshaltungskosten, Gesundheits- und Umweltprobleme im Vordergrund. Selbst wenn konkret nach Angst vor Straftaten gefragt wird, liegt die Angst vor Umweltkriminalität auf Platz eins.

Subjektive Unsicherheitsgefühle stehen, so die einheitliche Position unter WissenschaftlerInnen und Polizeifachleuten, in keinem Zusammenhang mit den tatsächlichen Kriminalitätsraten, die ebenfalls mit Vorsicht zu geniessen seien, wie dies gerade für die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) immer wieder betont, aber von politischer Seite gern ignoriert wird (Kury 1997). "Empfohlen wird deshalb", so Albrecht weiter, "die subjektive Sicherheitsdimension einzubinden in ein Konstrukt oder Konzept der Zufriedenheit mit der Umwelt etc". Hier nun schlägt die Stunde sogenannter Kriminalpräventiver Räte. Auf Bezirks- oder Gemeindeebene angesiedelt, treffen unter Federführung etwa des Bürgermeisters die diversen Verwaltungen, Polizei, Privatwirtschaft - und selten die BewohnerInnen selbst - zusammen, um "ressortübergreifend", "kommunal-" und "problemorientiert", "präventiv" und was der Begriffe mehr sind, "kommunale Sicherheitspolitik" zu betreiben. Jugendarbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, fehlende Investitionen von Wohnungsbaugesellschaften etwa ins Wohnumfeld, Streichungen in den Jugend-, Sozial- und Arbeitsmarktbudgets, damit in Zusammenhang stehende Segregation, die sich ausweitende Kluft zwischen Arm und Reich werden dort unter der überschrift "Bekämpfung von Kriminalität" und "Kampf der Verwahrlosung" abgehandelt. Damit hat sich auch ein weites Feld für die sozialwissenschaftlich-akademische Zunft, für Sozialpädagogen, Spezialeinheiten der Polizei, Versicherungen und Prokuristen verschiedener Kaufhauskonzerne, für - last but not least - Politiker aller Couleur aufgetan, deren Hunger nach symbolischer Politik offensichtlich unstillbar ist und dem getrost - zumindest bis Ende September - weiteres Wachstum vorausgesagt werden darf.

Zwei Elemente dieses seit gut zehn Jahren in der Bundesrepublik zu beobachtenden booms von Konzepten kommunaler Kriminalprävention verdienen dabei besondere Beachtung. Erstens erlebt unter der überschrift "Kriminalität" klassische Gemeinwesenarbeit in zeitlich befristeten, häufig über ABM finanzierten Stellen eine kriminogene Renaissance, während zeitgleich (wie in den vergangenen Jahren) die Etats etwa für die Felder Jugend- und Sozialarbeit zusammengestrichen werden. Das Neuköllner "Modellprojekt zur kiezorientierten Gewalt- und Kriminalprävention" z.B. krankt nicht nur an fehlender Unterstützung durch Bezirk und Wohnungsbaugesellschaft, wenn es um signifikante Verbesserung der Lebensbedingungen geht, sondern ist sich selbst bei einer geplanten Laufzeit von lediglich zwei Jahren der Finanzierung der zweiten Hälfte völlig ungewis - schlechte Voraussetzungen dafür, Langzeitarbeitslosen, SozialhilfeempfängerInnen oder (ausländischen) Jugendlichen ohne Lehrstelle Perspektiven zu vermitteln. Mehr als traditionelle Jugendarbeit, so sozialdemokratische Kritiker, komme (daher) ohnehin kaum heraus - abgesehen vielleicht von der engeren Zusammenarbeit mit der Polizei, die bundesweit und unisono gefordert und gefördert wird. Zu deren Aufgabenbereich gehört nun aber gerade nicht die "Verbesserung der Lebensbedingungen von Jugendlichen", wie sie das Kinder-Jugend-Hilfegesetz (KJHG) vorsieht, sondern im Präventionsbereich schlicht die Verhinderung von Straftaten. Auch Lehrstellen oder Arbeitsplätze werden weder durch Polizei noch durch kiezorientierte Kriminalprävention geschaffen. So oszillieren viele der bundesrepublikanischen Programme und Projekte ursachenfern zwischen Polizeizuträgerschaft, dem Einüben von "Armut in Demut" und der Initiierung einer "Gemeinschaft der Wohlanständigkeit" - Graffiti-Beseitigung inklusive.

Oder aber, und Schleswig-Holstein hatte hier Schrittmacherfunktion, sie dienen gleich der verschärften Repression - durch vermehrte Kontrollen auf öffentlichen Strassen und Plätzen, Förderung der Denunziation durch Anwohner und Geschäftskunden und der Verhängung kollektiver Hausverbote für Ladendiebe, so etwa der Kriminologe Werner Lehne (1996). Damit ist eine zweite Innovation im Rahmen dieser an sich alten Präventionsideen angesprochen: die Zusammenarbeit von politischer Führung und kommunaler Verwaltung mit der Privatwirtschaft. Was rund um die als "Runde Tische" bezeichneten Gremien als Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen im bürgernahen demokratischen Diskurs daherkommt, entpuppt sich allzu häufig als die intensivierte Durchsetzung ohnehin übermächtiger Profit- und Ordnungsinteressen - fernab einer demokratischen Organisierung von Sozialpolitik und unter weitgehender Abstinenz der viel beschworenen Kiezbevölkerung, von der zahlenmässig relevante Teile sich ohnehin nur dann sehen lassen, wenn angekündigt ist, es werde die Rede sein von "Ausländerbanden", der "Bringschuld der Gäste" und dem Schleifen der "Ghettos" wenn also auf dem nächstunteren Rang im Feld kommunaler Kriminalprävention, den MigrantInnen, herumgetrampelt werden kann.

Allenthalben besteht bei den Akteuren darüber hinaus der Wunsch, es mögen sich die Verbreitung von Sicherheits- und Moralpaniken durch die Aktivierung kommunaler Akteure in Netzwerken so eindämmen lassen, das im Sinne Foucaults aus den Bewachten zugleich Wächter und aus den als "sozialen Brennpunkten" bezeichneten "Krisengebieten" sich selbst regulierende Armutsquartiere werden mögen. Denn, und dafür ist etwa der mehrhundert Seiten starke "Infopool Prävention" des Bundeskriminalamtes schöner Beleg (Babl/Bässmann 1998), um eine Verbesserung der sozialen Lage der Quartiersbevölkerung geht es schon lang' nicht mehr. Und irgendwie scheint sich das europaweit und in den USA (die sich des community policing schon seit den 70er Jahren bedient) bei der betroffenen (Armuts-)Bevölkerung auch herumgesprochen zu haben. Denn im Sinne ihrer Protagonisten "funktionierende" kommunalpräventive Räte finden sich unter dem gehobenen Mittelstand und gelten, mit Aragon, eher für "Die Viertel der Reichen". Das immerhin erklärt, warum sich neben den sattsam bekannten hardlinern auch Strieder-Sozis, Frascati-Grüne und PDS-Bohemiens für solcherart Sozialpolitik erwärmen mögen.

Volker Eick

Zum Weiterlesen:

Babl, Susanne/Bässmann, Jörg (Hrsg.) 1998: Kriminalprävention in Deutschland und Europa. Akteure, Modelle, Projekte. Ausgewählte Dokumente aus dem "Infopool Prävention" (2. aktualisierte und fortgeschriebene Ausgabe), Selbstverlag, Wiesbaden

Kury, Helmut (Hrsg.) 1997: Konzepte Kommunaler Kriminalprävention. Sammelband der "Erfurter Tagung" (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Kriminologische Forschungsberichte, Band 59), edition iuscrim, Freiburg/Brsg.

Lehne, Werner 1996: Präventionsräte, Stadtteilforen, Sicherheitspartnerschaften. Die Reorganisation des Politikfeldes "Innere Sicherheit", in: Trutz von Trotha (Hrsg.): Politischer Wandel, Gesellschaft und Kriminalitätsdiskurse. Beiträge zur interdisziplinären wissenschaftlichen Kriminologie. Festschrift für Fritz Sack zum 65. Geburtstag, Nomos Verlag, Baden-Baden 1996, S. 299-319

 
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