MieterEcho
Nr. 267 - März/April 1998

Vergleichsmieten im Osten - rechtmäßig, aber ungerecht

Vergleichsmiete eingeführt

Mietrecht scheint Eigentümerrecht zu sein: In Mitte ist es völlig legal, wenn die WBM für die Neuvermietung einer Wohnung, die bisher 575 DM netto kalt gekostet hat, nun 988 DM verlangt. Das ist eine Erhöhung um 72 % - der Mietspiegel macht's möglich. Auch die WIP - größter Vermieter in Prenzlauer Berg - will nach eigener Aussage alle rechtlich möglichen Mietsteigerungen ausschöpfen. Denn seit dem 1. Januar 1998 gilt in Ostberlin das "Vergleichsmietensystem". Nach den Jahren des Sondermietrechts-Ost und den administrativen Mieterhöhungen dürfen die Eigentümer nun - wie auch im Westen - auf der Grundlage des Miethöhegesetzes (MHG) mehr Miete verlangen. In dem Gesetz wird geregelt, in welchen Zeiträumen und um welche Beträge die Miete erhöht werden darf. Ohne daß der Vermieter in die Wohnung investieren mußte, orientieren sich die neuen Mieten am Mietspiegel - lediglich durch eine Kappungsgrenze und eine Sperrfrist reguliert. Praktisch bedeutet diese Regelung für einen großen Teil des Altbaubestandes in Ostberlin, daß Mietsteigerungen von bis zu 30 % zulässig sind. (zu den Voraussetzung für eine rechtmäßige Mieterhöhung vergl. Sie bitte die Infoseiten zur Mieterhöhung im letzten ME 266) Die neuen Mieten sind ungerecht

Eine Orientierung auf die gründliche Prüfung der Erhöhungsbescheide ist richtig, aber nicht ausreichend. So versuchen viele Eigentümer trotz der Beschränkungen mehr zu verlangen, doch auch die rechtmäßig möglichen Mieten liegen oft über dem Maß dessen, was für die Mieter zumutbar ist. Eine aktive Mieterpolitik kann also nicht beim Einklagen dieses Rechts stehenbleiben. Als besonders ungerecht erscheinen die Mieterhöhungen für folgende Gruppen:

Betroffen sind Wohnungssuchende:

Statt der bisher zulässigen Neuvermietungszuschläge von 15 % kann der Vermieter jetzt eine Miete fordern, die bis zu 20 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Viele Eigentümer interpretieren diese juristisch zulässigen Forderungen nicht als Grenze der Strafbarkeit, sondern als "Neuvermietungszuschlag". In attraktiven Wohnlagen dürften solche Preisvorstellungen der Vermieter tatsächlich realisiert werden. Das heißt, Wohnungssuchende mit durchschnittlichen oder geringen Einkommen sind in bestimmten Gegenden fast völlig vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen.

Betroffen sind Mieter von Substandardwohnungen:

Gerade in den Häusern, die sowohl hinsichtlich des Bauzustandes als auch des Ausstattungsgrades zum schlechtesten Teil des Wohnungsbestandes gehören, sind erhebliche Mietsteigerungen möglich. Für eine Wohnung mit 87 qm Innen-WC, ohne Bad und moderne Heizung beispielsweise betrug die Netto-Kalt-Miete bisher 4,32 DM/qm. Neu geforderte Miete: 5,36 DM/qm. Das sind fast 25 % mehr, obwohl seit Jahren keine Wohnwertverbesserung stattgefunden hat. Erhöht werden kann praktisch in allen Wohnungen, in denen bei den letzten Erhöhungen nicht alle Beschaffenheitszuschläge erhoben werden konnten. Was vor ein paar Jahren noch gesetzlich unterbunden wurde, ist heute plötzlich erlaubt - die neuen Vergleichsmieten egalisieren die bisherigen Standarddifferenzierungen des Ostberliner Wohnungsbestandes. Der bisherige Trend: je schlechter die Ausstattung um so höher die prozentuale Mietsteigerung. Bestraft werden also mit der neuen Regelung die Alt- und die aktiven Mieter: Die einen, weil deren Mieten ohne Neuvermietungszuschläge deutlich unter den Mietspiegelwerten liegen - die anderen, weil sie sich bisher den ungerechtfertigten Beschaffenheitszuschlägen erwehren konnten.

Betroffen sind Mieter bereits sanierter Häuser:

Vor allem in den Sanierungsgebieten der Innenstadt - in denen das allgemein anerkannte Ziel der "sozialverträglichen" Stadterneuerung durch die Festlegung bezirklicher Mietobergrenzen nach Sanierung gesichert werden sollte - führt die neue Rechtsgrundlage zu verheerenden Effekten. Hier wurde den Altmietern, die eine Modernisierung über sich ergehen ließen, eine relativ moderate Miete zugesichert - die sogenannten Mietobergrenzen markieren quasi die sozialwissenschaftlich begründete Verdrängungsschwelle. Diese werden in sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahren vom Bezirk durchgesetzt und liegen im Prenzlauer Berg zwischen 6,33 DM für eine über 90 qm große Wohnung und maximal 9 DM für bis zu 90 qm. In Friedrichshain beispielsweise ist die Mietobergrenze für alle Wohnungstypen auf 8,42 DM festgelegt. Das Bezirksamt erteilt eine Baugenehmigung also nur dann, wenn sich der Vermieter dazu verpflichtet, die Mietobergrenzen nach Sanierung einzuhalten. Daß sie wirklich eingehalten werden, darauf müssen jedoch die MieterInnen immer erst noch bestehen - aber das sei nur am Rande erwähnt. Nun werden diesen Miethöhebegrenzungen auch mit Hilfe des Mietspiegels der Garaus gemacht. Denn nach Sanierung rutscht die Wohnung automatisch in die vierte bzw. achte Spalte des Mietspiegels und damit in die teuersten Kategorie zwischen 8,44 und 15,06 DM, da bleibt von einer sozialverträglichen Mietsteigerung nicht viel übrig. Zusätzlich hat der Mieter hier keine Möglichkeit, der Mieterhöhung aufgrund seiner sozialen Härte zu widersprechen, wie er es hinsichtlich Modernisierungsmaßnahmen kann. Bereits innerhalb der nächsten drei Monate nach Modernisierung kann die Miete nach Miethöhegesetz steigen. In fast allen Kategorien läßt die ortsübliche Vergleichsmiete 30% Mietsteigerungen zu. Das bedeutet, die angestrebte und den Bewohnern suggerierte Sozialverträglichkeit in den Sanierungsgebieten ist nur noch ein Papiertiger.

Die neuen Mieten sind unsozial und verdrängen

Die wohnungspolitische Folge des Vergleichsmietensystems im Osten ist ein drastischer Kahlschlag des bisher preiswerten Wohnungsbestandes in den vielen unsanierten Häusern. Selbst schlechte Wohnungen sind inzwischen fast so teuer wie besser ausgestattete Wohnungen im Wetteil der Stadt. Für Wohnungssuchende und Neuberliner mit geringen Einkommen wird es immer schwieriger, überhaupt noch eine finanzierbare Wohnung zu finden. Altmieter in den betroffenen Wohnungen müssen fast jede Erhöhung akzeptieren, da es kaum noch preiswerte Alternativen gibt. Trotz der vielfach herbei geredeten Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt wird gerade das untere Preissegment ersatzlos vernichtet. Vor allem Haushalte mit geringen Einkommen werden für schlechte Wohnungen höhere Mieten bezahlen müssen.

Die stadterneuerungspolitischen Folge der Sanierung der immer noch maroden Altbauviertel ist das Ende der Sozialverträglichkeit. Mit den Vergleichsmieten können die Eigentümer in vielen Häusern die Miete nicht nur nach genehmigter Modernisierung, sondern auch ohne Sanierung über die Festgelegten Mietobergrenzen erhöhen. Der Spielraum für die vielfach notwendigen Modernisierungen wären dann in den Sanierungs- und Milieuschutzgebieten so gering, daß eine Erneuerung ihm Rahmen der als sozialverträglich geltenden Mieten ausgeschlossen werden kann. Auf der anderen Seite können die Mietobergrenzen nicht mehr als Garant für einen Verdrängungsschutz angesehen werden. Die begrenzten Mieten nach Sanierung bilden lediglich den Ausgangswert für die Mietsteigerungen nach Miethöhegesetz. Das Trugbild der "Sozialen Stadterneuerung" wird mit der ersten Mieterhöhung in sich zusammen fallen. Und das ist noch lange nicht das Ende: Spätestens nach drei Jahren kann die Miete um weitere 30% angehoben werden. Das sind immerhin 2-3 DM/qm.

Will der Vermieter schon eher eine höhere Miete kassieren, muß er sich einen Neumieter suchen, dem er ganz legal Mietforderungen stellen kann, die bis zu 6-7 DM/qm über dem liegen, was ein "mietobergrenzengechützter Altmieter" zahlt. Der Druck auf die Bestandsmieter wird sich also durch die neue Regelung erhöhen, denn solch riesige Mietlücken werden die Begehrlichkeit eines jeden Hausbesitzers wecken und ihn mindestens an die Grenze des Erlaubten gehen lassen. In den Altbaugebieten stehen wir also vor einer Situation, die eine Sanierung ohne Verdrängung so gut wie ausschließt, aber eine Verdrängung ohne Sanierung ermöglicht.

Die neuen Mieten müssen verhindert werden - Mieterproteste in Prenzlauer Berg

Sowohl wohnungspolitisch, als auch im Blick auf die sozialen Konsequenzen der Stadterneuerung ist eine starke Mieterbewegung gefragt. Das Miethöhegesetz gibt den Vermietern lediglich die Erhöhungsmöglichkeit, die tatsächlich geforderten Mieten sind letztendlich auch das Ergebnis von politischen Kräfteverhältnissen. Deshalb sollten in den nächsten Wochen und Monaten alle Möglichkeiten gesucht und genutzt werden, um direkt an die Vermieter - vor allem an die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die politisch Verantwortlichen heranzutreten um sie auf ihre soziale Verantwortung für die Bewohner der Stadt zu verweisen. Zentrale Forderungen dabei sind:

1. Keine Miete ohne Wohnwertverbesserung!
2. Keine Miete über Mietobergrenzen!

In Prenzlauer Berg haben die Betroffenenvertretungen von allen Vermietern des Bezirks ein "Mietsteigerungsmoratorium" gefordert. Dazu hatten sie unter dem Motto "Mietenstop" zu einer "Öffentlichen Verhandlung" geladen. Über 100 Aktivisten und interessierte MieterInnen kamen am 22. Januar zur Kiezversammlung. Wer nicht erschien, waren die Vertreter der Wohnungswirtschaft und die verantwortlichen Politiker. Sie ließen sich - offensichtlich nach gemeinsamer Absprache - sehr kurzfristig entschuldigen. So wurden auf der Veranstaltung zunächst die Argumente gegen die Mieterhöhungen ausgetauscht und die nächsten Schritte des Widerstandes beraten. In einer Resolution verweisen die Betroffenenvertretungen vor allem darauf, daß die neuen Mieten ungerecht sind, "denn wir zahlen schon jetzt mit unseren Ost-Einkommen mehr Miete als in vergleichbaren West-Wohnungen" und die Verdrängung im Stadtbezirk vorantreiben. Daneben wird befürchtet, daß sich die Vergleichsmiete - wird sie erst einmal flächendeckend gezahlt - zu einer "Mietspirale ohne Ende" entwickelt.

Diese Kritikpunkte und Forderungen wurden nur wenige Tage nach der Kiezversammlung dem größten Vermieter des Bezirks, der WIP, direkt vermittelt. Etwa 20 empörte Mieter verschafften sich Eintritt in das Büro des Geschäftsführers und forderten einen sofortigen Termin - der auch anstandslos gewährt wurde. In der anschließenden Diskussion trafen erwartungsgemäß sehr unterschiedliche Meinungen - die eines Wohnungsunternehmers und die von Mietern - aufeinander.

Die anwesenden Mieter hörten sich geduldig die wirtschaftlichen Argumentationen der Wohnungsbaugesellschaft an, ohne sie jedoch akzeptieren zu können. Herr Grzimek - der Geschäftsführer der WIP - seinerseits, zeigte deutliches Verständnis für die Forderungen der Mieter, ohne jedoch irgendwelche Zusagen treffen zu können - dazu fehle ihm auch die politische Rückendeckung. Um daran zu arbeiten, kündigten die Mieter weiteren Protest an und verabredeten sich zum 3. 3. 1998 zu einem neuen Diskussionstermin. Bis dahin bietet das Bündnis gegen die Mieterhöhungen Beratung zu den Erhöhungsbescheiden an und will weitere Aktionen vorbereiten und koordinieren.

Andrej Holm

 
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