MieterEcho
Nr. 266 - Januar/Februar 1998

Berlin bleibt Mieterstadt!

"Berlin ist eine Mieterstadt. Dieser seit Jahrzehnten wiederholte Satz ist leider bis heute empirisch richtig", stellt ein Herr Ulrich Pfeiffer im "Foyer" Nr. 3/97, dem offiziellen Magazin der Senatsverwaltung für Bau und Wohnungswesen, fest, und man könnte das "leider" für einen Stoßseufzer des vergeblich um neue empirische Feststellungen und entsprechende Senatsaufträge bemühten Geschäftsführers einer "empirica Gesellschaft für Struktur- u. Stadtforschung mbH" halten, wenn er nicht hinzufügen würde: Der Satz "darf aber auf keinen Fall als politisches Programm interpretiert werden. Vielmehr muß er Ansporn sein, möglichst viele Mieter in Zukunft zu Eigentümern zu machen." Damit wird dem Herrn Pfeiffer gestattet, eine politische Zielstellung zu markieren, auf die sich - Frau Franziska Eichstädt-Bohlig und Teile des Berliner Mietervereins, wie ein Herr Henschel unlängst auf einer Veranstaltung des "Stadtforums von Unten" mit dem schmalzigen Stolz eines systemkonformen Tabubrechers zur Empörung des völlig entgeisterten Publikums bekannte, eingeschlossen - heutigen tags nicht nur eine große Koalition, sondern eine wahre Volksfront von Freunden des Besitzes und des Eigentums vereinigt.

Entschlossene politische Offensive

Und diese Front gibt sich entschlossen, mitunter militärisch: "Strategisch zum Eigentum" zu gelangen, versucht der Senator Jürgen Klemann und entwickelt deshalb eine "Eigentumsstrategie Berlin 2000", die auch als "Eigentumsoffensive 2000" firmiert. Im Gleichschritt marschierte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung etc. pp. des Herrn Peter ("...überdimensionierte Hundeklos") Strieder bereits im Sommer letzten Jahres vorneweg: "Wohneigentum als gesellschaftliches Programm" ließ sie sich von der Lenkungsgruppe des Stadtforums auf die Fahnen schreiben und verkünden: "Die Berliner Wohnungspolitik muß der Eigentumsförderung eine grundsätzlich neue Bedeutung geben. Die extrem niedrige Eigentumsquote in Berlin kann allerdings mit Hilfe der Neubaupolitik nur sehr be-grenzt verändert werden. Eine Förderung des Wohneigentums muß daher auch in den Wohnungsbestand einziehen. Primäre Zielgruppe sind hier potentielle, selbstnutzende Eigentümer." Herr Klemann konkretisiert den Weg in die "neue Bedeutung" durch "vier Säulen" seiner Eigentumsstrategie:

  1. Verbesserung der Rahmenbedingungen (Infrastruktur, Kosten, Verfahren) in Gebieten der offenen Bauweise,
  2. Neuausweisung von Bauland in gut erschlossenen Gebieten,
  3. Wohnungsneubau als Geschoßeigentum und
  4. Eigentumsbildung durch Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum.
Auf diesen Säulen ruhend soll sich das Eigentum von z. Zt. ca. 150.000 Wohneinheiten auf ca. 300.000 oder, in Prozenten ausgedrückt, von ca. 8,5 auf ca. 17% in den nächsten 10 Jahren verdoppeln. Wohnungspolitik wird zur Eigentumsförderungspolitk. Diese Tendenz, seit Jahrzehnten angelegt (siehe ME Nr. 262), soll sich jetzt explosionsartig verwirklichen.

Hilflose Argumente

Eine Auflistung der stets wiederholten Begründungen erschüttert den schwer, der erwartet, politische, bzw. gesellschaftliche Strategien in der Dimension eines Paradigmenwechsels von der Mieterstadt zur Eigentümerstadt bedürften tiefgründiger Analyse. Die LBS-Reklame, in der eine junge Modernisierungsgewinnlerin feststellend fragt: "Bausparen klingt vielleicht etwas konservativ, aber ist Mieten etwa fortschrittlich?" liefert der politischen Argumentation das Niveau. Herr Pfeiffer sei stellvertretend zitiert: Zwei Gesichtspunkte haben an Bedeutung gewonnen:

Angesichts der sich langfristig verschlechternden Altersschichtung wird es immer dringlicher, daß möglichst viele Menschen im Alter nicht vor steigenden Mietbelastungen, sondern vor eher sinkenden laufenden Kosten als Wohneigentümer stehen. Günstige Rahmenbedingungen entlasten die staatliche Wohnungsbaupolitik und den Kapitalmarkt, denn Wohneigentümer sparen im Lebenszyklus bei gleichem Einkommen mehr als Mieterhaushalte." Einem dritten Argument - frei durch die politischen Bereiche und Organisationen flottierend und besonders engagiert von Franziska Eichstädt-Bohlig in Bewegung gehalten " zufolge dienen Eigentumsmaßnahmen in der Innenstadt der Bewah-rung der scharfen Kante außer- halb, sowie des potenten Steuerbürgers als Bewohner innerhalb der Stadt.

Selbstbedienung für urbane Eliten

Ihr und anderen noch einmal ins Stammbuch geschrieben, was sie selbstverständlich selbst wissen: Die scharfe Stadtkante kann erhalten werden durch Bebauungsverbote! Durch nichts anderes! Selbst angenommen, die - aus den striederschen Masterplänen durch Vernichtung öffentlicher Flächen resultierenden - Billigangebote durch Parzellierungsmaßnahmen hätten die tatsächliche Zielstellung, Zersiedelung des Umlands zu verhindern, würden sie zu nichts anderem führen, als zur Senkung der Grundstückspreise in der unmittelbaren Nachbarschaft und würden die Zersiedelung damit eher begünstigen als behindern. Weil aber darüber hinaus allgemein bekannt ist, was immer und immer wieder festgestellt wurde, nämlich, daß Nachfrager von Wohnungseigentum in der Stadt und Interessenten an Einfamilienhäusern im Grünen völlig verschiedenen Kreisen mit gänzlich unterschiedlichen Lebensstilen angehören, kippt das ganze, sich auf die leeren Haushaltskassen beziehende Gerede deutlich über in die Rechtfertigung von Selbstbedienungspolitik einer, ihre speziellen Interessen für die der Allgemeinheit ausgebenden Schicht neuer urbaner Eliten.

Segen für den Finanzmarkt

Doch z.Zt. des immer noch anhaltenden Neoliberalismus kann jeder daherkommen und irgendwelche Unausgegorenheiten als tiefe ökonomische Einsichten ausgeben. Das Risiko ist gering, wenn die Richtung stimmt und die ist unschwer dem hegemonialen monothematischen Diskurs zu entnehmen: Ausdehnung der Kapitalverwertungslogik durch Privatisierung auf allen Ebenen und, möchte man hinzufügen, mit allen Mitteln. Selbst Herr Pfeiffer fühlt sich beschwingt ermutigt. Mag sein, daß die von ihm vorgestellten "Rahmenbedingungen günstig sind", aber gewiß nicht, um die Wohnungsbaupolitik - wie er meint - sondern eher, um die Wohnungsbaupolitiker zu entlasten, nämlich von der Notwendigkeit, Wohnungsbaupolitik zu machen. Worin aber die "Entlastung der Kapitalmärkte" bestehen soll, bleibt ebenso rätselhaft, wie die Konstitution, der es bedarf, um solchen Unfug über harmlose Zeitgenossen abzusondern. Ein jeglicher Eigentumserwerb wird zu ca. 80% durch Bankkredite finanziert. Das gesamte Immobiliengeschäft, nicht nur das in Südostasien, wie die Kleinanleger unlängst schmerzlich erfahren mußten, erschließt eine hoch attraktive Anlagesphäre und wird dementsprechend engagiert und mit großem Werbeaufwand von den Finanzinstituten betrieben. Ein Blick in die Schaufensterauslagen einer beliebigen Bank könnte Herrn Pfeiffer von der Bedeutung dieses Geschäftszweiges überzeugen. Wenn irgend jemand an der Bildung von Wohneigentum ein dringliches Interesse hat, dann ist es der Finanzmarkt. Unschwer ist auszurechnen, wieviel des Berliner Bestandes an Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln wären, um Kreditnachfragen in Höhe von beliebig vielen Milliarden auszulösen.

Mieten als Hemmnis für Eigentumsbildung

Wohneigentümer sparen im Lebenszyklus bei gleichem Einkommen mehr als Mieterhaushalte", weiß Herr Pfeiffer als Begründung für die von ihm vorgestellten, segensreichen polit-ökonomischen Wirkungen zu nennen. Eine seltsame Umschreibung für die Tatsache, daß die Kosten für den Erwerb von Wohneigentum noch immer weit über den Kosten für Mietwohnungen liegen. Der Staatssekretär von Herrn Strieder, Herr Fuderholz, ist da viel offener. In seinem "Abschied von der Mieterstadt" (Stadtforum Nr. 25, S. 12) beklagt er die Mietensituation in Berlin und nennt sie ein Hemmnis für einen schnellen Strukturwandel hin zu Eigentümerstadt. "Deshalb lohnt sich in München der Bau (oder der Erwerb, J.O.) einer Eigentumswohnung gegenüber einer Mietwohnung ökonomisch. In Berlin lohnt er sich nicht", schreibt er und weist damit auf eine zwingend notwendige Voraussetzung für den Erfolg der postmodernen Wohneigentumspolitik hin: die Erhöhung der Mieten. In der Tat, und da hat der Herr Fuderholz Recht, noch ist Wohneigentum wesentlich unökonomischer als Miete. Noch wird überdurchschnittliches Einkommen vorausgesetzt. Noch kann sich die Mehrheit der Stadtbevölkerung, weil sie durch Wohneigentum überfordert wäre, mit Mietwohnraum versorgen. Über die Gefahr der wirtschaftlichen Selbstüberschätzung klärt nachhaltig die stets steigende Zahl der Zwangsversteigerungen auf.

Mieter: Bürger zweiter Klasse?

Die stereotypen Hinweise auf die alterssichernde Wirkung des Eigentums verdeutlichen im Zusammenhang mit dem geplanten Abschied von der Mieterstadt zugleich ungeniert den zynischem Abschied von einer Politik sozialer Verantwortlichkeit. Die Botschaft ist, daß alle, die unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze liegen und deshalb kein Wohneigentum erwerben können, weitgehend ihren Anspruch auf Alterssicherung einbüßen oder zumindest nur noch höchst eingeschränkt realisieren dürfen. Diese Entwicklung verbindet sich notwendigerweise mit der Eigentumsoffensive der Strieders, Klemanns und Co.

Bisher bezeichnete Miete in erster Linie eine allgemeine Form des Wohnungskonsums, eine die Sicherheiten brauchte, für die es demzufolge einen großen gesetzlichen Regelungsbedarf gab und die durch subventionierende Maßnahmen des Staates vor allzu scharfen Markteinwirkungen zu schützen war. Geht die Rechnung der Politik auf, wird "Mieter" in Zukunft eine soziale Kategorie bezeichnen, scharf bestimmt über Einkommenshöhe, mit reduziertem Anspruch auf Wohnqualität, belastet mit Mieten, die die Eigentumsentwicklung begünstigen, und weitgehend Opfer des Sozialabbaus sowie der Deregulierung der Alterssicherung. Mieter wird ein Bürger zweiter Klasse, das Gegenstück zu der erstklassigen politischen Klientel des Materplaners Strieder und seinen politischen Verbündeten.

Joachim Oellerich

 
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