MieterEcho
Nr. 267 - März/April 1998

Woher - Wohin?
Das Berliner Haus der Demokratie zwischen Basisbewegung und Parlament

Der drohende Verkauf des Hauses der Demokratie durch die BvS an die Beamtenwirtschaftsbund GmbH wird nicht mit leeren Haushaltskassen begründet. Die 1a-Lage der Immobilie in einem Zentrum, in dem kommerzieller Erfolg den höchsten politischen Wert darstellt, zwingt zu systemkonformer Nutzung. Da kommt die renditeorientierte Verwertung durch den Beamtenbund gerade recht. Allenfalls könnten sich die Mitglieder der auf niederer bundesparlamentarischen Ebene angesiedelten "Unabhängigen Kommission Parteivermögen" eine politische Lösung im staatstragenden Sinne vorstellen. Dazu böte sich die Übertragung an eine "Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" an. Zweierlei wäre dann sichergestellt: Zum einen, daß die kritische Auseinandersetzung mit der DDR vollkommen abgekoppelt von sozialen und demokratischen Visionen im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung bliebe und zum anderen, daß die Bürgerbewegung eine häufig genug selbst geflissentlich angediente (siehe den Alternativ(!)vorschlag der Herren Ullmann, Nooke, Poppe u.a) Alibifunktion, zugunsten hiesiger gesellschaftlicher Verhältnisse, in der die demokratische Realität zwar anders beschaffen, aber längst nicht weiter entwickelt ist, als sie es in der DDR war, endgültig zugewiesen erhielte. Wir freuen uns, die solchen Absichten widersprechende Darstellung der Initiative Vereinigte Linke zur Diskussion stellen zu können.

Üblicherweise warten wohlerzogene Anwärter auf das Ableben des Erblassers, bevor sie ihre Streitigkeiten um die Hinterlassenschaft beginnen. Den selbsternannten Nachfolgern der DDR-Bürgerbewegung ist solche Rücksicht fremd. Sie versuchen, dem noch unerlegten Bären das Fell bei lebendigem Leibe abzuziehen. Dabei bedienen sie sich staatlicher Hilfe, um die unangenehme Erinnerung an die authentischen Inhalte und Formen der Oppositionsbewegung unter Kontrolle zu bekommen. Im Streit um das Berliner Haus der Demokratie haben die gegensätzlichen Seiten ihre politischen Standpunkte zu bisher ungeahnten politischen Konsequenzen entwickelt. Der Konflikt zwischen offiziellen Bürgerrechtlern und den trotzigen Resten der Basisbewegung ist dem interessierten Publikum nicht neu. Auch wenn die heftigen Kontroversen des Jahres 1990 nicht mehr ungetrübt in der Erinnerung präsent sind, die letzten Jahre haben das Bild aufgefrischt. Nachdem der Kanzler im Sommer 1995 eine erlesene Runde bei Bärbel Bohley getroffen hatte, und noch bevor am 7. Oktober desselben Jahres in Leipzig Bundesverdienstkreuze für Verdienste um die friedliche Revolution verteilt wurden, machte die "Erklärung der 66" den prinzipiellen Gegensatz zu den befriedeten Fürsprechern des bürgerlichen Normalzustandes deutlich. Hatte seither die Kontroverse durch den mehr oder minder freundlichen Austausch gegensätzlicher Auffassungen zur allseitigen Profilierung beigetragen - neuerdings veranstaltet gar der Fernsehfunk eigens Diskussionen zum Thema - so steht seit dem Sommer 1997 mit dem Haus der Demokratie eine praktische Frage zur Entscheidung an. Was ist das Haus der Demokratie? Zunächst ein Relikt aus jener Endzeit der DDR, als die abdankende Herrschaft manche Forderungen der Oppositionsgruppen nicht mehr ohne eigenen Schaden ablehnen konnte. Das Problem war einfach: die Bürgerbewegungen verlangten nach materieller Chancengleichheit in der politischen Auseinandersetzung. Angesichts des bestehenden öffentlichen Drucks mußte man ihnen Arbeitsmöglichkeiten einräumen. Ein Vertrag mit dem Eigentümer, einem SED-Parteibetrieb, sicherte ab dem 17. Mai 1990 die unbeschränkte Nutzung des Hauses. Ein Verein wurde gegründet, der das Haus bewirtschaftet. Nach Maßgabe der eigenen Ziele und Kräfte nutzte man die neuen Räumen und machte sie anderen engagierten Menschen zugänglich.

Im neuen Deutschland wurde das Nutzungsrecht der Bürgerbewegungen nie offiziell anerkannt. Die Vielfalt oppositionellen und widerständigen Handelns ließ sich schwerlich als Vorbereitung des Beitritts vereinnahmen: Die Ablehnung der realsozialistischen Herrschaft kam ohne positiven Bezug auf konservative und neoliberale Selbstverständlichkeiten aus. Die Peinlichkeit ist übrigens beiderseitig: viele Bürgerbewegte hatten und haben erhebliche Schwierigkeiten, die gesamtdeutschen Konsequenzen ihrer innersozialistischen Oppositionen zu erkennen oder für gut zu befinden. Die basisdemokratischen und solidarischen Momente der bürgerbewegten Geschichte führen unvermeidlich zu öffentlichem Argwohn. Hinter der gutbürgerlichen Fassade vermutet mancher bis heute ein einziges Nest oppositioneller Behinderung staatlichen Handelns. Wiederholte Versuche, das Haus unter die Zwangsverwaltung der Treuhandanstalt zu stellen, konnten abgewehrt werden. Eine Sicherung des Hauses der Demokratie blieb aber angewiesen auf eine Kooperation auch mit solchen staatlichen Institutionen, deren prinzipielles Unbehagen angesichts des Hauses nicht zu zerstreuen ist. Die Unpäßlichkeit des Berliner Hauses der Demokratie ist unvermeidbar. Sie entsteht einfach aus der Fortsetzung einer Tradition, die jede museale Unterhaltung ausschließt.

Unterschiedliche Orientierungen in der Nachwendezeit haben auch den Raumbedarf beeinflußt. Nutzten anfangs die Gründungsorganisationen Neues Forum, Initiative Frieden und Menschenrechte, Demokratie Jetzt, Unabhängiger Frauenverband und Initiative Vereinigte Linke das ganze Haus, so traten mit ihren politischen und räumlichen Rückzügen neue Organisationen ins Haus, von der Berliner Mietergemeinschaft bis zum "Treffpunkt Hilfsbereitschaft". Öffentliche Erfolge in der parlamentarischen Demokratie gingen nicht immer mit einem besonderen Engagement in den Basisbewegungen einher. Der jüngst erhobene Vorwurf einer "Linkslastigkeit" des Hauses wirft daher nicht nur definitorische Probleme auf: Wer ist wann, warum und wie politisch eindeutig zu katalogisieren? Er spekuliert darüber hinaus auf Vorurteile und zielt auf die Ausgrenzung eben jenen Spektrums, das sich nicht hinreichend erfreut zeigt über die staatlichen Voraussetzungen freiheitlicher Grundberechtigung. Äußere Veränderungen werden heute zum Mittel, den status quo basisdemokratischer Arbeit zu beseitigen. Verschiedene Seiten machten unterschiedliche Verwertungsinteressen geltend. Über Jahre blockierten Alteigentümeransprüche der Preussag jede Entscheidung. Parallel bereitete der Deutsche Beamtenbund seinen Berliner Auftritt langfristig vor. Er verplante das Haus der Demokratie, selbstverständlich ohne die lebendigen Nutzer zu konsultieren. Er erwarb die Nachbargrundstücke. Schließlich ging der Beamtenbund, sekundiert vom Treuhandnachfolger BVS, im Sommer 1997 an die offene Umsetzung seiner Vorhaben. Mit historisch gerechtfertigtem Zynismus präsentiert er nun den eigenen Anspruch auf das Haus als berechtigte Abrundung seines Grundeigentums. Gegenüber solchen wohldefinierten Positionen war mit vertraulichen Kompromissen und Geheimdiplomatie nichts zu gewinnen. Die Vorhaben von BVS und Beamtenbund wurden in die Öffentlichkeit gezogen. Wir konnten öffentliches Interesse für das Haus der Demokratie mobilisieren und auf diesem Wege der Konfrontationsstrategie der BVS zunächst erfolgreich begegnen. Zugleich sollten tiefgreifende Unterschiede in der Formulierung und Begründung von Strategien zum Erhalt und zur Entwicklung des Hauses in einem Diskussionsprozeß geklärt und einer demokratischen Entscheidung zugänglich gemacht werden. Dies ist nicht gelungen, da sich eine Minderheit im Hause an keinerlei gemeinsame Beschlüsse mehr gebunden fühlt und ihre Strategie parteilichen Lobbyismus fortführt.

Für die Aufgabe ihres basisdemokratischen Anspruchs mit einem parlamentarischen Machtzugang abgefunden, setzt diese Minderheit an die Stelle einer politischen Klärung unter den Bürgerbewegungen die Drohung mit öffentlichem und staatlichen Druck. Durch die zu gründende Stiftung der Enquetekomission des Bundestages zur Aufarbeitung des SED-Unrechts wollen sie die Bürgerbewegungen enteignen lassen. Es ist allgemein bekannt, daß die Stiftung für ihre Zwecke nicht mehr als eine Etage benötigen würde. Dennoch sollen alle neuen oder auch älteren, uns verbundenen Gruppierungen aus Ost und West, die im Haus der Demokratie Platz gefunden haben, verdrängt werden. Nichts bleibt unklar, wenn die Autoren des "Alternativvorschlages" bereits eine künftige attraktive "Vermietung unter Renditegesichtspunkten" in Aussicht nehmen. Allein den Gründungsorganisationen bietet man eine Perspektive - als freundliche Museumsführer durch ein politisch korrektes Traditionskabinett.

Ob diese Planungen den gewünschten Erfolg haben werden, steht dahin. Das Gesetzgebungsverfahren über die Stiftung ist nicht abgeschlossen, auch wird die Stiftung sich nicht unter allen Bedingungen auf eine Konfrontation mit den heute noch aktiven Bürgerbewegungen einlassen wollen. Wirkung zeigt der Vorschlag dennoch: die Entsolidarisierung im ehemals bürgerbewegten Spektrum ermöglichte der Unabhängigen Kommission Parteienvermögen die Akzeptanz des Vorschlages von Beamtenbund und BVS. Ihren, in der Substanz unveränderten Vorschlag eines käuflichen Erwerbs garnierten sie lediglich durch eine formale Einbeziehung der Bundesstiftung und einige Millionen für ihr Stiftungsvermögen. Durch die Verdrängung der Mehrzahl der heute aktiven Gruppen aus dem Haus wäre das HdD auf eine gespenstische Hülle reduziert, die sich werbewirksam zu einer Verbandspräsentation ausbauen ließe. Das Feigenblatt einer fortgesetzten Nutzung durch die Gründungsorganisationen wäre binnen kurzem entbehrlich und schmerzlos zu beseitigen.

Die Obstruktionspolitik der Treuhand begleitete die Geschichte des Hauses der Demokratie seit 1990. Ihre Liquidierungsversuche können nicht überraschen. Ebensowenig überraschen die Differenzen unter den ehemaligen Aktivisten der DDR-Bürgerbewegung. Diese war in sich nie homogen, die Niederlagen seit dem Herbst '89 sind weiteren Spaltungen nur förderlich gewesen. Einige dürfen daher heute die Auszeichnungen des neuen Deutschlands als wohlverdiente Würdigung empfangen. Daß aber die Machtmittel des Staates zur Disziplinierung vormaliger Weggefährten mobilisiert werden sollen, ist ein neuer Zug und verdient ebenfalls gewürdigt zu werden.

Gegenüber solcher Politik hilft kein Appell an die Ideale von 1989. Mehr noch: Politisch aktiven basisdemokratischen Gruppen muß jedes Idealisieren der friedlichen Revolution fernliegen. Die 1989 erworbenen politischen Freiheiten sehen wir durch neue ökonomische und soziale Abhängigkeiten eingeschränkt und bestimmt. Die Rekonstruktion des Kapitalismus ist kein Fortschritt. Es geht nicht um eine zusätzliche Beratung, höhere Qualifikation und bessere Auswahl der Herrschenden. Die Aufgaben der Basisbewegung bestehen noch immer in dem fortgesetzten Versuch der Befreiung von selbstverschuldeter wie aufgezwungener Unmündigkeit.

Sebastian Gerhardt
Vertreter der Initiative Vereinigte Linke im Vorstand des Hausvereins,
Berlin, Ende Februar‚ 98

 
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