MieterEcho
Nr. 266 - Januar/Februar 1998

Da hilft nur noch der Härtefall

Der klassische Hauseigentümer raucht dicke Zigarren, trägt einen Zylinder und durchstreift mit Argwohn seinen Besitz. Kein unbekannter Name auf einem Klingelschild bleibt unentdeckt, kein Müllfrevler entgeht der Strafe. Doch das klassische Bild des Berliner Rentiers verblaßt, zunehmend werden die einzelnen Wohnungen statt der Häuser im Eigentum besessen. Was macht nun den modernen Wohnungseigentümer aus?

Er sucht nach günstigen Kapitalanlagemöglichkeiten oder einer Altersabsicherung und verfügt über ein Jahreseinkommen von mindestens 80.000 DM. Andere wiederum sind jung, sehr jung und eigentlich noch mit der Ausbildung, der Karriere also der eigenen Entwicklung beschäftigt und nicht von ganz normalen Studenten zu unterscheiden. Die jungen Menschen liefern nur formell ihren Namen - dahinter stehen meist die wohlhabenden Eltern. Sie sorgen umsichtig für das Wohl ihrer Kinder und ihrer Gewinne. Oder war's doch umgekehrt? Zunächst für die steuerlich günstige Anlage ihrer Gewinne und dann für den Status ihrer Sprößlinge? Wie dem auch sei, meist spekulieren die Eltern darauf, die Mieter des erworbenen Eigentums leichter wegen Eigenbedarf vor die Tür setzen zu können, ist doch dem Kindchen als Eigentümer nicht länger zuzumuten, zu Hause und bei den Eltern zu wohnen.

Die Kündigung war von vorne herein geplant

Die Mieter Ingeborg und Volkmar Grosse jedenfalls können von dieser Sorte Wohnungseigentümer ein mittlerweile 16jähriges Lied singen. Die neue Eigentümerin Heike Berger* ist jung und Studentin. Sie bleibt still im Hintergrund, alle Verhandlungen übernehmen die Eltern. Vor dem Erwerb wußte sie nicht einmal wie die Wohnung aussieht. Jetzt soll hier ihr erstes, eigenes Zuhause entstehen. Die Eltern haben in ihrem Namen den Mietern die Kündigung wegen Eigenbedarf bereits ausgesprochen. Heike Berger ist bei dem Gedanken nicht besonders wohl, doch das spielt keine Rolle, ihre Eltern sind für das Geschäftliche zuständig. Und alle drei scheuen den Kontakt zu den Mietern wie die öffentliche Stellungnahme. Seit über vierzig Jahren bewohnt Ingeborg Grosse die Wohnung, in der ihr Sohn Volkmar zur Welt kam. Gemeinsam sahen sie den Ahornbaum im Innenhof über das Dach hinaus wachsen, als das Haus 1979 in Gänze für ca. 700.000 DM an die Bodenfinanz verkauft wurde. Nach umfangreichen Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen erfolgte für die insgesamt 16 Wohnungen die Umwandlung. Die 115 m2 große Wohnung wurde ihnen damals noch für ca. 120.000 DM angeboten. Viele BewohnerInnen griffen zu, erinnern sich Mutter und Sohn, für die ein Kauf nicht in Frage kam. Ihre Wohnung wurde 1980 von Frau Müller* für ca. 200.000 DM erworben. Die Grosses erfuhren bald auf unangenehme Weise, was es bedeutet, daß ihre Wohnung der Kapitalanlage dienen sollte.

Frau Müller hatte sich nämlich - so jedenfalls vermuten die Mieter mit gutem Grund - hinsichtlich der Einnahmemöglichkeiten durch die Vermietung erheblich verspekuliert. Das lange Mietverhältnis, der besondere Mietvertrag, der Schönheitsreparaturen zum Verantwortungsbereich des Vermieters rechnet, und das Rückrat von Ingeborg und Volkmar Grosse schmälerten die erwartete Rendite erheblich. Nicht einmal 100 DM betrugen die monatlichen Mieteinnahmen nach allen Abzügen der laufenden Kosten für die Wohnung. Nicht gerade viel. Also versuchte Frau Müller im Gefolge ihres Mannes die mietrechtlich bewanderten Grosses und damit die „ungünstigen" Mietvertragsregelungen los zu werden. Reparaturen wurden so gut wie nie oder nur widerwillig ausgeführt. Noch heute können Mutter und Sohn in der Badewanne kein Bad nehmen, die Emaille ist an vielen Stellen abgeplatzt und rauh wie ein Waschbrett. Als Einstimmung hatte 1981 der, die Eigentümerin vertretende Anwalt unmißverständlich deutlich gemacht, daß die Eigenbedarfskündigung „ohnehin zur Auflösung des Mietverhältnisses früher oder später führt."

Die Kündigungen hatten im Ergebnis keinen Erfolg

Aber Frau Grosse wohnt nicht nur schon lange in der Wohnung, sie ist bereits über 70 Jahre. Folglich stellt es eine unzumutbare Härte dar, ihr einen Umzug zuzumuten, so jedenfalls entschied auch ein Gericht. Dieser Status mußte jedoch erst bitter erkämpft werden. Seit der Umwandlung werden die Grosses ständig von der Eigentümerin gerichtlich belangt. Allein vier Urteile bezüglich angestrebter Kündigungen gibt es. Allein zwei davon wurden aus formalen Gründen für unwirksam erklärt, bevor die Gerichte inhaltlich auf die Kündigungsersuchen eingehen mußten.

Aufgrund der Sozialklausel hatte die Klage der Frau Müller im Ergebnis keinen Erfolg. Ein Urteil, das auch bei der Eigenbedarfskündigung von Heike Berger mit großer Wahrscheinlicheit Bestand haben wird: Ingeborg Grosse wird schließlich nicht auf wundersame Weise wieder jünger. Frau Müller jedenfalls reichte die Eindeutigkeit des Urteils, sie machte nichts mehr. Es kam zur Zwangsversteigerung, über die Köpfe der Mieter hinweg. Ingeborg und Volkmar Grosse erfuhren vom Versteigerungstermin nur durch Zufall. Noch während der Versteigerung illustrierte Volkmar Grosse allen Kaufinteressierten die besondere Situation. Er ließ nicht unerwähnt, daß für die Wohnung erheblicher Instandsetzungsbedarf besteht und daß die Mieteinnahmen im Gegensatz zum Gutachten geringer ausfallen bzw. in einem vermieterseits ungünstigen Verhältnis zum Wohngeld stehen. Das schreckte die meisten Kaufinteressierten ab, die sehr zahlreich zum Termin gekommen waren, um die verkehrsgünstig und in angenehmer Wohngegend gelegene Immobilie zu ersteigern. Es hat sich doch mittlerweile herumgesprochen, daß viele Immobilien bei einer Versteigerung günstig zu haben sind.

Die Mutter von Heike Berger ließ sich jedoch nicht abschrecken. Fest entschlossen bot sie für eine Wohnung, die sie weder in Augenschein genommen hatte, noch deren Bewohner sie interessierten. Sie ersteigerte die Immobilie letztendlich für 360.000 DM und damit sogar für 50.000 DM über dem, von einem Gutachten errechneten Verkehrswert. Resigniert stellt Volkmar Grosse daraufhin fest, daß er aufgrund dieses Kaufpreises, wieder mit einer Kündigung rechnen müsse.

Mit der ersten Besichtigung kam die Kündigung

Und richtig! Die Kündigung und Familie Berger ließen nicht lange auf sich warten: noch im Monat der Ersteigerung besichtigten sie gemeinsam ihr neu erworbenes Eigentum. Ingeborg Grosse schüttelt über die Ähnlichkeit zwischen Frau Müller und Mutter Berger nur den Kopf. Egal ob sie das Gespräch während der Versteigerung verweigert oder Ingeborg Grosse nicht ins Gesicht schauen kann. Mit verbissenem Mund trampelt sie wie Frau Müller auf den profunden Bedürfnissen der Mieter herum, deren Vermieter sie mit dem Erwerb der Immobilie wurden. Daß Eigentum auch sozial verpflichtet, steht offensichtlich nicht in ihrem Grundbuch. Als wenn es nicht genug leerstehende Wohnungen für ihre Tochter gäbe. Oder ist sie nur die Ausführende, scheint doch der Mann die Fäden in der Hand zu halten. Eines macht die prompte Kündigung in jedem Fall deutlich: skrupellos sollen die Mieter aus ihrer Wohnung vertrieben werden, nachdem der Kaufpreis der Wohnung - weil bewohnt - günstiger als eine leere Wohnung war. Ingeborg Grosse jedenfalls ist entsetzt, daß Heike Berger ihr zukünftiges Glück auf ihrem Rücken aufbauen will.

o.k.

* Name von der Redaktion geändert

 
Bemerkenswerte Wertsteigerung der Wohnung
1979 1.700 m² 700.000 DM Kaufpreis für Bodenfinanz für das gesamte Wohnhaus
 pro m²412 DM 
 für 115 m²47.353 DMKaufpreis für die Wohnung (WE) der Familie Grosse
bis 1980  Sanierung und Umwandlung
1980115 m²200.000 DMKaufangebot für WE der Familie Grosse
 pro m²1.739 DM 
 1.700 m²2.956.521 DMEinnahmen der Bodenfinanz für das Haus ohne Abzug der Sanierungsausgaben und des Kaufpreises
1988WE à 115 m²340.000 DMzufällig in Zeitung gesehen, Verkaufsannonce für die WE von Familie Grosse
 pro m²2.956 DM 
1996WE à 115 m²310.000 DMlaut Gutachten der Versteigerung WE der Fam. Grosse
  285.000 DMMindestgebot vom Gläubiger festgelegt
1997WE à 115 m²360.000 DMKaufpreis bei der Zwangsversteigerung
Wertsteigerung der WE à 115 m²
von 1979 bis 1997 312.647 DM
 
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