MieterEcho
Nr. 270 - August/September 1998

Was ist das - ein Quartiersmanager?

Interessenten sind bereist reichlich vorhanden, auch wenn kaum jemand weis, um was es eigentlich geht. Herr Strieder tut sich schwer, gebotene Abhilfe durch Aufklärung über die Aufgaben des Quartiersmanagers zu schaffen. Ob er nicht kann, weil er allzu sehr in der parzellierten, kleinkammerigen Denkweise seiner Berater befangen ist oder Konkretes lieber überfliegt, oder weil zutrifft, was Max Welch-Guerra über ihn sagt, - "er hat eine Heransgehensweise und Politik, die relativ unabhängig ist vom Politikfeld und Programm. Er ist ein moderner Machtpolitiker, der die öffentlichkeit einsetzt, aber sehr gezielt strategisch denkt und Bündnispolitik betreibt" -, mus offen bleiben. Sein Hamburger Kollege Dr. Mirow, der dortige ehemalige Senator für Stadtentwicklung und jetzige Wirtschaftssenator, wurde auf der oben erwähnten Veranstaltung deutlicher.

Für die Quartiersentwicklung diagnostizierte Dr. Mirow Arbeitslosigkeit als eine der wesentlichen Ursachen der "Verarmung und Verwahrlosung". Er folgerte daraus, das man sich in Deutschland die Frage nach einem Arbeitsmarkt für einfache Dienstleistungen zu stellen habe, weil eine Rückkehr von industriellen Arbeitsplätzen nicht erkennbar sei. Eine Kaufkraftnachfrage nach einfachen Dienstleistungen sei vorhanden und könne befriedigt werden, indem Kombinationen von Lohnentgelt und Sozialtransfers ausreichende Erwerbsanreize böten.

Er meint, die neuen urbanen Eliten oder diejenigen, die sich gerne dafür halten, wie Stadttheoretiker etc., bräuchten z.B. dringend Zugehfrauen. Diese Besserverdienenden könnten denen dann DM 5,- pro Stunde zahlen, das Sozialamt würde noch einmal DM 2,50 draufpacken, und alle wären glücklich.

Die Entfernung zu seinen Hamburger Wählern gestattete Herrn Dr. Mirow sodann, einen global begründeten Zwang zur "Harmonisierung der Steuerbedingungen" - als Umschreibung für Steuernachlässe an Unternehmer und Besserverdienende - auszumachen. Als Ausgleich appellierte er an die Unternehmer, sich mit ihren "Renditemöglichkeiten" stärker in den Bereichen zu engagieren, wo die Rendite schmaler ist, "wo man weniger verdienen kann, wo man aber dazu beiträgt, das das Gemeinwesen insgesamt funktionsfähig bleibt". Welcher hartgesottene Unternehmer könnte solch reinherzige Anrufung seines sozialen Gewissens, noch dazu aus Dankbarkeit für Steuergeschenke, unbeachtet lassen?

Beide Aspekte leiten direkt zum Quartiersmanagement hin. Wer dafür geeignet ist, kann man der schon längst gemachten Hamburger Erfahrung entnehmen, "denn es war der Kern in der Umsetzung des Programms Armutsbekämpfung oder soziale Stadtentwicklung". "Eine unglaublich anspruchsvolle Aufgabe," so Dr. Mirow mit starker Betonung auf "unglaublich", "denn Quartiersmanagement ist in Wahrheit Surrogat für nicht mehr funktionierende administrative und politische Strukturen." Gefordert sei ein neues Berufsbild für solche Menschen. In Hamburg habe man zurückgreifen müssen auf einen Bereich, den er nicht für geeignet halte, "nämlich dem eher sozialarbeiterischen Hintergrund". Unternehmerisch tätig sein müssen die Quartiersmanager, doch dies mit sozialem Gewissen, mit sozialen Kenntnissen, mit sozialer Verantwortung. "Bis hin zu äusserlichkeiten, das die wissen, das, wenn man zum Handwerker geht oder zum Einzelhändler, man sich einen Schlips umbindet."

Man verstehe das richtig. Die Aufgabe des Quartiersmanagers ist nicht die sozial-ökonomische Stabilisierung der Opfer einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich in Arbeitslosigkeit, Nominaleinkommensverlust, Abbau von Sozialleistung und Versorgung mit kommunalen Einrichtungen ausdrückt. Die Aufgabe ist auch nicht, die emanzipativ-politische Unterstützung einer sozial degradierten Bevölkerung, mit dem Ziel, sich nachhaltiger für die eigenen Belange einsetzen zu können, sondern die Verbesserung des Standortes "Quartier". Die seit Jahren in der Literatur beschriebene "Unternehmerische Stadt", die sich als Produktionsstätte von Standortfaktoren begreift, und durch den Politikertyp "Stadtmanager", dem sich auch Herr Strieder zurechnet, exekutiert wird, soll hier ihre feinstrukturelle Untersetzung erhalten. Entscheidend ist, und die Fachwelt stimmt in dieser Einschätzung weitgehend überein, das gerade diese ausschliesslich um den Investor bemühte Standortpolitik die soziale Polarisierung enorm verstärkt. Konnte man noch vor ca. 20 Jahren hoffen, das die von einer Kommune unternommenen Aufwendungen für Gewerbeansiedlungen im Erfolgsfalle einerseits erhöhte Steuereinnahmen bewirken und andererseits die durch die örtliche Bevölkerung zu befriedigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitsplätzen erweitern würden, so hat sich inzwischen weltweit gezeigt, das dieser Zusammenhang nicht mehr existiert.

Die Deindustrialisierung der Städte ist einer Form der Rationalisierung geschuldet, bei der nicht der erhöhte Produktenausstos mit gesteigertem Einsatz von Maschinen und gleichzeitiger Verringerung der Anzahl der Beschäftigten zustande gebracht wird, sondern durch komplettes Outsourcing ganzer Produktionsstufen und der Auflösung der entsprechenden Betriebsteile. Die in den Städten verbleibende und sich neu ansiedelnde Kontrolle und Steuerung über Produktiv- und Finanzkapitalströme sowie die dazu gehörenden produktionsorientierten Dienstleistungen in irgendwelchen Gewerbeparks bieten nur einer immer schmaler werdenden Elite hochbezahlte, aber sozial vollkommen unregulierte Arbeitsplätze. Diese neuen urbanen Eliten können auch aus der Stadt stammen, in der sich die Konzernzentralen ansiedeln, werden aber in der Regel importiert. Die ersatzlos um ihre "fordistischen" Arbeitsplätze gebrachte städtische Bevölkerung hingegen stellt das Reservoir für die neue urbane Unterklasse dar.

Wenn der krawattengeschmückte Quartiersmanager wirklich erfolgreich sein will, dann hat er seinen Beitrag dazu zu leisten, das sich einerseits die Erwerbsbedingungen in den Quartieren angleichen (stärker denen in den asiatischen Regionen, wo z.B. adidas seine hier so beliebten Sportschuhe produziert), und andererseits die Eignung der neuen Unterklasse für niedere Dienstleistungen zur Entlastung der neuen Eliten gestärkt wird. Gelingt ihm das mit Hilfe der lokalen Behörden, der restlichen sozialen Einrichtungen, der Schulen, der Polizei etc., dann braucht er nur noch das Kapital, pardon, die Investoren zu überzeugen, das ihnen sein Wirken renditeträchtige Früchte beschert, und er hat seine, fürwahr, interessante Aufgabe erfüllt.

Chaim Reich

 
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