MieterEcho
Nr. 267 - März/April 1998

Der feine Unterschied - den Kopf benutzen, nicht einen General a.D.
Anmerkungen zu den Leserbriefen im ME 266/98

Nach einem Leserbrief (Gerda Fürch) in Hinblick auf die Vertreibungspolitik der Deutschen Bahn AG (ME 265) ist offenbar der Wunsch in der Redaktion gewachsen, mehr miteinander zu diskutieren. Auch die Briefe von Frank Müller und Hans-Joachim Rösek zeigten in diese Richtung (alle in: ME 266). Sie bezogen sich auf einen in ME 265 teilweise veröffentlichten Demo-Aufruf gegen die dort als »Konzepte« bezeichneten Aktivitäten von Innensenator Jörg Schönbohm. Auch wenn Herr Rösek wegen der Publikation des Aufruf seine Mitgliedschaft - ohne weitere Diskussion - in der MieterGemeinschaft kündigte, besteht der Diskussionsbedarf fort: Angesichts der Entwicklungen in Berlin und der gesamten Republik zum Thema »Innere Sicherheit«, in Hinblick auf »Sicherheits- und Moralpaniken« (Ronneberger 1998) und in Hinblick auf einen Wahlkampf auf dem Rücken der städtischen Armen.

Derzeit vollzieht sich eine Verlagerung von Aufgaben im Sicherheitsbereich: Verkauft als aktive Arbeitsmarktpolitik, sollen sich die Armen jetzt gegenseitig kontrollieren - über Zwangsarbeit für SozialhilfeempfängerInnen als Wachschutz auf der einen Seite, als privater Sicherheitsdienst und Portier (mit oder ohne Videoüberwachung) auf der anderen. Nach diesem Prinzip wurden schon Teile der ehemaligen Zivilbeschäftigten der Alliierten in Berlin in Niedriglohn und Brot gebracht. In Stuttgart wird derzeit darum gestritten, ob auf den schwarz-gelben Phantasie-Uniformen der »Gelben Engel« (Langzeitarbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen), die Müll sammeln und Obdachlose vertreiben müssen, »Freundliches Stuttgart« oder »Sicheres und sauberes Stuttgart« gedruckt wird. Die Praxis als solche wird nicht hinterfragt. Der Deutsche Städtetag lehnt solche Arbeitsmarktpolitik ab, weil eine berufliche Perspektive nicht zu erkennen sei, vielmehr Arbeitslose öffentlich zur Schau gestellt würden (Stuttgarter Nachrichten, 3.9.1997).

Bausenator Jürgen Klemann (CDU) kündigte vor einigen Wochen - nicht etwa seinen Job, sondern eine Konferenz zum Thema »Erhöhung der Sicherheit in Wohngebieten« an, die zusammen mit den Wohnungsbaugesellschaften stattfand. Hiltrud Sprungala, Geschäftsführerin des Verbandes Freier Wohnungsbauunternehmen stellte dabei u.a. fest, der Einsatz privater Sicherheitsdienste und Hundeführer könne »höchst problematisch« werden - wenn nämlich umgekehrt deren Präsenz als furchteinflößend empfunden werde. Auch Untersuchungen des Bundeskriminalamtes (Weiß/Plate 1996) sowie weitere Studien zeigen, daß der zunehmende Einsatz Privater durchaus das Gegenteil von dem erreichen kann, was unter der Überschrift der »Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürger« daherkommt. Mit welchem Recht etwa die Männer der »Berliner Wache« - graue Phantasie-Uniform und Enduro-Motorrad - mit asiatischem Schlaggerät (Tonfas) ausgerüstet sind, also mit Waffen Patrouillen durchführen und gegen Obdachlose und Punks vorgehen, irritiert zahlreiche BerlinerInnen - bis hin zu dem in anderem Zusammenhang gern bemühten Angstgefühl.

Ähnliche Reaktionen auch auf den S-Bahnlinien der Stadt, wenn plötzlich Grenzschutzeinheiten in Kampfanzug und Springerstiefeln zusteigen. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) will anläßlich des von ihm ausgerufenen »Sicherheits-Wahljahres« diese Praxis noch intensivieren. Solche Militarisierung des Alltags, eine alte Polizeiweisheit, verhindert keine Kriminalität. Sie kann aber in Hinblick auf das sog. »subjektive Sicherheitsgefühl« gegenteilige Effekte erzeugen; - jedenfalls, wenn wir annehmen, daß es tatsächlich um die Beruhigung der Bevölkerung - und nicht um das Gegenteil - geht. Denkbar wäre immerhin ja auch, daß es angenehmer für die Politiker der Bundesrepublik und Berlins ist, hektische Aktivität im Bereich Innerer Sicherheit zu entfalten und sich an den tatsächlichen Problemen (u.a. fehlende Arbeitsplätze, bezahlbarer Wohnraum, soziale Infrastruktur), vorbei zu manövrieren sowie - Sündenböcke vorzuschlagen.

Inzwischen wird auch Denunziation und Blockwarts-Mentalität das Wort geredet, wenn sich etwa, wie jetzt in Steglitz, die erste Bürgerwehr gegen HundehalterInnen gründet. Die »Häufchen-Wehr« will Hundehalter heimlich beobachten und anzeigen, wenn sie nicht ihren Anteil an den jährlich anfallenden 40 Tonnen Hundekot entsorgen: »Hilft das nicht, dann entführen wir die Hunde. Wir schneiden sie von der Leine, wenn sie vor Geschäften oder Läden sitzen«, so der Chef der »Häufchen-Wehr« (zit.n. BZ, 5.2.1998). Auch die beiden Mitglieder der »Sonnen-Center-Bürgerwehr«, Christiane Herr und Renate Jacobs, haben sich von ihrer Selbstjustiz-Mentalität - »Wenn wir die Täter finden, schnappen wir uns die selbst!« - bisher nicht distanziert. Ähnliche Worte im privaten Sicherheitsgewerbe der Stadt: Auf dem privatisierten Los-Angeles-Platz, so der jetzige Besitzer, solle der private Sicherheitsdienst »Penner und Drogenabhängige vertreiben« (vgl. ME 263). Die Geschäftsführer der »Berliner Wache«, übrigens ehemalige Polizeibeamte, sprechen in diesem Zusammenhang davon, daß »Dreck überall anfällt. Durch unsere Arbeit eben nur woanders.« Und in einem BGS-Handbuch, verfaßt von einem Polizeioberrat und Hochschuldozenten für Polizeiführungswissenschaften heißt es gar: »Den Taschendieb der "alten Schule" (wohlgepflegtes Aussehen, Fingerfertigkeit, Ehrenkodex) gibt es seit etwa 1980 nicht mehr. Vielmehr tauchte ein anderer Menschentyp auf (...). Sie kommen aus Südamerika, Rumänien, Algerien, Polen und dem ehemaligen Jugoslawien und begehen ihre Straftaten ebenfalls international« (Kessow 1997).

Gerade in Hinblick auf den zweiten Teil des Leserbriefes von Herrn Rösek, könnte die »Berliner MieterGemeinschaft« Ursachenanalyse statt blinden Nachbetens von so fragwürdigen Dingen wie »zero tolerance«, der »broken windows-"Theorie"« und angeblichen »tipping points« (eine der wohl albernsten Vorstellungen davon, wie eine Gesellschaft funktioniert und sich verändert; vgl. Dangschat 1997), in eine Diskussion einbringen, die in dieser Stadt derzeit zu wenige Leute noch ernsthaft führen mögen. Gefordert sind die denkenden BerlinerInnen, nicht gelöbnisgeile Häuserräumer und ihr Fußvolk.

Volker Eick

    Literaturauswahl
  • Dangschat, Jens S. 1997: Sag' mir, wo Du wohnst, und ich sag' Dir, wer Du bist! Zum aktuellen Stand der deutschen Segregationsforschung, in: ProKla Nr. 109 (Dezember 1997), Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S.619ff
  • Kessow, Peter-Michael 1997: Bahnpolizeiliche Aufgaben des Bundesgrenzschutzes, Boorberg Verlag, Stuttgart Ronneberger, Klaus 1998: Erosion des Sozialstaats und der Wandel der Stadt, in: Frankfurter Rundschau vom 9. Februar 1998 (Dokumentation, S.8), Frankfurt/M.
  • Weiß, Rüdiger/Plate, Monika (Hrsg.Innen) 1996: Privatisierung von polizeilichen Aufgaben (BKA-Forschungsreihe, Band 41), Wiesbaden

 
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