MieterEcho
Nr. 269 - Juni/Juli 1998

Die Verknüpfung von Portemonnaie und Gesichtskontrolle
Bundesgrenzschutz und Bahn AG zwischen Strecken- und Sicherheitsnetz

Am 2. Februar dieses Jahres beschloß die Innenministerkonferenz (IMK) eine "Partnerschaft für mehr Sicherheit in unseren Städten und Gemeinden".

Der Beschluß folgt zu großen Teilen den Vorschlägen, die Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) in den letzten Monaten sowohl den Länderinnenministern und -senatoren als auch der Öffentlichkeit unter dem Motto "Aktion Sicherheitsnetz" unterbreitet hat. In diesem Fall ging die Initiative vom Bund aus, es wurden jedoch weitgehend Maßnahmen vereinbart, die dem föderalen Prinzip entsprechend eigentlich Länder- und kommunalspezifische Angelegenheiten darstellen. In dem Abkommen der Innenminister lassen sich zwei Linien, es wäre auch möglich zu sagen: zwei Netze, erkennen, die eine "erfolgreiche Politik der Inneren Sicherheit" (IMK-Beschluß) umsetzen und von den Ministern weiterverfolgt werden sollen. An beiden Netzen knüpft die Deutsche Bahn AG munter mit.

Die erste Linie betrifft die Ausdehnung der nationalstaatlichen Grenzen in das Innere des Landes. Zentraler Punkt des IMK-Papiers ist darin das Vorgehen gegen illegalisierte Migranten, sowohl was den Grenzübertritt, als auch den Aufenthalt betrifft. Für die Bahn AG geht es um die Durchsetzung ihres Modells einer "attraktiven Öffentlichkeit", wie es in ihren Werbebroschüren heißt. Kanther plant per Gesetzesverschärfung, die Befugnis für verdachts- und ereignisunabhängige Kontrollen für den BGS "über den Grenzbereich hinaus auf Flughäfen, Bahnhöfe, Bahnanlagen und &endash; bei der Zugbegleitung &endash; auf Züge auszudehnen und um den Zweck der Verhütung von Straftaten zu ergänzen" (IMK Beschluß). Verkehrswege und -knoten spielen für das nationale Netz der Inneren Sicherheit und bei der Kontrolle der nach innen verlängerten Grenzen eine zentrale Rolle. Strategische Orte stellen darin Autobahnen, Flughäfen, Fernverkehrszüge und Bahnhöfe dar. Die Deutsche Bahn AG, die 1994 ihr "3S-Konzept" (Sicherheit, Sauberkeit, Service) mit flächendeckender Videoüberwachung auch des Bahnhofsumfeldes und einem mittlerweile 2.000 Mann starken Sicherheitsdienst, der "Bahn Schutz & Service GmbH" (BSG), unterfüttert hat, ist in dieses Netz einer "Gefahrenabwehrverordnung des Bundes" integriert.

Mit dem neuen Bundesgrenzschutzgesetz wurden 1992 dem BGS die Aufgaben der vorherigen Bahnpolizei übertragen. Bis zu diesem Zeitpunkt lag die Hauptaufgabe des BGS in der Grenzsicherung, und er wurde zusätzlich "im Fall des inneren Notstandes", zum Katastrophenschutz und bei Anforderung durch die Länderpolizeien zu Sondereinsätzen ("Terrorismus"bekämpfung, Demonstrationen) herangezogen. Durch die Übergabe der bahnpolizeilichen Aufgaben an den BGS erlangte dieser erstmals eine Aufgabe, die eine ständige Präsenz im Inneren des Landes einschloß, die sich organisatorisch auch in einer einzeldienstlichen und nicht mehr rein kasernierten Struktur niederschlägt. Diese Statusveränderung in Richtung einer Bundespolizei war und ist politisch wie verfassungsrechtlich umstritten. Aufgrund der föderalen Verfassung hatte das Bundesinnenministerium bisher nicht die Möglichkeit, eine eigene Staatspolizei einzurichten. Der BGS als Bahnpolizei kann somit als strategische Urzelle für einen weiteren Aufbau der Bundespolizei gesehen werden.

Der Auftrag des BGS in den Bahnhöfen besteht derzeit zum einen in der Strafverfolgung, zum anderen in der Wahrnehmung des dem BGS von der Bahn AG übertragenen Hausrechts. Diese Kombination von staatlicher Strafverfolgung und privatem Hausrecht versetzt den BGS in den Stand, allgemein für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit zuständig zu sein. Über das Hausrecht hat der BGS an den Bahnhöfen bereits die Handhabe dafür, "niedrigschwellig einzugreifen", das heißt nicht nur strafrechtlich relevanten Handlungen nachzugehen, sondern auch bei "Beeinträchtigungen" durch nicht-konformes Verhalten einzuschreiten. Eine solche Verknüpfung führt einerseits durch die implizierte Allgemeinzuständigkeit zu einer Verpolizeilichung der Gesellschaft. Andererseits unterläuft sie (juristisch nach wie vor bestehende) Grundrechte, indem in der Praxis die Grenze zwischen der Ahndung von strafrechtlich relevantem und dem Umgang mit nicht-konformem Verhalten verschwimmt. 240 Millionen Mark im Jahr spart die Bahn AG durch den Einsatz des BGS in ihrem Interesse so ein.

Die zweite Linie betrifft die möglichst in allen Ländern und Kommunen durchzuführende Bündelung und Vernetzung der größtenteils schon bestehenden und politisch durchgesetzten lokalen Programme und Institutionen zur Kontrolle innerstädtischer Räume. Die Innenminister formulieren als gemeinsames Ziel, die Ängste der BürgerInnen, "Opfer von Kriminalität zu werden", ernst zu nehmen und deren "Sicherheitsgefühl" (IMK-Beschluß) durch repressive und präventive Maßnahmen zu stärken. Abgesehen davon, daß die Innenministerkonferenz damit eine in vielen Städten schon existierende Praxis der Gefahrenabwehrverordnungen, Präventionsräte und Sicherheitspartnerschaften aufgreift, werden diese so auf Bundesebene verallgemeinert, eine gegenseitigen Verpflichtung der Kommunen und Länder formuliert und neu eingeführte Maßnahmen, wie das Vorgehen gegen "alltägliche stark belästigende Verhaltensweisen" (IMK-Beschluß) als Vorgaben benannt.

Mit der Empfehlung der oben genannten Vernetzung werden Konformitätsvorstellungen, Praxen der Kontrolle und Exklusion sowie die Hierarchisierung des städtischen Raums auf nationaler Ebene formuliert und bestätigt. Auf der räumlichen Ebene bilden Innenstädte und Bahnhöfe die Knotenpunkte dieser beiden Stränge (nationalstaatlich und kommunal). Auf der Akteursebene nimmt der BGS die zentrale Schnittstelle ein. Im Beschluß der IMK heißt es dazu, daß "im Bereich gefährdeter Bahnhöfe und im öffentlichen Nahverkehr (...) die Zusammenarbeit von Polizei und Bundesgrenzschutz (Bahnpolizei), z.B. durch die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und den Ausbau gemeinsamer Streifentätigkeit" intensiviert werden soll und außerdem der BGS die "Konzepte für partnerschaftlich vernetzte Kooperationen aller an der Sicherheitsarbeit beteiligten öffentlichen Stellen und Behörden" unterstützt. In der Bundeshauptstadt sind die entsprechenden Verträge mit dem BGS bereits unterzeichnet, und Berlins Innensenator, General a.D. Schönbohm (CDU), hofft, daß die Praxis der Videoüberwachung von Bahnhofsvorplätzen durch die Deutsche Bahn AG auch ihm das Tor öffnet, in Berlin die flächendeckende Videoüberwachung gegen Kritik aus den Reihen der Bezirksbürgermeister durchzusetzen.

In den Bahnhöfen wird seit 1992 die alltägliche Zusammenarbeit von BGS, BSG und der Landespolizei erprobt und erhält damit Normalitätsstatus. Es gibt gemeinsame Streifentätigkeiten von BGS und jeweiliger Landespolizei, enge Kooperation mit den privaten Sicherheitsdiensten und das gemeinsame Interesse, Armutsbevölkerung aus diesen Arealen fernzuhalten. Bezüglich des Bahnhofsumfeldes werden gemeinsame Konzepte entwickelt und durchgeführt. Der BGS ist somit in fast allen relevanten lokalen und überregionalen "Sicherheitspartnerschaften" vertreten und erhält Mitspracherecht. In Berlin, wo die 100prozentige Tochtergesellschaft der Bahn AG, die S-Bahn GmbH, tätig ist, setzen sich in wöchentlichen Abständen im "Stab Bahnsicherheit" private Sicherheitsdienste, der Bundesgrenzschutz, die Landespolizei und Verwaltungskräfte des Senates zusammen, um ihre Vertreibungsstrategien gegen Arme, Obdachlose, Bettler zu koordinieren. Auf immerhin 224.000 Platzverweise und Hausverbote haben es private Sicherheitsdienste, Landes- und Bundespolizei so im vergangenen Jahr gebracht.

Während die lokalen Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften im städtischen und regionalen Raum organisiert werden und "problem- und projektbezogen" (IMK-Beschluß) arbeiten sollen, erschließt das zweite Kontrollnetz der inneren Grenzen den nationalen Raum. Insofern kann der IMK-Beschluß vom 2. Februar auch als "Gefahrenabwehrverordnung des Bundes und der Länder" bezeichnet werden. Die Bestrebung des Bundesinnenministers auf den schon fahrenden Zug der Gefahrenabwehrverordnung aufzuspringen und einen nationalen Fahrplan dafür zu erstellen, lassen sich als Versuch begreifen, angesichts der politischen und gesellschaftlichen Durchsetzungskraft dieses Modells die Situation zu nutzen, um sie mit den Interessen eines nationalen Kontrollnetzes und dem Ausbau des BGS zur Staatspolizei in Übereinstimmung zu bringen.

Volker Eick

 
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