MieterEcho
Nr. 270 - August/September 1998

Brauchen wir ein neues Kiezmanagement oder wer nimmt unser Leben in die Hand?

Wir können wieder hoffen. Der zuständige Senator für Stadtentwicklung, Herr Strieder, hat sich bereits in der Vergangenheit durch seinen Weitblick in der Stadtentwicklung ausgezeichnet. Er behandelte so epochale Fragen der Stadtentwicklung, wie die striedersche Interpretation von Schinkel am Lustgarten - mit dem Ergebnis, das viel Geld für eine Grossbaustelle vor dem Alten Museum ausgegeben wird. Das Pendant auf dem Schlossplatz ist aber bis heute ungeklärt, die Denkmalwürdigkeit bestehender und vergangener Gebäude scheinbar im politisch freien Fall. Oder denken wir nur an das kulturpolitisch bedeutende Ereignis dieser Metropole, die Eröffnung der Gemäldegalerie. Der Senator hat es doch tatsächlich geschafft, uns mit dem Fortsetzungsroman zur Umsetzung des BKA-Zeltes auf die eigentlich wichtigen Themen dieser Stadt zu lenken: Zahlen wir dieser Kulturszene nun noch die Umzugskosten oder nicht? Ausserdem konnten wir den "Hase und Igel- Wettlauf" zwischen Herrn Klemann und Herrn Strieder auf der Mittelpromenade Unter den Linden miterleben, nach dem Motto, wer hat die schönste Hecke und die historisch exakte Wiedergewinnung vollbracht. Unterschiede in der Heckengestaltung sind also durchaus beabsichtigt und lassen auf den Weitblick des jeweils sich verantwortlich fühlenden Senators schliessen. Nun aber wird es ernst! Während Senator Klemann sein Geld für einen Wettbewerb ausgibt, um die Form der Bänke, Lampen, Papierkörbe und Imbissbuden auf der Mittelpromenade als unverwechselbares Design unserer Zeit herauszufinden, bemüht Herr Senator Strieder die stadtsoziologische Wissenschaft persönlich, um herauszufinden, was er noch tun kann, um die soziale Entwicklung dieser Stadt positiv zu beeinflussen. Leider war es nicht die Aufgabe des Gutachtens, seine bisherige Politik auf die sozialen Folgen hin zu untersuchen. Das hätte u.U. ganz andere Schlussfolgerungen gebracht. Aber bleiben wir zunächst einmal beim Anliegen der Studie und kommen noch einmal auf die unmittelbare Verantwortung von Kommunalpolitik zurück.

Die größte Erkenntnis der Studie besteht ohne Zweifel darin, das es so nicht weitergehen kann. Eine Erkenntnis, die wir alle ohne eine wissenschaftliche Studie nicht herausgefunden hätten. Ein weiterer, besonders für den Auftraggeber nicht zu unterschätzender Vorzug der Auftragsforschung ist die Darstellung der Stadtentwicklung als quasi naturgegebener Prozes. Das, was alle Grossstädte der westlichen Welt seit ca. 2 Jahrzehnten als grundlegende Veränderung sozialräumlicher Strukturen erleben, man könnte es - laut Studie - auch mit den Begriffen Polarisierung, Spaltung der Stadt oder soziale Ausgrenzung belegen, wird in Berlin nach Auffassung der Autoren für möglich gehalten. Was die WestberlinerInnen mit dem Ende der Subventionspolitik befürchteten und die OstberlinerInnen zum Teil seit dem Einigungsvertrag ahnten, mindestens jedoch seit drei Jahren zunehmend befürchten: Auch in Berlin werden die Mieten steigen, die Unternehmer ins Zentrum ziehen, die Stadt scheinbar all die Fehler der letzten 20 Jahre wiederholen. Leider hat die Stadtsoziologie in den letzten fünf Jahren in diese Vorgänge nicht eingegriffen, so das wir also froh sein können, mindestens die späte Erkenntnis der Wissenschaft zu erleben. Allerdings werden in der Beschreibung der Probleme die eigentlichen Zusammenhänge zwischen Kapital, Markt und Stadtraum systematisch ausgeblendet, die Rolle der Politik nicht einmal thematisiert. Selbst in den Begriffen wird nicht von zunehmender Verelendung grosser Teile der Bevölkerung gesprochen, sondern von stärkerer Spreizung der Einkommensverteilung ein Schelm, wer hier sexistisch denkt.

Nun aber zu den eigentlichen Untersuchungen des Stadtsoziologen.

An Hand von ausgewählten Kennziffern (auch Indikatoren genannt) wie Wegzug, Zuzug, Anteil der AusländerInnen, Anteil der Kinder wird versucht, die Stadtentwicklung mit ihren Problemgebieten zu beschreiben. Bereits bei einer ersten Vorstellung der Ergebnisse im Winter hat der Kreuzberger Bürgermeister zu Recht darauf hingewiesen, das der Anteil der AusländerInnen in einem Gebiet schlechthin nicht das Problem darstellt. Persönlich bin ich froh, das nicht der Anteil von Frauen in einem Gebiet zur Beschreibung einer Problemlage herangezogen wurde. Jahre hätte die Frauenbewegung gebraucht, um dieses Vorurteil auszuräumen, denn zu gern hätte der eine oder andere Verantwortliche dieser Stadt diese These übernommen. Bei der Behandlung städtischer Probleme über die Frauenfrage hätte man allerdings die Interpretationen mit mehr Humor behandeln können. Es sind also nicht Arbeits- und Erwerbslose, Obdachlose und Jugendliche ohne Zukunft, Frauenaltersarmut, die sich in den Problemgebieten konzentrieren, sondern der an diesen Gruppen besonders hohe Anteil an AusländerInnen wird als Gradmesser für ein Problemgebiet herangezogen. Es wird übrigens an keiner Stelle genauer beschrieben, was denn das Problematische in diesen Gebieten ist. Selbst hier ist die sogenannte Chicagoer Schule, eine der Wurzeln der Stadtsoziologie, komplett missverstanden worden. Nicht die Konzentration bestimmter ethnischer Gruppen bringt ein Problem für diese Gebiete hervor, sondern ein besonders hohes Mas an Kriminalität, Bandentum usw., das aufgrund der schlechten Lage der Lebensbedingungen der BewohnerInnen und der zunehmenden Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt verursacht wird. Die Indikatoren sind völlig unzureichend für die Beschreibung städtischer Problemgebiete. Sie setzen nicht an den wirklichen Lebensbedingungen der BewohnerInnen an, vergessen, die zunehmende Armut und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen nach demographischen Merkmalen zu beschreiben, und vergessen so die eigentlichen sozialen Probleme, die, wenn sie in Stadträumen konzentriert auftreten, natürlich ein Problemgebiet entstehen lassen. Der hohe Anteil an AusländerInnen in diesen armen Bevölkerungsgruppen lässt nicht den Schlus zu, das AusländerInnen problematisch sind, sondern das ihre Lebenssituation, und diese teilen sie auch mit vielen anderen verarmten Deutschen, zunehmend perspektivlos und menschenunwürdig ist. Indem speziell die Gruppe der AusländerInnen zur Charakterisierung herangezogen wird, folgt man natürlich einer gegenwärtig vorherrschenden tagespolitischen Auffassung, wonach soziale Probleme dieser Gesellschaft wesentlich gemindert wären, wenn man das 'AusländerInnenproblem' lösen könnte. Scheinbar aktuell verweist Prof. Häussermann, der Autor dieser Studie, darauf, das ein wichtiger Abwanderungsgrund für Familien mit Kindern der hohe Anteil an AusländerInnen in der Schule dastellt. Abgesehen davon, das es meistens viele Gründe sind, die einen, geschweige denn eine Familie, zum Auszug aus der Wohnung veranlassen, wird auch hier nicht die soziale Situation der AusländerInnen betrachtet, auch nicht die mangelnden Einflussmöglichkeiten der Eltern auf Schulpolitik, sondern es wird ein einzelnes Motiv zur Charakterisierung eines ganzen städtischen Problemgebiets herangezogen.

Oh AusländerInnen, lasst mich mit den Deutschen nicht allein, schon gar nicht mit diesen Post-68ern, die gern beim Italiener essen, beim Türken das Brot und auf dem Russenmarkt das Schafsfell kaufen, eine Zugehfrau haben, aber schon kräftig am neuen Feindbild arbeiten.

Wirklich wichtig wäre es im Rahmen einer stadtsoziologischen Studie gewesen, das Recht auf Wohnen zu untersuchen. Es kann vermutet werden, das ein hoher Anteil an Mobilität durch die unterschiedliche Entwicklung der Stadtgebiete hervorgebracht wird. Während die Altbaugebiete zunehmend verkommen, ausser natürlich die Spandauer Vorstadt, das Herz der Wiedervereinigung, sind es zunächst einmal die mit viel Fördergeld entstandenen Stadtrandgebiete, die für Familien mit Einkommen scheinbar alle Probleme lösen. Gerade diese Stadtrandsiedlungen haben aber dazu geführt, das das Land Berlin die öffentlichen Gelder zu wenig in die Innenstadtbereiche gesteckt hat. Das Recht auf Wohnen beinhaltet nicht nur einen guten Wohnstandard, sondern auch ein Wohnumfeld, in dem gerade Bewohner, die an ihr unmittelbares Wohngebiet gebunden sind, wie Alleinerziehende, ältere Menschen, Kinder usw. ihren Tag verbringen. Aber gerade das Ausbluten der öffentlichen Kassen, die Sparpolitik an der falschen Stelle, die Subventionierung der Stadtrandgebiete haben dazu geführt, das die Pflege der Grünanlagen, die Sanierung der Kitas und Schulen, eine fussgängerfreundliche, kinderfreundliche Strassenraumgestaltung, ein Hofbegrünungsprogramm nicht betrieben, sondern in der Regel kontinuierlich abgebaut wurden. Vielleicht sind das ja die Gründe, warum Familien mit Kindern zunehmend aus ihren angestammten Kiezen ausziehen. Vielleicht ist der Zuzug von AusländerInnen und anderer armer Bevölkerungsgruppen in diese Gebiete eher ein Ausdruck dafür, das man hier noch erschwingliche Mieten bezahlen kann, eben gerade, weil das Gebiet zunehmend schlechtere Lebensbedingungen ausweist. Hier sind wir jetzt bei den eigentlichen Ursachen verfehlter Subventionspolitik. In den letzten fünf Jahren wurde im Land Berlin die Stadt nie als Ganzes betrachtet, die Schaffung einigermassen gleicher Lebensbedingungen nie als politisches Ziel gestellt, die Mietentwicklung ganz dem freien Markt überlassen, ein Zusammenleben vieler unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen nie angestrebt.

Für die politische Auftragsforschung war scheinbar eine detaillierte Analyse nicht notwendig, eine stadtsoziologisch exakte Untersuchung eher hinderlich. Selbst ein Sozialindikatorenfrühwarnsystem, das in den 70er Jahren in der Bundesrepublik angewendet wurde, schien für die aktuellen Zwecke der Tagespolitik zu aufwendig. über die BürgerInnenbeteiligungsverfahren, die aufgrund der zahlreichen BürgerInneninitiativen in der Bundesrepublik entstanden, ist mit zunehmender Wiedervereinigung der Wind, übrigens auch im Westen, hinweggefegt. Bleibt also nur die Schlussfolgerung des Senators, nun mit KiezmanagerInnen Problemgebiete zu bearbeiten. Unklar bleiben die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, in denen dieser KiezmanagerInnen, höchstwahrscheinlich die sozial engagierten Eliten Westberlins, arbeiten soll. Der Verfall ganzer Häuser, der dazu führt, das die Mieten gering bleiben, kann sicher nur schwer gemanagt werden. Eine Schlussfolgerung aus der Untersuchung könnte allerdings noch Chancen für die weitere Entwicklung geben. Die eigentlichen Problemgebiete liegen gegenwärtig noch im Westteil der Stadt. Für den Ostteil wird eine beginnende Entwicklung eingeschätzt. Sie hat aber nach Aussagen der Wissenschaftler noch nicht diese Brisanz erreicht. Kontinuierlich scheint dagegen die Rolle der Wissenschaft.

Auch im Osten gab es eine apologetische Stadtsoziologie (Herrschaftsformen verteidigende und legitimierende Wissenschaftsform). Damals fand man heraus, das die BewohnerInnen von Neubaugebieten eine hohe Zufriedenheit mit ihrer Wohnung hatten, was nicht wunderte, da der Staat alles daran setzte, das Wohnungsbauprogramm als Beweis seiner Politik zu realisieren und dabei den aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Altstadtbereichen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Mit zunehmender Wohndauer nahm die Zufriedenheit zwar ab, da die Mängel der Gebietsstrukturen erlebbar wurden, aber die Politik war mit diesen Aussagen zufrieden und fühlte sich bestätigt. Auch mit der im Auftrage von Senator Strieder durchgeführten Untersuchung zur sozialorientierten Stadtentwicklung wird die aktuelle Politik gestützt, weil die Untersuchung nicht an den tatsächlichen Auswirkungen dieser Politik ansetzt, weder an der Last der Haushaltskonsolidierung für die öffentlichen Räume, noch die der beabsichtigten Baulandausweisung in Mitte durch das Planwerk Innenstadt, noch die der Arbeitsmarktpolitik. Dafür haben wir aber in Zukunft die KiezmanagerIn, die uns unsere Bindung an den verwahrlosten Raum erklärt und wie eine WanderpredigerIn auch den Verkauf öffentlicher Räume an private Bauherren schmackhaft macht, denn hier zieht dann wieder die Familie ein (Achtung, in allen Texten des Planwerkes in Zukunft statt Urbanit Familie eintragen), die uns vom Unglück bewahrt, auch ausziehen zu müssen. Warum eigentlich? ach ja, Miete spielt komischerweise keine Rolle. Hat uns nicht die Mietentwicklung ein Anrecht auf unser angestammtes Gebiet vermiest? Aber das wird jetzt doch ein anderes Thema. BürgerInnen, schützt nicht nur eure Grünanlagen, sondern schützt uns auch vor diesen WanderpredigerInnen und lasst unsere Zukunft nicht in ihren Händen ruhen. Darum setzen wir dieses Problem im nächsten Heft fort mit dem wieder aktuellen Thema: Wie gründe ich eine BürgerInneninitiative, wenn mir das alles zu bunt wird.

Karin Baumert

 
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