MieterEcho
Nr. 269 - Juni/Juli 1998

Was kann eine linke Baupolitik?

Wer über linke Baupolitik redet, muß auch darüber reden, was sie alles nicht kann. Karin Baumert lehnt sich lächelnd vor: "Das ist doch klar, linke Baupolitik kann keine Antwort auf die Fragen der zunehmenden Arbeitslosigkeit geben, aber sie kann der Verelendung ganzer Stadtteile entgegenwirken." Karin Baumert hat klare Vorstellungen darüber, wie linke Baupolitik in der Kommune und insbesondere in Mitte auszusehen hätte.

Sie hat sich unter den BewohnerInnen von Mitte deutlich profiliert und gilt als entschiedene Gegnerin der Verwertungsabsichten des Berliner Senats, insbesondere den Grund und Boden meistbietend zu verschleudern &endash; sie stellt mit ihrer Politik den Stadtentwicklungseliten so manches Bein. So beabsichtigte sie mit der Genehmi- gung des Hochhauses auf der Fischerinsel etwaigen Planwerksverwertungsansprüchen entgegenzuarbeiten. Denn schließlich ist dieser Flecken &endash; so zentral gelegen wie hermetisch umschlossen &endash; prädestiniert für zukünftige Eliten. Und zur Erinnerung: eine sog. Mercedes-Lösung für die jetzt dort ansässige Bevölkerung &endash; die vorsah Auszugswilligen neben einer Alternativwohnung in Karow-Nord ein Dankeschön-Auto zukommenzulassen &endash; war bereits unter der Hand Thema. Das ME beabsichtigt mit ihrem Beitrag eine längst überfällige Diskussion über die Perspektiven linker Baupolitik zu eröffnen.

In der gegenwärtigen Situation Berlins, in der das Land Steuereinnahmen zur Finanzierung der Zinsen seiner Schulden in Größenordnungen verbraucht (35 Pfennig je eingenommener DM), den Metropolenwahn immer noch in ästhetischen Diskussionen repräsentativer Bauten der Regierung und großer Wirtschaftskonzerne am Potsdamer Platz und seit über einem Jahr an den Bauklötzern des Planwerkes Innenstadt diskutiert, die Landesregierung von der autogerechten, sauberen Stadt träumt und mit dem Beschluß zur Gebietsreform wieder einmal bewiesen hat, daß die Zerschlagung politischer Mehrheiten wichtiger ist, als historisch gewachsene Gebietsstrukturen einer polyzentralen Stadt, kann in dieser Zeit eine linke Stadtentwicklungspolitik mehr als nur der Steigbügelhalter dieser Politik sein? Läuft jede Beteiligung von Oppositionspolitik nicht darauf hinaus, daß mit der Kritik eine Verfeinerung und Verfestigung der Koalitionspolitik von CDU und SPD gestützt wird, da sie die Meinung ihrer Kritiker einarbeiten kann?

In einer Zeit, in der der Regierende Bürgermeister Herr Diepgen glaubt, er könne mit Innenstadtkonferenzen die durch seine Politik selbst verursachte soziale Zuspitzung mildern, ist es da nicht an der Zeit, sich nach einer preiswerten Wohnung am Stadtrand umzuschauen, um sich aus diesem Politikspektakel zu verabschieden?

Im Gegenteil, wer angesichts der Ausweglosigkeit gegenwärtiger Entwicklungen glaubt, sich privat und politisch zurückziehen zu müssen, vergibt sich die große Chance, die vorhandenen Stadtstrukturen und Stadtmilieus zu verteidigen und zu erhalten.

Linke Gesellschaftsalternativen beginnen vor der Haustür. Jeder kann sich beteiligen an einer linken Stadtentwicklungspolitik, indem er seine Rechte wahrnimmt und darüber hinaus seinen Lebensanspruch an diese Stadt politisch verteidigt.

Was kann also linke Baupolitik?

Zunächst einmal bewertet linke Baupolitik die Interessen der Bewohner höher als die ästhetischen Fragen der Stadtentwicklung. Trotz der finanziell katastrophalen Situation des Landes Berlin, können die vorhandenen menschlichen Ressourcen dieser Stadt, das Nachbarschaftspotential der Wohngebiete, die traditionellen Bindungen an den Kiez , das Bürgerbeteiligungspotential als Chance der weiteren Entwicklung Berlins angesehen werden.

Die gegenwärtige Situation dieser Stadt zeigt uns, daß die Verschärfung sozialer Probleme in stadträumlichen Zusammenängen nicht als territorial begrenztes Phänomen behandelt werden kann. Schon gar nicht, und das hat die Diskussion um den Kreuzberger Sozialpalast gezeigt, ist mit der Beseitigung der gebauten Struktur eine Beseitigung eines sozialen Problems verbunden.

Obwohl man den Städtebau am Kottbusser Tor heute so nicht mehr bauen würde, sind die sich darin gelebten Geschichten und Nachbarschaftsbeziehungen, die Gemeinwesenarbeit bedeutender und wichtiger für die Bewohner als die in der Tat unübersichtlichen und zügigen Zwischenräume und Schluchten.

Natürlich muß sich eine linke Baupolitik auch mit den Fragen effektiver Nutzung von zu gestaltenden Räumen befassen, aber zunächst einmal muß sie konsequent von den Interessen der Bewohner und Betroffenen ausgehen. Diese haben nur in einer sehr begrenzten Minderheit die Chance, den Stadtraum und damit auch ihr Umfeld völlig frei zu wählen. In der Regel entscheidet die Miethöhe über die Chancen der Bewohner, ihren Wohnstandort frei zu wählen, mit den bekannten Tendenzen der Segregation, d.h. daß bestimmte soziale Gruppen in bestimmten stadträumlichen Zusammenhängen leben.

In Berlin ist gerade zu beobachten, wie unter verschärften wirtschaftlichen und politischen Bedingungen diese Segregationstendenzen sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen zunehmend die Betroffenen auch sozial marginalisieren. Ausgangspunkt der Kritik der Politiker der großen Koalition ist dabei gegenwärtig nicht die Analyse der eigenen Fehler, sondern das Infragestellen der Baustruktur, die Feuerlöschpolitik des Stadtentwicklungssenators in Form von Kiezmanagements.

Sind zunächst die sozialen Krisengebiete vornehmlich im traditionellen Westteil dieser Stadt zu beobachten, läuft auch im traditionellen Ostteil Berlins geradezu im Zeitraffer westeuropäischer Stadtentwicklung der Countdown der Segregation. Nicht zuletzt am Feindbild der Moderne wird die zukünftige Stadtentwicklung scheinbar als Thema der Experten über den Köpfen der Bewohner und Betroffenen hinweg diskutiert. Die etablierte 68er Generation möchte in ihrer nicht endenwollenden Emanzipation nun auch den Ostteil der Stadt von den "Rudimenten stalinistischer Kulturbarbarei" befreien. Mit neuen Stadtmodellen zurück in die historische Baustruktur. Ob nun die Sehnsucht westberliner Intellektueller nach der italienischen Kleinstadt oder schlicht die Aneigung des eigentlichen Zentrums Berlins und die Befreiung der Mitte von den Überresten postsozialistischer Nachbarschaftsstrukturen, in jedem Fall geht es um die intellektuelle Unterstützung einer großflächigen Verdrängung von angestammter Bevölkerung und deren Nachbarschaftsstrukturen, die bereits jetzt durch das enorme Bauvolumen in Mitte mehrfach und dynamisch der Veränderung unterliegen.

Linke Baupolitik muß also schonungslos das Kind beim Namen nennen. Keine falsche Bescheidenheit angesichts der Vorwürfe sozialistischer Kulturbarbarei und fehlender Demokratie in der DDR. Die gegenwärtige Stadtentwicklung Ostberlins ist Ausdruck einer Demokratieform, in der wieder einmal der Betroffene, der Bewohner kaum Chancen hat, Einfluß zu nehmen auf die unmittelbare Gestaltung seines Lebens, und scheinbar zur Verhandlungsmasse zunächst des Einigungsvertrages und nun als Rudiment einer untergegangenen Gesellschaftsvision diffamiert und ausgegrenzt wird. Hiergegen gilt es sich zu wehren, gilt es vorhandene Erfahrungen in Solidarität, Nachbarschaft und Aneignung von Räumen wiederzubeleben und weiterzuentwickeln.

Linke Baupolitik muß darum die Ansprüche der Bewohner und Nutzer an die Stadt, die Gestaltung öffentlicher Räume thematisieren und zwar nicht ausschließlich als neue Fassung

im Sinne des Schinkelschen Lustgartens, sondern als Orte wohnungsnaher Freiräume, die über die Qualität von Abstandsgrün hinausweisen: als Orte der Kommunikation wie zum Karneval der Kulturen in Kreuzberg und nicht nur als Kneipenszene der Spandauer Vorstadt, die bereits über den Bierpreis große Teile der Bevölkerung ausgrenzt, und natürlich zur einfachen Nutzung der Höfe, zum Verweilen und Spielen und nicht als Stellplatz und Sicherheitszone gegen den Rest der Welt.

Linke Baupolitik muß die Bürgerbeteiligung auf allen Planungsebenen einfordern und ihre politischen Implikationen kontrollieren.

Wer nutzt die Freiräume

Das Planwerk Innenstadt hat versucht, über seine Losungen "Innen- vor Außenentwickung", "für eine verkehrsberuhigte Innenstadt" uns die eigentlich beabsichtigte Baulandausweisung und die Zerstörung vorhandener sozialräumlicher Strukturen schmackhaft zu machen.

Auf den Stadtteilkonferenzen des Stadtbezirkes Mitte zur Bereichsentwicklungsplanung des Bezirkes sind die baulichen Strukturen des Planwerkes in der Regel von den Bewohnern abgelehnt worden, da sie eine unnötige Nachverdichtung und eine Negation der vorhandenen Struktur bedeutet und damit den Anspruch an die Aufenthaltsqualität vorhandener Freiräume verbaut hätte. Die lang diskutierte Frage, ob nicht die verdichtete Stadt erst Urbanität bringe, wurde in der Regel von den Bewohnern mit Achselzucken entgegengenommen.

Der Einigungsvertrag hatte bereits durch das Restitutionsprinzip, begleitet durch die Möglichkeiten der Steuerabschreibung, jede Brache in wertvolles Bauland umgewandelt. An Nachverdichtung leidet also der Bewohner von Mitte keinen Mangel.

Allerdings an der qualitativen Gestaltung der Freiräume mangelt es sehr. Hier hat sich das Land Berlin zweifach aus seiner Verantwortung geschlichen. Nicht nur, daß die Bezirke im Rahmen der Globalsummenzumessung (der Bezirk bekommt einen pauschalen, nicht am

Bedarf gemessenen Anteil aus der Landeskasse) viel zu wenig Geld bekommen, sie dürfen bei den großen Entscheidungen der Finanzpolitik nicht mitreden. Die sogenannten Konsolidierungsbeiträge (das Geld, das dem Bezirk aufgrund der dramatischen finanziellen Situation des Landes Berlin vorenthalten wird) der Bezirke sind insgesamt so hoch wie der Anteil Berlins am Tiergartentunnel. Man hätte mit der politischen Entscheidung gegen den Tiergartentunnel nicht nur den Tiergarten an dieser Stelle gerettet (Naturschützer waren bis zum Schluß gegen den Ausbau), den Autoverkehr nicht weiter in die Innenstadt geholt, sondern darüber hinaus den Bezirken das dringend notwendige Geld für die Pflege und Gestaltung der öffentlichen Freiräume geben können.

Linke Baupolitik muß stadtentwicklungspolitische Ziele aus der Optik der Bewohner dieser Stadt beurteilen, das Beteiligungspotential der Bewohner unterstützen und im Rahmen der Handlungsspielräume privatkapitalistischer Aneignung städtischer Räume auf den Erhalt gewachsener vorhandener sozialräumlicher Strukturen der Bewohner achten, obwohl gerade das Verhandeln mit Investoren und die Entscheidung zu gegenwärtig unpopulären Baukörpern scheinbar nicht immer als linke Baupolitik zu vermitteln ist.

Das Beispiel Fischerinsel

Die Fischerinsel ist in den städtebaulichen und architektonischen Ausdrucksformen der Moderne, ähnlich wie das Hansaviertel in Westberlin, von der DDR als innerstädtisches Wohngebiet geplant und realisiert worden.

Natürlich ist es tragisch und auch mit keiner neuen Gesellschaftsvision zu rechtfertigen, daß hier die Reste des Fischerkiezes und des traditionsreichen Gründungsortes Berlins verschwinden mußten, um die für die damalige Zeit als modernes Leitbild entworfene autogerechte und mit Licht, Luft und Sonne durchgrünte Stadt entstehen zu lassen. Aber rechtfertigt diese damalige Geschichtslosigkeit des Städtebaus, die übrigens mit politischen Zielen versehen in der Überwindung der von Armut geprägten Baustrukturen lag, rechfertigt diese Geschichtslosigkeit erneut, die Geschichte der letzten Jahrzehnte in Frage zu stellen? Die Geschichte in Frage zu stellen, die die Armut der Bewohner tatsächlich auflöste, nur weil die Baustrukturen nicht in das Bild jetzigen politischer Eliten paßt?

Das Planwerk Innenstadt sah auf der Fischerinsel eine Überbauung entlang der Spreeseite vor, die die Hochhäuser als "Hinterhäuser" auf die Insel verdammt hätten. Diesmal übrigens nicht mit dem Anspruch, von Armut gekennzeichnete Wohnverhältnisse zu überwinden, sondern "Urbanität zurückzuholen". Für wen? Den Urbaniten, sprich dem Innenstadtbewohner, der sich entsprechend der wunderbaren Lage der Fischerinsel eine Wohnung an der Spreeseite für eine marktgerechte Miete leisten kann.

Um die besondere Qualität des "Wohnens im Hochhaus" zu entfalten, ist es im Gegensatz zum Planwerk notwendig, die potentiellen Qualitäten des Freiraumes weiterzuentwikkeln, um das Wohnen im Park mit hochwertigen wohnungsnahen Freiräumen als Wohnanspruch dieses speziellen Areals zu stärken. Defizit der Fischerinsel, neben der geringen Aufenthaltsqualität der Freiräume, sind das vor sich hindämmernde und zunehmend dem Verfall preisgegebene Ahornblatt, die schlechte Versorgung mit Dienstleistungen des täglichen Bedarfs und die Unsicherheiten für die Zukunft der Insel durch die Begehrlichkeiten der Planwerksplanung.

In dieser Situation tritt ein Investor auf den Plan, der das Grundstück von der OFD (Oberfinanzdirektion) gekauft hat, mit der Option, für die Gasag ein Bürohochhaus zu planen und zu bauen. Bedingungen des Bezirkes: das Ahornblatt als eingetragenes Denkmal und die Schwimmhalle, wichtig für die Bewohner der Fischerinsel und gerade saniert, bleiben stehen! Eine Verdichtung der Fischerinsel an dieser Stelle durch den Verkauf der OFD Berlins ist nicht aufzuhalten. Sie muß jedoch im Rah-

men der vorhandenen offenen Bebauung, d.h. der ürsprünglichen städtebaulichen Leitidee folgend, vorgenommen werden. Die anfänglich vom Investor geplante Bebauungsdichte von 4.0 GFZ (Geschoßflächenzahl) wird auf 3.0 GFZ vom Stadtplanungsamt heruntergehandelt, das Hochhaus weitmöglichst von der Straße zurückgesetzt und in Höhe und Struktur den vorhandenen angeglichen. Der potentielle Rückbau der Straße, sollte es jemals ein Verkehrskonzept geben, daß den Autoverkehr dann umleitet und nicht auf die umliegenden Nebenstraßen lenkt, bleibt möglich.

Das auf der Fischerinsel genehmigte Hochhaus folgt dem Weiterbau der städtebaulichen Idee. Durch dieses Hochhaus bleibt kein Zweifel am Gesamtcharakter des Ensembles. Eine Verwertung im Sinne des Planwerks wird damit unmöglich. Die Unsicherheiten über die Zukunft der Insel könnten mit dem Weiterbau durch das Hochhaus zunächst ihren Abschluß finden. Das Ahornblatt erhält durch die Sanierung eine öffentliche Nutzung, im hinteren Riegel sollen Nahversorgungsleistungen für die Bewohner untergebracht werden, die Tiefgaragen liefern Stellplätze für die Anwohner, so daß über einen städtebaulichen Vertrag mit dem Investor die Auflösung eines Parkplatzes und die Verbesserung der Grünqualität möglich wird.

Mit der Realisierung des Bauvorbescheides wäre ein innerstädtisches Wohngebiet vom Verwertungsdruck befreit und in den Anforderungen der Nahversorgung und der partiellen Gestaltung von Aufenthaltsqualitäten im Freiraum verbessert. Auch das wäre eine Besonderheit im Rahmen westeuropäischen Meteropolenvergleichs, daß im Zentrum der Stadt ein innerstädtisches Wohngebiet existiert mit Licht, Luft und Sonne und weiterhin sehr gemischten Bevölkerungsstrukturen, die eine Chance haben, sich den öffentlichen Raum anzueignen und die besonderen Qualitäten dieses innerstädtischen Wohngebietes mitzugestalten.

Karin Baumert

 
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