MieterEcho
Nr. 270 - August/September 1998

Verarmung und steigende Mieten

Das sog. Häussermann-Gutachten "Sozialorientierte Stadtentwicklung", auf das sich auch Karin Baumert in ihrem Beitrag bezieht, bildet die theoretische Rechtfertigung für die striedersche Strategie des Quartiersmanagements. Dieses Gutachten betrachtet nicht nur die Prozesse des sozialen Abstiegs von Quartieren durch Arbeitslosigkeit und Realeinkommensverlust seiner Bewohner, sondern versucht, die Degradation der Kieze vor allem an der "selektiven Wanderungsbewegung", d.i. der Wegzug Besserverdienender, festzumachen. Eine ausserordentlich pfiffige theoretische Wendung, denn sie gestattet, die Politik des Hauses Strieder zugunsten Besserverdienender mit dem Etikett der Sorge um den "Erhalt der sozialen Durchmischung" zu versehen. Förderung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Subventionierung des Erwerbs von Wohneigentum, Verzicht auf sozial stabilisierende Instrumente wie Milieuschutz- oder Erhaltungssatzungen und "ästhetische" Verbesserung des Wohnumfelds auf Kosten sozialer Massnahmen (Erhalt von Kindertagesstätten, Schulen und sonstigen sozialen Einrichtungen) sind die Elemente einer zutiefst antisozialen Politik, die es aber eigenartiger Weise immer wieder versteht, sich fortschrittlich zu geben. So werden die Quartiere stabilisiert, indem man Besserverdienende zu halten versucht und den Opfern der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung anheim stellt, sich sonstwohin zu scheren. Eine möglicherweise früher durchaus einmal demokratische Fachöffentlichkeit hat sich inzwischen zum grossen Teil längst zu einer Szene verkleistert, deren Abnickbedürfnis dem der Funktionärsgarde im realsozialistischen Zentralkomitee kaum nachsteht. Eine der wenigen kritischen äusserungen stammt von Sigmar Gude von TOPOS. Er nimmt wir folgt Stellung:

"Man sollte sich bei der ganzen Diskussion weniger auf die Betrachtung der selektiven Wanderung fixieren. Topos hat gerade eine Untersuchung über SO 36 abgeschlossen, und die zeigt im Vergleich zu 1993 deutlich, das das Verarmungsproblem sehr viel gravierender als das Wanderungsproblem ist. Insofern denke ich, auf dieser Schiene wird eine falsche Diskussionen befördert, vergleichbar der Diskussion von Schönbohm, derzufolge sich die Ausländer in den Ghettos verschanzen würden. Wenn man die Daten genauer betrachtet, stellt man auch da fest, das das nicht der Fall ist. Fakt ist, das sich zwar die Einkommenstruktur gar nicht so sehr verändert hat, aber die Einkommen sehr viel langsamer gewachsen sind als die Geldentwertung und das bei den ausländischen Haushalten neben einem Realeinkommensverlust auch ein Nominaleinkommensverlust zu beklagen ist. Das heisst, wir haben eine Verarmung. Zu dieser Verarmung kommt ein zweiter Punkt, der hier meines Erachtens zu wenig diskutiert wurde. Es wundert mich, das Armin Henschel nichts dazu gesagt hat. Wir haben gleichzeitig eine enorme Mietentwicklung in diesem Gebiet. Diese derartig überhöhte Mietentwicklung beträgt zum Teil das zwei- bis dreifache dessen, was die Einkommensentwicklung ausmacht. Wir beruhigen uns zur Zeit damit, das es in Berlin insgesamt relativ viele Wohnungen gibt und die teuren Wohnungen im Preis absinken. Das bezieht sich, wir haben es bei beiden Mietspiegeln - in Ost wie in West - gesehen, nicht auf Altbauten. Die sind enorm angestiegen. Und das sind genau die wichtigen Probleme. Schliesslich braucht man nur noch das eine mit dem anderen zu verbinden und dann wird man feststellen, warum denn die lokalen Gewerbe, die Händler usw. dort so viele Schwierigkeiten haben. Da ist einfach keine Kaufkraft mehr vorhanden. Die Gewerbetreibenden interessiert es wahrscheinlich relativ wenig, wie die Ordnung vor ihren Läden aussieht, wenn diejenigen, die die Läden betreten, viel weniger zum Ausgeben haben. Das heisst also, das Mietproblem mus einfach sehr viel mehr in die zentrale Betrachtung rücken."

 
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